"Auch die Kurden sind gegen die Jesiden"

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Von Kirsten Ripper
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Havin ist Jesidin, sie ist 19 und lebt seit sie 7 Jahre alt ist in Deutschland. Anfang des Jahres hatte im deutschsprachigen Raum kaum jemand je von den Jesiden gehört. Dass das heute anders ist, liegt auch am Engagement von Havin: Jeden Tag postet sie auf Facebook Kommentare, sie verweist auf Offene Briefe der Religionsgemeinschaft der Jesiden, verlinkt Artikel.

Inzwischen wissen die meisten Europäer, dass die Jesiden im Norden des Irak und in Syrien verfolgt werden. Aber Havin ist mit der Berichterstattung der Medien nicht wirklich zufrieden. “Auch die Kurden sind gegen die Jesiden,” sagt Havin. “Die Jesiden sind schon immer verfolgt worden, sie sind bei den irakischen Kurden nicht sicher. Auch muslimische Kurden gehören zu den IS-Dschihadisten.” Von den Peschmerga, den Kämpfern der autonomen Kurdenregion, fühlen sich die Jesiden im Stich gelassen.

Auch der Islamwissenschaftler Patrick Franke meint, dass etwa 700 junge Kurden zur IS-Miliz übergelaufen seien, das schreibt er in der Süddeutschen Zeitung.

Patrick Franke erklärt, auch die Wut der Jesiden gegen die Peschmerga, nämlich dass schon bei den ersten Angriffen der IS-Miliz gegen die Dörfer der Jesiden im Sindschar-Gebirge nicht die Peschmerga, sondern nur Einheiten der Kurdenpartei PYD die Bewohner verteidigt haben. Die PYD hat Verbindungen zur in der Türkei verbotenen und vom Westen als Terrororganisation eingestuften Untergrundorganisation PKK und wird deshalb international nicht unterstützt.

Havin und viele andere Jesiden meinen, dass der Westen Waffen an die falschen Kämpfer liefert. In Deutschland werden Peschmerga ausgebildet, sie sind die Truppen von Massoud Barzani, dem Präsidenten des autonomen Kurdengebietes im Nordirak. Im Parlament dieser Kurdenregion sitzt nur ein einziger Abgeordneter der etwa 600.000 Jesiden. Viele Jesiden fühlen sich von Barzani nicht vertreten.
Auch ihre in die nordirakischen Kurdengebiete geflohenen Verwandten hätten weiterhin Angst, berichtet Havin. Es gibt auch Berichte über unterschlagene Hilfslieferungen.

Schon vor einigen Monaten haben die Jesiden eigene Kämpfer zusammengestellt. Angeführt wird die Truppe der Jesiden, die sich selbst verteidigen wollen, von Qashim Shesho, einem 62-jährigen, der eigentlich seit 1990 mit seiner Familie in Bad Oeynhausen in NRW lebt. Jetzt kämpft Shesho gegen die IS-Miliz – und er hätte gerne zumindest einen Teil der Waffen, die Deutschland und andere westliche Staaten jetzt liefern.

Für viele Jesiden in Deutschland ist Qasim Shesho ein Held, er wird auch der “Löwe von Sindschar genannt..

Havin, der Vorname der junden Frau, die im Internet für ihre Religionsgemeinshaft kämpft, ist Kurmandschi oder Nordkurdisch und bedeutet Sommer. Doch Lichtblicke gibt es kaum. Havin spricht sogar von “Völkermorden” an den Jesiden und zählt die Massaker der vergangenen Jahrhunderte auf – zum Beispiel einen offenbar von Kurden verübten Sprengstoffanschlag gegen ein jesidisches Dorf 2007.

Weil sie sich auch von den Kurden unterdrückt fühlen, werden in den kommenden Monaten wohl viele weitere Jesiden nach Europa auswandern. Havins Vater ist Gärtner, eine andere Arbeit konnte er in Deutschland nicht finden. Sie selbst arbeitet neben der Schule als Kellnerin, nach dem Abitur möchte sie Lehramt studieren – ein Leben im Irak und in Syrien, der Ursprungsregion der Jesiden, die stolz ihre 4.000 Jahre alte Religion verteidigen, können sich viele wohl nicht mehr vorstellen.

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