Stadt im Belagerungszustand: Barcelona leidet unter Touristenhorden

Stadt im Belagerungszustand: Barcelona leidet unter Touristenhorden
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Von Hans von der Brelie mit Cote (Kamera), Smith (Schnitt), Redondo (Ton), Arcas (Produktionsassistenz)
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Die katalanische Regionalmetropole Barcelona stellt Jahr für Jahr Touristenrekorde auf. Das hat Folgen: Sauftouristen, illegale Zimmervermietung, Steuerbetrug, Preisdruck auf Mieten, Bürgerwut. Venedi

Auf der Jagd nach illegalen Absteigen

Alexandra und Federica sehen aus wie Touristen. Ein Spaziergang durch Barcelona? Falsch! Ganz falsch! Die beiden sind echte Profi-Schnüffler – auf der Jagd nach illegalen Touristen-Absteigen.

Schon Alexandras Urgroßvater war Privatdetektiv, 1927 gründete er die Detektei Oliver. Alexandra führt die Familientradition fort – in der vierten Generation. Frisch von der Detektiv-Schule hat sie heute einen ihrer ersten Außeneinsätze – zusammen mit Federika, einer knallharten Kriminalistin aus Italien.

Fast acht Millionen Übernachtungs-Touristen erwartet Barcelona in diesem Jahr, ein neuer Rekord. Viele buchen bei Privat – doch zahlreiche dieser Unterkünfte sind illegal

Alexandra ist fündig geworden: “Hier auf dem Türschild steht: Rechtsanwälte. Das hat absolut nichts mit der Realität zu tun. Diese Wohnung wird zweckentfremdet und als private Touristenabsteige missbraucht. Die Touristen kann man sogar durch die Tür hören.”

Eine blühende Schattenwirtschaft

Schon als Kind half Alexandra ihrem Papa beim Beschatten und Verfolgen. Seit drei Jahren schwemmt die illegale Zimmervermietung so richtig Kohle in die Kasse. 400 Fälle hat das Team schon gelöst. Es geht um Schwarzgeld und falsche Mietverträge mit Toten.

Der Trick ist einfach: Der Besitzer vermietet legal. Dann kommen die illegalen Untermieter. Ein Riesengeschäft – vor allem für die fast schon mafiös organisierten Strohmänner aus Osteuropa und Lateinamerika.

Wie sie vorgehen erklärt uns Josep Maria Oliver: “Mit einer einzigen illegalen Wohnung kann der Zwischenvermieter 25.000 oder 35.000 Euro jährlich machen, je nach Größe. Alles steuerfrei natürlich…. Bei einer meiner Ermittlungen bin ich einem illegalen Zimmervermittler auf die Schliche gekommen, der 50 nicht registrierte Wohnungen an der Hand hatte… Dem wurde das dann zu kompliziert… da hat er Pseudo-Mieter dazwischengeschaltet, seine Eltern, seine Freundinnen, sozusagen als Ablenkungsmanöver – und um das Geschäft zu diversifizieren…”

Stolz zeigt er uns seine Detektivausrüstung: das schwarze Kästchen sieht aus wie ein Mobiltelephon, ist in Wirklichkeit aber eine hochempfindliche Kamera. Während Josep Maria scheinbar telephoniert und sich dabei elegant auf den Schuhabsätzen mal nach links, mal nach rechts dreht, photographiert die hochauflösende Kamera auf Wunsch nach vorne, hinten, oben, unten… “Ein Bild sagt mehr als tausend Worte”, grinst Detektiv Oliver. Dann zeigt er uns sein “Sünder-Album” voll “falscher Mieter”.

Oft seien es die Wohnungseigentümer, die ihn beauftragten, erzählt Oliver, “denn die haben Angst vor den hohen Strafen”. Die müssen sie manchmal auch dann zahlen, wenn ihre legal vermietete Wohnung ohne ihr Wissen illegal weitervermietet wurde.

Neue Bürgermeisterin sagt Massentourismus den Kampf an

Die Stadtverwaltung von Barcelona will den Zustrom von Touristen begrenzen. Die frisch gewählte linksradikale Bürgermeisterin Ada Colau hat die Neuzulassung von Privatunterkünften und Hotels gestoppt – und das in einer Stadt, in der 120.000 im Tourismusgewerbe arbeiten… und dort 14 Prozent des Sozialproduktes erwirtschaften.

Barcelona's new mayor proposes tourism cap for Barcelona. http://t.co/fgXzdP98xF

— Epicurean Ways (@epicureanways) 19 Juin 2015

Die Kehrseite des Lizenz-Moratoriums

Der Touristenbus bringt uns in die Altstadt, zum modernistischen “Haus-Drachen” – entworfen von Antonio Gaudi. Direkt gegenüber haben wir eine Verabredung mit David Riba, Direktor einer legalen Vermittlungsagentur für Luxuswohnungen. Vor Jahren startete er mit einem Touristen-Zimmer – heute verwaltet er hundert.

Die Stadt sollte mehr Lizenzen ausgeben, sagt David. Das Moratorium der Links-Bürgermeisterin verurteilt er scharf: “Durch das neue Lizenz-Moratorium wird sich die Zahl der illegalen Zimmerangebote noch erhöhen. Das haben wir schon in der Altstadt beobachten können: hier gilt bereits seit zehn Jahren ein Vermittlungsstop für Privatunterkünfte… das Ergebnis: Leerstand; über hundert Gebäude stehen da nun völlig nutzlos herum…”

Nackte Touristen – erboste Anwohner

La Barceloneta – das ehemalige Fischerviertel. Hier begann der Protest gegen die Touristenschwemme. Nackte Italiener liefen durch Supermärkte. Die Anwohner demonstrierten.

Offiziell gibt es im Viertel nur 70 Zimmer von privat. Unter der Hand liegt das Angebot bei zweitausend… Nachbarschaftsvereine schätzen den Umsatz der illegalen Vermittler auf neun Millionen Euro. Nur hier im Fischer-Viertel…

Manel organisiert den Bürgerprotest. “Wir haben die Schnauze voll von Sauf-Touristen”, sagt er: “Ich habe eine zwölf Jahre alte Tochter und ich will nicht, dass die in so einem Umfeld aufwächst: Alkoholwerbung überall, Schnapsgeschäfte für Touristen… Die verkaufen Alkohol Tag und Nacht, ohne jegliche Kontrolle… Die besoffenen Touristen pinkeln in die Hauseingänge… morgens fallen wir im Treppenhaus über sturzbetrunkene Menschen, die dort ihren Rausch ausschlafen. Pisse auf den Bürgersteigen, vollgekotzte Bushaltestellen…”

Doch das ist nicht alles. “Früher haben die Leute hier im Fischerviertel 500 Euro Monatsmiete bezahlt, jetzt liegt das Preisniveau bei 200 Euro pro Nacht”, rechnet Manel vor. “Wer kann sich das noch leisten? Viele Nachbarn ziehen weg.” – Die Sozialstruktur des Viertels am Strand ändert sich radikal. Hier lebt man nicht mehr um zu leben, hier steigt man ab um zu saufen…

Strand, Sonne und jede Menge Abfall

Barcelona hat fünf Kilometer lange Traumstrände – im Sommer bevölkert von drei Millionen durstigen Touristen. Alkohol ist ein echtes Problem: die Männer vom Aufräumdienst sammeln schwitzend jeden Tag zweieinhalb Tonnen Flaschen und Bierdosen ein. Das hat seinen Preis: allein für die Strandreinigung gibt Barcelona jedes Jahr 1,4 Millionen Euro aus…

Putzmann Pedro erzählt uns von den nächtlichen Saufgelagen: “Der Alkoholmissbrauch führt zu komplett absurden Situationen… Ich entdecke zusammengebrochene Menschen auf dem Strand, manche schlafen, andere heulen, schreien, torkeln herum, nehmen mir meinen Wasserschlauch weg um sich damit abzuspritzen… fallen in Ohnmacht… andere prügeln sich… Na ja, so sieht mein Arbeitsalltag aus…”

Zimmer anbieten – Notanker für viele Familien

Die neue Links-Bürgermeisterin will Touristenzimmer in Sozialwohnungen umwandeln. Elizabeth ist dagegen. Sie gründete einen Vermieter-Verein. “Für uns ist das ein Rettungsanker”, sagt sie. Ob Kreditfalle, Scheidungsnotfall oder Jobverlust – “Mit der Vermietung von Privatzimmern retten viele das Familienbudget…” Doch illegales Vermieten ist riskant: die Strafen liegen zwischen neuntausend und 90.000 Euro.

Die Zimmeranbieter fühlen sich missbraucht. “Wir sind die Sündenböcke für die Fehler der Politiker”, sagt Elizabeth: “Die neue und auch die frühere Stadtverwaltung haben beschlossen, dass es keine zusätzlichen Privatlizenzen mehr gibt. Das ist schlecht für die Touristen, schlecht für uns Familien-Vermieter und Kleinunternehmer, schlecht für das Wachstum… es werden keine Arbeitsplätze geschaffen.”

Da ist beispielsweise der Fall einer alten Dame. Aus Angst vor der 90.000 Euro-Strafe möchte sie anonym bleiben. Als ihre Tochter starb, nahm sie ihre Enkelkinder bei sich auf. Die Wohnung der verstorbenen Tochter vermietete sie an Touristen – ohne sich um Bürokratie, Vorschriften und Behördenwege zu kümmern. Aus purer Not, sie lebt von der Mindestrente, muss ihre Enkelkinder durchfüttern. Einkommensschwache Menschen wie sie trifft das Lizenzmoratorium der linksradikalen Bürgermeisterin besonders hart.

Werfen wir noch einmal einen Blick auf die Statistik: Heute sind in Barcelona erstmals mehr Touristen privat untergebracht als in Hotels. Das ist neu. Die katalanische Regionalregierung reagierte und entschied: Private Zimmervermittler müssen sich registrieren lassen, Steuern zahlen – und die Nacht im Gebäude verbringen. Es geht um Erreichbarkeit im Notfall, um Verantwortung. Dieser Grundsatz – Eigentum verpflichtet – macht vorallem solchen Vermietern einen Strich durch die Rechnung, die an einer familiären “Bed-&-Breakfast”-Vermietung gar nicht interessiert sind, sondern vorallem auf Gewinnmaximierung aus sind. Um diese beiden Interessengruppen zu trennen – Privatvermieter von Geschäftemachern – hat die katalanische Regionalregierung auch ein Zeitlimit eingeführt: Über das Jahr gerechnet, dürfen Private ihr Zimmer höchstens vier Monate lang vermieten.

Barcelonas Identität in Gefahr?

Ist der Massentourismus mitverantwortlich für steigende Mietpreise? Elizabeth vom Vermieterverband sagt “Nein, das ist Quatsch”. Daniel in seinem alten Laden mit den bemalten Tonkacheln sagt “Klar, natürlich.” Je nach Interessenlage werden unterschiedliche Zahlen bemüht, widersprüchliche Statistiken zitiert…

Daniels Anglergeschäft wurde 1850 gegründet. Bald wird der Laden dichtgemacht – so wie all die Familienbetriebe im Viertel, verdrängt von Souvenirläden und modischen Cafés für Touristen.

Daniel klagt: “Das Viertel verliert sein Gesicht, seine Identität. – Die Geschäftsmieten wurden freigegeben, alles muss neu verhandelt werden. Die Lage ist hart: viele Geschäfte hier in der Nachbarschaft mussten schließen. Die neuen Geschäftsmieten sind einfach zu hoch. Für so eine Ladenfläche wie hier bei mir, muss man nun statt tausend Euro auf einmal 5000 Euro oder mehr zahlen.”

Barcelona struggles to balance tourism with mom and pop stores, http://t.co/mFY3nRDLmQlfrayer</a> <a href="https://twitter.com/hashtag/goodtourist?src=hash">#goodtourist</a> (that’s my market :)</p>&mdash; Liz Castro (lizcastro) 20 Juillet 2015

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<p>Und dann ist da noch das Kreuz mit den Kreuzfahrtschiffen, die allmorgendlich Tausende von Turbo-Touristen an Land spucken, die im Schnelldurchlauf alle Sehenswürdigkeiten abhaken und wenige Stunden später wieder ablegen. Geld bleibt da kaum in der Stadt.
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