Völkermord-Vorwurf gegen Israel: Wie steht die Welt zu den Vorwürfen?

Palästinenser betrachten ein beschädigtes Wohngebäude nach einem israelischen Angriff in Rafah im südlichen Gazastreifen
Palästinenser betrachten ein beschädigtes Wohngebäude nach einem israelischen Angriff in Rafah im südlichen Gazastreifen Copyright Fatima Shbair/The AP
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Von Euronews mit AP
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Dieser Artikel wurde im Original veröffentlicht auf Englisch

Die von Südafrika gegen Israel erhobenen Vorwürfe wiegen schwer - aber welche Unterstützung haben sie wirklich weltweit?

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Nach Angaben Südafrikas haben mehr als 50 Länder ihre Unterstützung für die Klage vor dem obersten Gerichtshof der Vereinten Nationen (IGH) bekundet, in der Israel des Völkermords an den Palästinensern im Gaza-Krieg beschuldigt wird.

Andere, darunter die USA, haben die Behauptung Südafrikas, Israel verstoße gegen die UN-Konvention zur Verhütung und Bestrafung des Völkermordes, entschieden zurückgewiesen. Viele andere haben geschwiegen.

Die Reaktion der Welt auf den Fall, der vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag verhandelt wird, zeigt eine vorhersehbare globale Spaltung, wenn es um das scheinbar unlösbare, 75 Jahre alte Problem zwischen Israel und den Palästinensern geht.

Am vergangenen Sonntag dauerte der blutige Konflikt bereits 100 Tage.

Die meisten Länder, die die Klage Südafrikas unterstützen, kommen aus der arabischen Welt und Afrika.

In Europa hat nur die Türkei öffentlich ihre Unterstützung erklärt.

Kein westliches Land hat sich zu den Vorwürfen Südafrikas gegen Israel bekannt. Die USA, ein enger Verbündeter Israels, haben sie als unbegründet zurückgewiesen, Großbritannien bezeichnete sie als ungerechtfertigt, und Deutschland erklärte, dass es sie "ausdrücklich zurückweist".

China und Russland haben sich zu einem der bedeutendsten Fälle, die in der jüngeren Geschichte vor einem internationalen Gericht verhandelt wurden, nicht geäußert - und auch die Europäische Union hat nicht reagiert.

Richter bei der Eröffnung der Verhandlung am Internationalen Gerichtshof in Den Haag, Niederlande
Richter bei der Eröffnung der Verhandlung am Internationalen Gerichtshof in Den Haag, NiederlandeAP Photo/Patrick Post

Reaktion der EU, der USA und Großbritanniens: "unbegründete" Anschuldigungen

US-Außenminister Antony Blinken sagte bei einem Besuch in Israel einen Tag vor Beginn des Gerichtsverfahrens, die Anschuldigungen Südafrikas seien "unbegründet" und der Fall lenke "die Welt" von den Bemühungen um eine dauerhafte Lösung des Konflikts ab.

Der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates, John Kirby, sagte, Völkermord sei "kein Wort, mit dem man leichtfertig um sich werfen sollte, und wir glauben sicher nicht, dass es hier zutrifft".

"Wir sind mit dem, was die Südafrikaner tun, nicht einverstanden", sagte der britische Außenminister David Cameron zu dem Fall.

Israel weist die Vorwürfe des Völkermords entschieden zurück und behauptet, es verteidige sein Volk. Ziel der Offensive sei es, die Anführer der Hamas auszuschalten, der militanten Gruppe, die das Gebiet beherrscht und den Konflikt durch ihre Überraschungsangriffe auf Israel am 7. Oktober ausgelöst hat.

Blinken sagte, ein Völkermord-Verfahren gegen Israel sei "besonders ärgerlich", da die Hamas und andere Gruppen "weiterhin offen zur Vernichtung Israels und zum Massenmord an Juden aufrufen".

Die USA, Großbritannien, die EU und andere Länder stufen die Hamas als terroristische Organisation ein.

Nach Angaben des israelischen Gesundheitsministeriums sind durch die israelische Militäraktion im Gazastreifen mehr als 23.000 Palästinenser getötet worden. Bei der Zählung wird nicht zwischen Kämpfern und Zivilisten unterschieden. Demnach sind mehr als zwei Drittel der Toten Frauen und Kinder.

Große Teile des nördlichen Gazastreifens sind unbewohnbar geworden, ganze Stadtteile wurden durch israelische Luftangriffe und Panzerfeuer ausgelöscht.

Südafrika hat den Angriff der Hamas vom 7. Oktober ebenfalls verurteilt und argumentiert, dass Israels Reaktion ungerechtfertigt sei.

Verletzte Palästinenser kommen nach israelischen Luftangriffen auf Gaza-Stadt im Zentrum des Gazastreifens im al-Shifa-Krankenhaus an
Verletzte Palästinenser kommen nach israelischen Luftangriffen auf Gaza-Stadt im Zentrum des Gazastreifens im al-Shifa-Krankenhaus anAP Photo/Abed Khaled/File

Deutsche Unterstützung für Israel - und türkische Zweifel

Die Ankündigung Deutschlands, Israel zu unterstützen, hat angesichts der Geschichte des Holocausts, bei dem die Nazis 6 Millionen Juden in Europa ermordeten, symbolische Bedeutung. Israel wurde nach dem Zweiten Weltkrieg als Zufluchtsort für Juden im Schatten dieser Gräueltaten gegründet.

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"Israel verteidigt sich gegen den menschenverachtenden Angriff der Hamas", sagte der deutsche Regierungssprecher Steffen Hebestreit. In seiner Erklärung berief er sich auch auf den Holocaust, der maßgeblich zur Schaffung der UN-Völkermordkonvention 1948 beitrug.

"Angesichts der deutschen Geschichte... sieht sich die Bundesregierung der Konvention gegen Völkermord besonders verpflichtet", sagte er. Der Vorwürf gegen Israel "entbehrt jeder Grundlage".

Hebestreit sagte, die Bundesregierung beabsichtige auch vor Gericht entsprechend Stellung zu beziehen, wenn es zu einer Hauptverhandlung kommt.

Die EU hat lediglich erklärt, dass Länder das Recht haben, Fälle vor den UN-Gerichtshof zu bringen. Die meisten ihrer Mitgliedsstaaten haben sich nicht geäußert.

Die Türkei, die der EU beitreten will, war eine einsame Stimme in der Region. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan gab an, sein Land habe Dokumente zur Verfügung gestellt, die in dem Fall gegen Israel verwendet würden.

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"Mit diesen Dokumenten wird Israel verurteilt werden", sagte er.

Protestierende schwenken israelische Flaggen und halten Fotos der von der Hamas entführten Geiseln während einer Demonstration vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag
Protestierende schwenken israelische Flaggen und halten Fotos der von der Hamas entführten Geiseln während einer Demonstration vor dem Internationalen Gerichtshof in Den HaagAP Photo/Patrick Post

Arabische Staaten verurteilen Israel

Die Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC) war eine der ersten, die den Fall öffentlich unterstützte, als Südafrika die Klage Ende vergangenen Monats einreichte. Sie sprach von einem "Massengenozid durch die israelischen Verteidigungskräfte" und warf Israel "wahllose Angriffe" auf die Zivilbevölkerung im Gazastreifen vor.

Die OIC ist ein Zusammenschluss von 57 Ländern, darunter Iran, Irak, Saudi-Arabien, Katar und Ägypten. Ihr Hauptsitz befindet sich in Saudi-Arabien. Die Arabische Liga mit Sitz in Kairo, deren 22 Mitgliedsländer fast alle der OIC angehören, unterstützte ebenfalls die Anklage Südafrikas.

Südafrika erhielt auch außerhalb der arabischen Welt Unterstützung. Namibia und Pakistan stimmten dem Fall auf einer Sitzung der UN-Generalversammlung diese Woche zu. Auch Malaysia brachte seine Unterstützung zum Ausdruck.

"Kein friedliebender Mensch kann das Gemetzel an den Palästinensern im Gazastreifen ignorieren", wurde der namibische Präsident Hage Geingob in der Zeitung The Namibian aus dem südlichen Afrika zitiert.

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Das malaysische Außenministerium forderte eine "rechtliche Rechenschaftspflicht für Israels Gräueltaten in Gaza".

Bilder von Geiseln, die von der Hamas entführt wurden, stehen am Freitag bei einer Protestaktion vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag (Niederlande)
Bilder von Geiseln, die von der Hamas entführt wurden, stehen am Freitag bei einer Protestaktion vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag (Niederlande)AP Photo/Patrick Post

Schweigen aus China und Russland

China, Russland - das sich vor dem Weltgericht ebenfalls mit dem Vorwurf des Völkermords konfrontiert sieht - und die aufstrebende Macht Indien haben weitgehend geschwiegen, da sie sich offenbar bewusst sind, dass eine Stellungnahme in einem so brisanten Fall wenig Vorteile bringt und ihre Beziehungen in der Region irreversibel beeinträchtigen könnte.

Indiens Außenpolitik unterstützt seit jeher die palästinensische Sache, aber Premierminister Narendra Modi war einer der ersten Staats- und Regierungschefs der Welt, der sich mit Israel solidarisch zeigte und den Hamas-Anschlag als Terrorismus bezeichnete.

Welche Länder sind unschlüssig?

Eine Handvoll südamerikanischer Länder hat sich zu Wort gemeldet, darunter die größte Volkswirtschaft des Kontinents, Brasilien, dessen Außenministerium erklärte, Präsident Luiz Inácio Lula da Silva unterstütze Südafrikas Anliegen.

In den Kommentaren des Ministeriums wurde Israel jedoch nicht direkt des Völkermords beschuldigt, sondern die Notwendigkeit eines Waffenstillstands in Gaza betont.

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Brasilien äußerte die Hoffnung, dass der Fall Israel dazu veranlassen würde, "alle Handlungen und Maßnahmen, die einen Völkermord darstellen könnten, sofort einzustellen".

Andere Länder waren nicht bereit, sich der Meinung Südafrikas anzuschließen. Der irische Premierminister Leo Varadkar sagte, der Völkermordfall sei "alles andere als klar", aber er hoffe, dass das Gericht einen Waffenstillstand in Gaza anordnen werde.

Der IGH, der Konflikte zwischen Staaten klären soll, befasst sich zunächst mit einem Eilantrag Südafrikas, dass die Richter ein Ende des Militäreinsatzes anordnen sollten. Israel wies diese Forderung zurück. Damit würde dem Land das Recht auf Selbstverteidigung genommen. Eine Entscheidung über diesen Antrag wird in wenigen Wochen erwartet.

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