Joseph Stiglitz: "Der Preis der Ungleichheit"

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In seinem neuen Buch “Der Preis der Ungleichheit” zeichnet der Nobelpreisträger Joseph Stiglitz ein düsteres Bild. Wir haben den Wirtschaftswissenschaftler, der an der Columbia Universtät lehrt, in Paris getroffen, wo er sein neues Buch vorstellte.

euronews, Giovanni Magi:
“In Ihrem Buch haben Sie gezeigt, dass die Ungleichheit der amerikanischen Gesellschaft teuer zu stehen kommt. Was wird passieren, wenn der Trend der wachsenden Ungleichheit nicht gestoppt wird?”

Joseph Stiglitz:
“Wir werden uns in einer gespalteten Gesellschaft wiederfinden. Und die Wirtschaft wird weniger produzieren, denn einer der wichtigen Aspekte der Ungleichheit in den USA heutzutage ist die Ungleicheit der Chancen. Das bedeutet, dass junge Menschen, deren Eltern arm sind, ihr volles Potenzial nie entfalten können und das ist eine Verschwendung an Talenten.
In einer sehr gespaltenen Gesellschaft, wie etwa der amerikanischen, ist es sehr schwierig einen politischen Konsens zu erreichen. Das führt zu einem Zusammenbruch der Politik und des demokratischen Prozesses. Und das wiederum bedeutet, dass keine Einigung erzielt wird in Bezug auf Investitionen in Infrastruktur, Technologie und Bildung, die nötig sind, um eine produktive Wirtschaft zu haben.”

euronews:
Herrschen in Punkto Ungleichheit in Europa die gleichen Verhältnisse wie in den USA?

Joseph Stiglitz:
“Nein, in Europa ist es besser als in Amerika. Es ist erstaunlich, und ich habe das auch in meinem Buch hervorgehoben, dass die USA, das Land mit den größten Einkommensunterschieden, am wenigsten tun, um diese Unterschiede auszubügeln. Nach den Steuern und Abgaben ist die Ungleichheit größer als in den anderen Industrieländern. Die USA sind ein Land, in dem es im Vergleich mit anderen fortschrittlichen Staaten, am wenigsten Chancengleichheit gibt.
Was mir Sorge bereitet, ist, dass mehrere Staaten in Europa die amerikanische Politik nachahmen. Das ist bereits in Großbritannien passiert. Vor 30 Jahren entsprach die Ungleichheit dort dem Durchschnitt der OECD-Länder. Heute ist Großbritannien auf Rang zwei hinter den USA.
Es gibt immer noch eine Gruppe an Ländern, die skandinavischen und die nördlichen Staaten, die eine sehr starke Wirtschaft und Gesellschaften mit mehr Chancengleichheit haben. Doch die Staaten auf dem europäischen Kontinent driften immer mehr in Richtung des amerikanischen Stils und das finde ich bedenklich.”

euronews:
Werden die Sparmaßnahmen, die in Europa von mehreren Ländern umgesetzt werden, die soziale Ungleichheit verstärken?

Joseph Stiglitz:
Ja, sehr. Der Sparkurs ist in der heutigen Lage besonders schlecht, weil es absolut keine Nachfrage gibt. Durch den Sparkurs sinkt die Nachfrage, wenn die Nachfrage sinkt, sinkt auch das Wachstum und die Arbeitslosigkeit steigt. Wenn die Arbeitslosigkeit steigt, sinken die Löhne während die Menschen um die vorhandenen Jobs konkurrieren und die Sozialhilfen werden gekürzt. Alles was zur Ungleichheit beiträgt, wird also verschärft.”

euronews:
Was sollten die europäischen Regierungen tun, um die Euro-Krise zu bekämpfen?

Joseph Stiglitz:
“Als erstes sollte man sich daran erinnern, dass das Defizit durch die schwache Wirtschaft entstanden ist, nicht andersherum. Es war nicht das Defizit, das die schwache Wirtschaft verursachte, sondern die schwache Wirtschaft, die das Defizit verursachte.
Man sollte sich also darauf konzentrieren, wie man das Wachstum wieder ankurbeln kann. Da kann man eine ganze Menge unternehmen. Die Regierung kann mehr in Infrastruktur, Technologie und Bildung investieren. Die Europäische Investitionsbank könnte mehr unternehmen. Die Regierungen könnten gemeinsam für die Schulden haften, um so die Raten zu senken. Auf diese Weise könnte man mehr Geld auf produktive Art ausgeben und weniger Geld den Banken geben.”

euronews:
“Sie sind also dafür, dass die Europäische Zentralbank eine wichtigere Rolle spielt beim Management der Euro-Krise.”

Joseph Stiglitz:
“Ja, denn das ist eine Institution, die viel bewirken kann. Doch man muss sicher gehen, dass sie den richtigen Kurs einschlagen. Vor kurzem haben sie gesagt, dass sie bereit seien eine unbegrenzte Anzahl an Anleihen zu kaufen. Doch sie haben auch gesagt, es wird Bedingungen geben. Sie haben nicht gesagt, wie genau diese Bedingungen aussehen werden. Wenn sie den Bedingungen ähneln, die sie in der Vergangenheit gestellt haben, dann wird es sich um Sparmaßnahmen handeln. Mit der einen Hand bietet man ein Rettungsboot an, also etwas, was den Staaten helfen könnte, und dann nimmt man es ihnen wieder weg und gibt ihnen Gift.
Man sagt diesen Ländern, dass sie eine Depression durchstehen müssen. Das ist als ob man sagen würde, um Dich zu retten, muss ich Dich umbringen. Das ergibt keinen Sinn. Die Europäische Zentralbank hat also die Möglichkeit zu helfen. Die Frage ist nur, ob sie es auch tun wird.”

euronews:
“Vor kurzem wurde den Banken vorgeworfen den Libor, den Referenzzinssatz im internationalen Interbankengeschäft, manipuliert zu haben. Welche Lektionen sollte man aus diesem Skandal ziehen?”

Joseph Stiglitz:
“Die Banken haben keinerlei Kontrolle über das was sie tun. Und sie haben finanzielle Produkte verbreitet, die unseriös und manipulierbar sind, und die das gesamte Finanzsystem gefährden.
Das Problem ist, dass es einen Überschuss an Verträgen, Derivaten und Anleihen gibt, die auf dem Libor Zinssatz beruhen, Libor plus eins, Libor plus zwei, Libor plus ein halber Prozent und so weiter. All das beruht dann auf einem Wert, der manipuliert wurde. Was machen wir dann mit diesem riesigen Finanzmarkt, der auf etwas aufgebaut wurde, das keinen Sinn ergibt?”

euronews:
“Sie haben über den Unterschied geschrieben, zwischen dem was die Politiker für die Wirtschaft tun sollten und dem was sie wirklich tun. Ist das auch eine Kritik an Barack Obama?”

Joseph Stiglitz:
“Ja, leider. Wissen Sie jeder Politiker hat beschränkte Möglichkeiten zum Handeln. Ich weiß vielleicht, was zu tun ist, aber andere Menschen vertreten andere Meinungen. Der Job des Politikers ist es, zwischen all diesen Meinungen abzuwägen und dann einen Kompromiss zu finden zwischen den verschiedenen Interessen.
Mir ist also klar, dass man als Politiker alle Kräfte berücksichtigen muss, doch letzlich ist es auch seine Aufgabe über all diesen Einflüssen zu stehen und zu entscheiden, was am ehesten im Interesse des ganzen Landes ist. Leider haben die Politiker zu sehr den Banken zugehört.”

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