Zoran Zaev: "Wenn der Balkan ein Problem hat, hat Europa ein Problem"

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Von Efi Koutsokosta
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Der Ministerpräsident von Nordmazedonien, Zoran Zaev, im Euronews-Interview

Das Veto Frankreichs gegen die Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien wurde von Top-EU-Politikern "ein historischer Fehler" genannt. Hat Frankreichs Präsident so den Balkanländern ihre Pläne verhagelt? Der Ministerpräsident von Nordmazedonien Zoran Zaev zahlt jetzt den Preis dafür und will nun vorgezogene Neuwahlen.

Efi Koutsokosta:
Danke, dass Sie unser Gast sind. Sehen Sie das als einen Schlag ins Gesicht? Fühlen Sie sich von der EU verraten?

Zoran Zaev:
Allerdings. Alle Länder des Westbalkans wollen EU-Mitglieder werden, aber in meinem Land hat sich etwas getan. Wir können viele positive Veränderungen aufweisen. Wir sind ein seltenes Beispiel dafür, dass wir etwas auf die Beine bringen: die Vereinbarung mit Griechenland ist so ein Beispiel. Früher gab es so etwas nur nach einem Krieg, dass sich die Politiker zusammensetzten und eine Vereinbarung ausarbeiteten. Wir haben unseren Namen geändert, unsere Verfassung, wir schafften einen Großteil in nur 120 Tagen. Es war ein schwieriger Prozess. Wir wurden von den Nationalisten und den radikalen Kräften in unserem Land bedroht. Jetzt, da wir bereit sind, heißt es plötzlich von der EU: Ja, aber wir nicht. Wir können warten, aber enttäuscht sind wir schon.

Efi Koutsokosta:
Sie sprechen die Vereinbarung mit Griechenland an, die Prespa-Vereinbarung. Das war ein Durchbruch für Ihr Land und auch für Griechenland. Jetzt stehen Sie vor Neuwahlen, die Opposition attackiert das Abkommen, ist es in Gefahr?

Zoran Zaev:
Ja. Bestimmte Teile der Vereinbarung mit Athen sind in Gefahr. Bestimmte Kapitel werden wir nicht umsetzen. Das betrifft vor allem Internes. Alles hängt zusammen. Unsere griechischen Freunde haben von ihrer Seite aus das Abkommen akzeptiert, weil sie Nordmazedonien als zukünftiges EU-Mitglied sahen. Aber jetzt sieht die Sache anders aus. Wir hatten schon so viel erreicht. Wir haben nach der Namensänderung quasi alles geändert in unserem Land. Alle Schilder in öffentlichen Gebäuden, an den Monumenten, an den Grenzen mit unseren Nachbarn, am Flughafen, auf Webseiten, alles. Jetzt sind wir dabei, neue Schulbücher mit dem neuen Namen zu drucken, denn so steht der Name ja in der Verfassung.

Efi Koutsokosta:
Und all das könnte jetzt gestoppt werden?

Zoran Zaev:
Es wird teilweise gestoppt, wenn wir nicht mehr weitermachen können. Wir werden es weiter versuchen. Aber vieles hing ja an den Beitrittsverhandlungen. Alles ist miteinander verknüpft, denn der Transformationsprozess bedeutet, Teile unserer Souveränität abzugeben, um sie der Europäischen Union zu übertragen.

Bestimmte Paragrafen des Vertrags können wir weiter umsetzen: In der Vereinbarung steht zum Beispiel, dass Dokumente und offizielle Briefe den Namen Nordmazedonien tragen müssen. Ich gebe mal ein Beispiel. Wenn Briefe von einer Gemeinde hier an eine andere gehen oder an eine Institution. Da setzen wir bestimmte Kapitel der Vereinbarung um. Das war jetzt nur ein Beispiel. Es gibt auch noch andere Aspekte. Wir können versuchen, den gesamten Prespa-Vertrag weiter umzusetzen. Und zwar so schnell wie möglich. So steht es in der Prespa-Vereinbarung.

Efi Koutsokosta:
Bei den vergangenen Wahlen warben Sie bei den Wählern mit einer zukünftigen EU-Mitgliedschaft. Auch beim Referendum zur Namensänderung. Wie können Sie die Wähler jetzt davon überzeugen, dass Sie nach wie vor der EU vertrauen?

Zoran Zaev:
Ich kämpfe weiter wie Don Quijote gegen Windmühlen. Es gibt keine Alternative. Das wissen wir. Wir sind ein kleines Land, aber was für uns spricht ist, dass wir mit allen Staaten gut auskommen und daran arbeiten, die Freundschaften auszubauen. Mit Russland, China, Nahost, aber das garantiert uns nicht Demokratie und Rechtsstaalichkeit.

Efi Koutsokosta:
Der serbische Präsident Vučić hat gesagt, dass die Entscheidung der EU dazugeführt hat, dass die Region sich nicht mehr allein auf die westlichen Mitglieder verlassen kann. Sind Sie auch dieser Meinung? Sehen sie ein Sich-Abwenden vom Westen im Balkan?

Zoran Zaev:
Mit Sicherheit nicht. Wir sind es gewohnt, enttäuscht zu werden. Wir sind verhältnismäßig kleine Länder hier im Balkan. Mein Land ist seit 15 Jahren Beitrittskandidat. Es wurde schon so oft empfohlen, mit uns Beitrittsverhandlungen zu eröffnen, zehn Mal seit 2009 allein. Wir wurden ständig enttäuscht, enttäuscht und wieder enttäuscht, am Anfang wegen der Griechen und jetzt - nach der Einigung - wegen Frankreich.

Efi Koutsokosta:
Zerstört Präsident Macron den Traum des Balkans?

Zoran Zaev:
Die Vertreter der Franzosen, und auch Präsident Macron persönlich, pochen darauf, dass bei der EU-Erweiterung bestimmte Formen und Regeln eingehalten werden müssen, dass es nach einer Methodik läuft. So wurde mir das erklärt.

Auf diese Art und Weise hätten Beitrittskandidaten eine Chance, wenn sie die geforderten Veränderungen durchführen konnten. Und wenn nicht, dann werden sie wieder heruntergestuft, und man fängt von vorne an.

Na gut, daran ist ja nichts auszusetzen.

Ich denke, dass diese Methodik in den nächsten Tagen, oder Monaten, uns genauer erklärt wird und dass wir dann erneut eine Chance bekommen. Denn Eines müssen sie wissen: Wir brauchen schon auch eine Motivation. Sie müssen uns schon auch motivieren und unterstützen, es ist unser Recht, EU-Mitglied zu werden. Das steht im EU-Vertrag.

Wenn die Strahlkraft der Sterne der Europäischen Union verlischt, bricht hier wirklich die Dunkelheit herein. Und im Dunkeln werden wir uns verlieren. Der multi-ethnische Balkan darf nicht provoziert werden, wie es in der Vergangenheit der Fall war.

Efi Koutsokosta:
Ist das wirklich eine Gefahr?

Zoran Zaev:
Leider eine sehr große. Wenn es einen fruchtbaren Boden für Radikalismus und Nationalismus gibt, wird der Schaden für den gesamten Balkan groß sein. Und wenn die Balkanländer ein Problem haben, hat auch Europa ein Problem. Wenn in meinem Land zum Beispiel der Nationalismus erstarkt. Deshalb will ich ja vorgezogene Neuwahlen, damit genau das nicht passiert, damit wir die Zeit überbrücken und eine Botschaft an Präsident Macron und die anderen europäischen Spitzenpolitiker senden können. Nur so können wir es vermeiden, dass Nationalimus, Radikalismus, Populismus wachsen, dann hätten wir nämlich ein Problem, allen voran mit unseren Nachbarn, Griechenland und Bulgarien. Das können wir nicht brauchen. Wenn die Nachbarn zum Beispiel von uns provoziert werden, schlagen sie zurück. Das gilt auch für verschiedene Gruppen in meinem Land. Aber sowas gibt es im Moment nicht. Wir haben gute Beziehungen unter den verschiedenen Volksgruppen, keine Aggressionen, wir sind alle gleich. Wenn es zu Streit zwischen den Volksgruppen käme, dann wäre der Schaden immens.

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