Glyphosat: ein in die Kritik geratenes Herbizid, wird in Europa weiter benutzt

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Von Mathieu Orcel
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Warum ist Glyphosat noch nicht verboten? Das ist die quälende Frage, die die Opfer des Herbizids Politikern stellen, während die Europäische Kommission gerade die Zulassung des Pestizids um zehn Jahre verlängert hat. Euronews Witness berichtet aus Frankreich.

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Glyphosat ist ein sehr wirksames Herbizid, um Unkraut loszuwerden. Es wurde 1974 auf den Markt gebracht. Damals ahnte man noch nichts von seinen Auswirkungen auf die Gesundheit.

Die EU hat seine Zulassung gerade um zehn Jahre verlängert.

Warum gibt es so viele Debatten, warum ist dieses Pestizid so umstritten, das weltweit am häufigsten eingesetzt wird?

Die Weltgesundheitsorganisation hat Glyphosat 2015 als "wahrscheinlich krebserregend bei Menschen" eingestuft..)

Ein Krebsopfer erzählt

Euronews Witness hat in Quiberon Ludovic Maugé getroffen. Der 52-Jährige erzählt:

_"Ich war Landschaftsgärtner und bin an Krebs erkrankt, den ich mir durch Pestizide bei der Arbeit geholt habe." _

Seit 2020 ist sein Leben ein täglicher Kampf. Er lag sechs Monate auf der Intensivstation und musste zwölf aufeinanderfolgende Chemotherapien durchstehen:

_"Meine Krankheit war sehr schwer zu diagnostizieren, weil es sich um ein Lymphom handelt, _das zudem sehr selten ist", erzählt Ludovic Maugé. _"_Es waren fast sechs Monate, sechs bis sieben Monaten, einer medizinischen Odysee."

Das Leben von Ludovic Maugé ist heute ein täglicher Kampf
Das Leben von Ludovic Maugé ist heute ein täglicher KampfFoto: Mathieu Orcel

Er erinnert sich:"Wenn man 20 Jahre zurückblickt, war es schon überall zu finden. Es gab keine Ausnahmeregelungen, wie man sie heute haben muss. Man arbeitete einfach mit einer Sprühflasche auf dem Rücken, mit einem T-Shirt darunter."

"Wir haben es einfach so versprüht, ohne Maske, ohne Handschuhe, ohne jeglichen Schutz."
Ludovic Maugé

Roundup, Gallup, Clipper und andere. Diese Herbizide auf Glyphosat-Basis galten damals als harmlos, sofern einige Vorsichtsmaßnahmen bei der Anwendung beachtet wurden.

_"Die Unkrautvernichtungsmittel sind so aggressiv, sie greifen die Dichtung der Sprühgeräte an, sodass es automatisch zu Lecks kommt. Oft ist sogar der Rücken _feucht gewesen", erinnert sich Ludovic Maugé. "Als ich krank wurde, habe ich es erstmal nicht mit Glyphosat in Verbindung gebracht, bis zu dem Zeitpunkt, als sich bei den Bluttests herausstellte, dass mein Blut mit Glyphosat vergiftet war."

Die Unkrautvernichtungsmittel sind so aggressiv, sie greifen die Dichtung der Sprühgeräte an, sodass es zu Lecks kommen kann.
Die Unkrautvernichtungsmittel sind so aggressiv, sie greifen die Dichtung der Sprühgeräte an, sodass es zu Lecks kommen kann.Foto: Mathieu Orcel

Seine Entschädigung ist sehr gering. Monsanto zahlt ihm 300 Euro pro Monat als Entschädigung für seine Krankheit. Heute hat Ludovic nicht mehr die Kraft, Monsanto zu verklagen.

Weltweit werden jedoch zahlreiche Prozesse gewonnen - gegen den deutschen Bayer-Konzern, der Monsanto 2018 gekauft hat.

Der Kampf gegen Glyphosat

Maître Lafforgue ist ein Anwalt, der sich auf diese Fragen spezialisiert hat. Er war der Erste, der eine Verbindung zwischen der Krankheit seiner Mandanten und dem Einsatz von Pestiziden herstellen konnte. Er hat den ersten Prozess gegen Monsanto in Frankreich gewonnen.

_"Wir haben es mit einer echten Pestizidlobby zu tun, die versucht, die Gefährlichkeit von Pestiziden zu vertuschen, damit sie weiterhin von Landwirten und ihren Angestellten eingesetzt werden. Diese Lobby greift auf allen Ebenen ein: Zunächst greift sie auf europäischer Ebene ein, wenn es um die Zulassung _von Wirkstoffen geht", wettert der Anwalt. _"_Die Studien, die bei dieser erneuten Zulassung berücksichtigt wurden, sind nicht überzeugend und vor allem wurden die Studien, die hätten berücksichtigt werden müssen und die die Gefährlichkeit dieses Wirkstoffs aufzeigen, von den europäischen Behörden aus den falschen Gründen nicht berücksichtigt."

Wir haben Bayer und die Pro-Pestizid-Lobbys kontaktiert. Keiner von ihnen hat uns ein Interview gegeben.

Zwei Drittel der EU-Bürger fordern laut einer aktuellen Umfrage ein vollständiges Verbot von Pestiziden wie Glyphosat. So wie NGOs und Hunderte Bürger, die dafür auf die Straße gehen, wie João Camargo, ein Forscher im Bereich Agribusiness. Er findet:

"Wir müssen weiter gegen Glyphosat kämpfen, denn die Entscheidung, dieses Gift zu genehmigen und noch weitere zehn Jahre zuzulassen, ist nicht hinnehmbar. Es ist eine Frage der Gesundheit, es ist eine Frage der Landwirtschaft, es ist eine Frage der Zukunft. Wir müssen verhindern, dass dieses Gift weiter verbreitet wird."

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Proteste gegen Pestizide
Proteste gegen PestizideFoto: Mathieu Orcel

Diskussion auf europäischer Ebene

Im Europäischen Parlament trafen wir einen Europaabgeordneten der rechtspopulistischen französischen Partei Rassemblement National. Seine Partei ist für die Zulassung, aber nur für einen begrenzten Zeitraum von fünf Jahren. Er erkennt die Schädlichkeit von Glyphosat an. Haben wirtschaftliche Interessen Vorrang vor der öffentlichen Gesundheit, fragen wir ihn:

_"Für mich stellt sich das Problem nicht auf diese Weise dar. Denn es geht nicht nur um wirtschaftliche Interessen, sondern auch um ein Problem _der Lebensmittelsicherheit", findet Gilles Lebreton. 

"Wir müssen vor allem genügend Getreide produzieren, um die Bevölkerung zu ernähren. Das ist eigentlich die Problematik um Glyphosat. Die wahren Verantwortlichen, sind für mich die Verantwortlichen der Gemeinsamen Agrarpolitik, die jahrelang auf eine industrielle Landwirtschaft gedrängt haben."

Anhaltende Gerichtsprozesse

Nach einem 15-jährigen Kampf muss sich Bayer mit der Eröffnung eines neuen Prozesses auseinandersetzen, dieses Mal wegen Missbildung eines Embryos.

Ein paar Kilometer von Vienne entfernt, haben Sabine Grataloup und Theo, eine Mutter und ihr Sohn, einen großen Sieg errungen: Erstmals wird in Frankreich die Schädlichkeit von Glyphosat für Babys schwangerer Frauen anerkannt.

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Sabine Grataloup hat auf einem ehemaligen Reitplatz regelmäßig ein Herbizid auf Glyphosatbasis ausgebracht:

"Das habe ich ganz am Anfang meiner Schwangerschaft getan, als Theo noch ganz klein war. Es war der erste Monat der Schwangerschaft."

Damals hatte Sabine Grataloup keine Ahnung, was sie ihrem Körper aussetzte. Sie erzählt:

"Alles, was draufsteht, ist ein Piktogramm, dass es für Wasserorganismen gefährlich ist. Die meisten Missbildungen treten im ersten Schwangerschaftsmonat auf, während die werdende Mutter nicht weiß, dass sie schwanger ist, man kann also keine Vorsichtsmaßnahmen treffen."

Ih Sohn Theo berichtet: "Es war sehr kompliziert. Bei der Geburt wäre ich beinahe gestorben. Es gab sehr viele Operationen, die von Anfang an durchgeführt wurden. Insgesamt habe ich 54 Vollnarkosen erhalten."

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Pestizidopfer Theo
Pestizidopfer TheoFoto: Mathieu Orcel

Der junge Mann erhält eine monatliche Entschädigung von etwa 1.000 Euro, da der französische Entschädigungsfonds für Pestizidopfer den Zusammenhang zwischen seinen Missbildungen der Speiseröhre, der Luftröhre und des Kehlkopfs und der Verwendung von Glyphosat durch seine Mutter anerkannt hat. Bis heute kann er nur durch einen Luftröhrenschnitt atmen.

"Das Produkt an sich ist gefährlich, das stimmt, aber es ist vor allem der Unverstand, der im Umgang damit herrscht, das ist weitaus empörender als das Produkt an sich. Wie lange es dauert, bis man es verbietet. Das ist erschütternd!
Pestizidopfer Theo

Seine Mutter erinnert sich: "Was mich betraf, wusste niemand Bescheid. Als mir der Zusammenhang klar wurde, sagte ich mir: 'Wir müssen alle alarmieren, damit Studien durchgeführt werden.'"

Sie sagt weiter: _"Also, heute,_ist es kein Geheimnis: Die Monsanto Papers, wenn ich mich recht erinnere, war es, glaube ich, 2017, man hat gefälschte unabhängige Studien entdeckt, die natürlich zugunsten von Glyphosat waren, interne E-Mails, in denen sie zugaben, dass sie Glyphosat allein getestet hatten, aber nicht die Rezeptur zum Beispiel, und dass das Produkt also auf der Grundlage von Informationen zugelassen wurde, die zumindest unvollständig waren, könnte man sagen."

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