Blair: Derzeit keine Mehrheit im Unterhaus für "irgendein Brexit-Gesetz"

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Tesa Arcilla, Euronews: Bei uns ist nun der frühere britische Premierminister Tony Blair, derzeit in Brüssel auf einer sozusagen Anti-Brexit-Mission. Er hofft, den Gang der Dinge zu verändern, wenn nicht sogar komplett zu stoppen. Tony Blair, herzlich willkommen. Wie nützlich wird Ihre Intervention sein? Basiert Sie auf reinem Wunschdenken oder wissen Sie mehr als wir?

Tony Blair: Wenn ich mir den Stand der Debatte in Großbritannien ansehe, wird mir immer klarer, dass die Regierung derzeit nicht die Stimmen hat, um auch nur irgendeine Form eines Brexit-Gesetzes durchs Parlament zu bringen. Die Regierung hat die Wahl zwischen der Option, unser Land eng an Europa zu halten – aber dann müssen sie die EU-Gesetze respektieren. Oder die Regierung bricht mit diesen Gesetzen und folgt nur unseren eigenen – aber dann verlieren wir den Zugang zum europäischen Markt, was negative wirtschaftliche Konsequenzen mit sich bringt. Und dieses Dilemma wird in Großbritannien immer offenbarer, und es beeinflusst die Debatte.

Euronews: Wenn Sie von einem zweiten Referendum reden, meinen Sie Brexit, ja oder nein? Oder ist es ein Referendum über das Brexit-Gesetz, also über die Brexit-Bedingungen?

Blair: Sie können natürlich nicht die Brexit-Uhren zurückstellen. Aber was man tun kann ist, dem britischen Volk das letzte Wort über die ausgehandelten Bedingungen zu geben. Und darüber ist noch nicht gesprochen worden. Zunächst muss das Parlament darüber beraten, aber ich denke, dass eine Einigung nur sehr schwer zu erreichen sein wird. Wenn es keine Einigung gibt, sollten die Menschen wieder befragt werden.

Euronews: Sie sind eine umstrittene Persönlichkeit. Befürchten Sie, dass Ihr Engagement gegen Brexit die Brexit-Befürworter nur noch entschlossener macht? Also all diejenigen, die die sogenannten liberalen Eliten für einen “Ausverkauf des Landes” verantwortlich machen?

Blair: Es gibt in der Brexit-Debatte niemanden, der nicht umstritten wäre auf beiden Seiten. Und dann die Vorstellung, dass alle liberalen Eliten in Europa bleiben wollten und alle Normalbürger dagegen wären, ist absurd. 16 Millionen Bürger stimmten für die EU-Mitgliedschaft, das sind nicht alles Eliten. Diejenigen, die die rechtsgerichteten Medien in Großbritannien kontrollieren, sind auch nicht normale Bürger. Es gibt Eliten auf beiden Seiten und Normalbürger auf beiden Seiten.

Euronews: Der von der EU vorgeschlagene Brexit-Vertragsentwurf vermeidet eine harte innerirische Grenze und lässt Nordirland in der Zollunion. Theresa May war darüber sehr wütend. Sie müssten aber darüber glücklich sein, denn Nordirland wäre damit nicht Teil des Brexit.

Blair: Das Nordirland-Problem ist beispielhaft für die ganzen Verhandlungen. Tatsache ist, wir können nicht Nordirland in einer Zollunion haben und den Rest des Landes nicht. Das würde ein ganz neues Problem schaffen. Wenn andererseits Nordirland nicht in der Zollunion wäre, gäbe es eine harte Grenze mit der Republik Irland. Das ist genau das Dilemma. Wenn Sie wirtschaftlich argumentieren wollen, dann wollen Sie, dass Großbritannien weiter problemlos mit dem Rest Europas Handel treibt. Das geht aber nur in einem gemeinsamen Markt. Die Regierung will aber die Quadratur des Kreises: problemslosen Handel, aber nicht nach den Regeln des gemeinsamen Marktes. Darauf lässt sich die EU niemals ein.

Euronews: Einige halten das Karfreitagsabommen, an dem Sie maßgeblich mitgewirkt haben, für nicht länger praktikabel. Es solle geändert werden. Was halten Sie davon?

Blair: Ich bin sehr wütend darüber, dass einige Leute dies im Zusammenhang mit dem Brexit erwähnen. Um es ganz klar zu sagen, der einzige Grund, warum jetzt von manchen gefordert wird, das Karfreitagsabkommen loszuwerden, ist, dass es die Brexit-Verhandlungen kompliziert macht. Diese Leute wollen den Brexit um jeden Preis, auch wenn dabei der Frieden in Nordirland geopfert werden muss. Das ist völlig unverantwortlich.

Euronews: Sie sind hier in Brüssel um der EU zu sagen, stoppt den Brexit und reformiert die EU. Brüssel wird sagen, kein Problem, aber Großbritannien kann sich nicht aussuchen, welche Reformen es akzeptiert und welche nicht. Damit wären wir wieder am Anfang.

Blair: Ich denke, dass es Reformen gibt, die die Menschen in ganz Europa begrüßen würden. Zunächst beim Thema Immigration. Großbritannien ist nicht das einzige Land, das sich darüber Sorgen macht. Sehen Sie sich den Wahlkampf in Itailen an, Macrons Reformbemühungen in Frankreich, das Wahlergebnis in Deutschland. Immigration ist überall in Europa ein Top-Thema. Schauen Sie nach Polen und Ungarn. Man könnte einen ganzen Reformkatalog für Europa im Interesse Europas vorschlagen, der auch die Sorgen Großbritanniens berücksichtigen würde. Denn diese Sorgen sind nicht nur britische Sorgen, sondern werden von allen Europäern formuliert.

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