Heftige Gefechte in Chan Junis: Zivilisten sitzen in der Falle

Palästinenser fliehen während der andauernden israelischen Bombardierung aus Khan Younis im Gazastreifen.
Palästinenser fliehen während der andauernden israelischen Bombardierung aus Khan Younis im Gazastreifen. Copyright Fatima Shbair/Copyright 2023 The AP. All rights reserved.
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Von Diana Resnik
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Israel hat seine Bodenoffensive im Süden Gazas begonnen. Zuvor warnte das israelische Militär Zivilisten, indem es Flugblätter über Chan Junis im Gazastreifen abwarf.

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Israel hat seine Bombardierung der zweitgrößten Stadt des Gazastreifens weiter verstärkt. Laut Angaben der israelischen Armee kämpft sie jetzt auch ,,im Herzen von Chan Junis". Sie liefere sich heftige Gefechte mit Hamas-Terroristen.  

Nachdem Israel einen großen Teil der Städte und Infrastruktur im Norden zerstört hat, wolle es bei seiner Offensive im südlichen Gazastreifen nun präziser vorgehen, um Opfer zu vermeiden. Die Palästinenser sagen jedoch, dass es kein Gebiet gibt, in dem sie sich sicher fühlen. Viele befürchten außerdem, dass sie niemals zurückkehren dürfen, wenn sie ihre Häuser erstmal verlassen haben. Luftangriffe und die Bodenoffensive haben bereits drei Viertel der 2,3 Millionen Einwohner des Gebiets aus ihrem Zuhause vertrieben. Neue Evakuierungsbefehle für die Gebiete um Chan Junis verdrängen die Menschen in immer kleinere Gebiete. 

,,Was hier geschieht, ist unvorstellbar"

Im Nasser Krankenhaus in Chan Junis wurden bereits Dutzende von Verwundeten eingeliefert, darunter ein kleiner Junge, dem die Hand weggesprengt wurde. „Was hier geschieht, ist unvorstellbar“, sagte Hamza al-Bursh, aus Maan. Das Viertel gehört zu den Teilen der Stadt, die geräumt werden sollen. Israel forderte die Zivilbevölkerung zum Verlassen des Viertels auf. 

„Sie schlagen wahllos zu.“

Anwohner berichteten, dass israelische Truppen nach schweren Luftangriffen auf Bani Suheila, einer Stadt östlich von Chan Junis, weiter vorgerückt seien. Halima Abdel-Rahman, die zu Beginn des Krieges aus ihrer Heimat im Norden in die Kleinstadt geflohen war, berichtete, dass sie die ganze Nacht hindurch Explosionen gehört habe. „Sie sind ganz in der Nähe“, sagte sie. „Es ist das gleiche Szenario, das wir im Norden gesehen haben.“

Kaum Zufluchtsorte für Vertriebene

Satellitenfotos vom Sonntag zeigten rund 150 israelische Panzer, gepanzerte Mannschaftswagen und andere Fahrzeuge knapp 6 Kilometer nördlich des Stadtzentrums.

Israel hat den Menschen, die in den ersten Tagen des Krieges auf Anordnung der israelischen Streitkräfte die Stadt verlassen haben, die Rückkehr verweigert. Im Süden wurden Menschen nun aus fast zwei Dutzend Nachbarschaftsorten von Chan Junis vertrieben. Dadurch wurde das Gebiet, in dem Zivilisten im zentralen und südlichen Gazastreifen Zuflucht suchen konnten, um mehr als ein Viertel verkleinert.

Hilfsorganisationen haben das Vorgehen der Armee wegen des Leidens der Menschen in Gaza stark kritisiert. ,,Nirgendwo in Gaza ist man mehr sicher, und man kann nirgendwo mehr hingehen", sagte Lynn Hastings, der UN-Koordinator für humanitäre Hilfe in den palästinensischen Gebieten. ,,Die Voraussetzungen für die Lieferung von Hilfsgütern an die Menschen in Gaza sind nicht gegeben. Wenn es möglich ist, wird sich ein noch höllischeres Szenario entfalten".

Israel sagt, es müsse die umfangreiche militärische Infrastruktur der Hamas zerstören, um eine Wiederholung des Angriffs vom 7. Oktober zu verhindern, die den Krieg auslöste. Bei einem Überraschungsangriff töteten die Hamas und andere militante Palästinenser etwa 1.200 Menschen, die meisten davon Zivilisten. Desweiteren nahmen sie etwa 240 Männer, Frauen und Kinder gefangen. 

Zivilisten als Schutzschilder der Hamas

Das israelische Militär sagte, es bemühe sich nach Kräften, Zivilisten zu verschonen. Sie wirft der Hamas vor, sie als menschliche Schutzschilder zu missbrauchen. Die Hamas kämpfe in dichten Wohngebieten, wo sie über ein Labyrinth von Tunneln, Bunkern, Raketenwerfern und Scharfschützennestern verfüge.

Die Hamas ist tief in der palästinensischen Gesellschaft verwurzelt. Ihre Entschlossenheit, die jahrzehntelange israelische Militärherrschaft über Millionen von Palästinensern zu beenden, wird von der großen Mehrheit von Palästinensern geteilt. Selbst von denjenigen, die das Ziel der endgültigen Zerstörung Israels und die Angriffe auf Zivilisten ablehnen. Dies erschwert jegliche Bemühungen, die Hamas zu beseitigen, ohne massive Opfer und Vertreibungen zu verursachen.

Tot und Zerstörung in noch nie dagewesenem Ausmaß

Nach wochenlangem Bombardement wurden in der vergangenen Woche Waffenstillstandsverhandlungen mit dem  obersten Hamas-Führer in Gaza, Yehya Sinwar, geführt. Es konnte die Freilassung von mehr als 100 israelischen und ausländischen Geiseln im Austausch gegen 240 palästinensische Gefangene bewirkt werden. Trotzdem haben militante Palästinenser sowohl vor als auch nach dem Waffenstillstand ihren Raketenbeschuss auf Israel fortgesetzt. Die Kämpfe haben dem Küstenstreifen inzwischen Tod und Zerstörung in noch nie dagewesenem Ausmaß gebracht.

,,Alle 10 minuten wird ein Kind oder Jugendlicher in Gaza getötet"

Das Gesundheitsministerium in Gaza gab bekannt, dass seit dem 7. Oktober mehr als 15.890 Menschen in dem Gebiet ums Leben gekommen sind. Davon waren 70 % Frauen und Kinder. Es gab mehr als 42.000 Verwundete, wobei das Ministerium nicht zwischen zivilen und kämpferischen Todesopfern unterscheidet. Laut Vertreter der WHO, Richard Peeperkorn, werde alle 10 Minuten ein Kind oder Jugendlicher in Gaza getötet. ,,Alle zehn Minuten wird ein Kind oder Jugendlicher in Gaza getötet".

Nachdem israelische Beamte wochenlang die Zahlen des Gesundheitsministeriums in Gaza in Zweifel gezogen hatten, nannte ein Beamter der israelischen Armee am Montag eine ähnliche Zahl für die Todesopfer im Gazastreifen. Der Beamte sagte, dass mindestens 15.000 Menschen getötet worden seien, darunter 5.000 Kämpfer. Wie das Militär zu seinen Zahlen kam ist nicht bekannt. Laut Angaben der israelischen Armee sind 86 israelische Soldaten bei der Gaza-Offensive getötet worden.

Der nationale Sicherheitsberater des Weißen Hauses, Jake Sullivan, sagte am Montag, es sei noch zu früh, um ein Urteil über die israelischen Operationen abzugeben. Es wäre aber ungewöhnlich für ein modernes Militär, genaue Gebiete für erwartete Bodenmanöver zu identifizieren und die Menschen aufzufordern, diese zu verlassen, wie es Israel in Chan Junis getan wurde.

Warnung mit abgeworfenen Flugblättern

In den letzten Tagen warnte das israelische Militär Menschen, indem es Flugblätter über Chan Junis abwarf. Darin wurde den Zivilisten empfohlen, sich weiter südlich in Richtung der ägyptischen Grenze zu begeben. Jedoch können die Bewohner den Gazastreifen nicht verlassen, da sowohl Israel als auch das benachbarte Ägypten die Aufnahme von Flüchtlingen verweigert.

Der nationale Sicherheitsberater des Weißen Hauses, Jake Sullivan, sagte am Montag, es sei noch zu früh, um ein Urteil über die israelischen Operationen zu fällen. Es sei jedoch ungewöhnlich, dass ein modernes Militär genaue Gebiete für zu erwartende Bodenmanöver identifiziere und die Menschen auffordere, diese zu verlassen, wie Israel es in Chan Junis getan habe.

In dem Gebiet, das Israel evakuieren ließ, lebten etwa 117.000 Menschen. Es beherbergte mehr als 50.000 aus dem Norden Vertriebene, so die UN.

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