"Gewonnen ist gewonnen": Deutsch-Türken nach dem Referendum

"Gewonnen ist gewonnen": Deutsch-Türken nach dem Referendum
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von Hüseyin Topel Ein Autokorso in Gelsenkirchen.

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von Hüseyin Topel

Ein Autokorso in Gelsenkirchen. An den Autos hängen türkische Fahnen und es gibt ein lautes Hupkonzert am Ostersonntag. Die Feierstimmung teilt nur eine Minderheit in der deutschen Gesellschaft, die Befürworter der Einführung eines Präsidialsystems in der Türkei. Die Ergebnisse der Wahlen in Deutschland zeigen, dass bei einer Gesamtwahlbeteiligung von 46,2% insgesamt 63% der Wähler mit Ja gestimmt haben. Demnach haben von den 1,4 Millionen wahlberechtigten Türken in Deutschland nur 415.000 Türken für die Verfassungsänderung gestimmt.

So oder so ist das Referendum in der Türkei vom vergangenen Sonntagabend mit einem verschwindend geringen Vorsprung zu Gunsten einer Verfassungsänderung zur Einführung eines Präsidialsystems in der Türkei zu Ende gegangen. Zahlreiche Einwände der Opposition und Videoaufzeichnungen von vermeintlichen Betrugsfällen bei den Wahlen konnten den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan nicht davon abhalten, seinen Sieg zu verkünden. Die erste Maßnahme Erdogans nach dem Referendum war es, den Ausnahmezustand erneut zu verlängern. Diese Maßnahme wird heftig kritisiert, da der noch repräsentative Präsident der Türkei dadurch ungestört mit Dekreten regieren kann und die für 2019 geplante Einführung des Präsidialsystems de facto vorziehen kann.

Im Schatten dieser Entwicklungen in der Türkei wurde auch in Deutschland ein harter Wahlkampf betrieben. Zahlreiche Türken und Kurden aus allen Lagern waren wochenlang auf das nun vergangene Referendum fixiert. Befürworter wie Gegner des türkischen Staatspräsidenten Erdogan haben sich überwiegend ehrenamtlich engagiert und für ihre Positionen geworben.

Dabei kam es auch bei den Wahlen in Deutschland zu Unregelmäßigkeiten. So kam es beispielsweise zu einer Manipulation am Düsseldorfer Konsulat. Ein aus der türkischen Religionsbehörde Diyanet entsandter Imam der DITIB-Gemeinde in Solingen veränderte das Wählerverzeichnis eines in Ankara registrierten Wählers auf unbefugte Weise. Laut einer türkischen Zeitung haben oppositionelle Wahlhelfer den Sachverhalt festgehalten. Das Konsulat räumte gegenüber der Solinger Morgenpost diese Unregelmäßigkeit ein.

In einem weiteren Fall verbreitete Ahmet Duran, Vertreter der Erdogan-nahen Organisation UETD in Duisburg, ein Foto in einem AKP Wahlkoordinationszentrum im Ausland mit einem Wahlzettel, noch bevor diese durch den Hohen Wahlausschuss (YSK) offiziell verteilt wurden. Nach öffentlicher Kritik entfernte der AKP-Engagierte sein Selfie aus den Sozialen Medien. Wie es zu solchen Unregelmäßigkeiten kommen konnte und welchen Einfluss das auf die Ergebnisse in Deutschland hatte, konnte bislang nicht aufgeklärt werden.

Auf der anderen Seite haben auch Gegner des Referendums wochenlang gearbeitet. Nurten Sevik zog gemeinsam mit ihren Freundinnen in Köln von Teestube zu Teestube, sie erklärten ihre Argumente für ein HAYIR (“Nein”). Die mutigen Frauen aus Köln konnten “Fragezeichen verursachen”, da die Ja-Sager oft nicht wussten, warum sie überhaupt dafür waren. Heute ist klar, dass ihr Einsatz nicht ausgereicht hat. Nurten Sevik bereut ihren Aufwand aber keinesfalls, “da alles für eine bessere und demokratisch stärkere Türkei gewesen ist. Außerdem hat sich immerhin die Hälfte der Nation gegen das Präsidialsystem entschieden. Das macht Hoffnung für die Zukunft.”

Anlass zum Feiern hingegen hat der 18-jährige Oguzhan Sancar aus Stuttgart. Entsprechend den Wahlergebnissen gehört der junge Deutsch-Türke zu der Wählergruppe, auf die sich Erdogan am ehesten verlassen konnte. Junge Deutsch-Türken, die sich an der Wahl beteiligten, haben sich mehrheitlich für die Verfassungsänderung eingesetzt; das zeigen die Ergebnisse aus Deutschland. Oguzhan Sancar erklärt, er sei gefesselt, da die Türkei unter Erdogan prosperiere. “Die meisten seiner Versprechen hat er eingehalten. Für unsere Zukunft haben ich und meine Familie mit einem JA gewählt.”, so der gebürtige Schwabe.

Trotzdem kann Oguzhan Sancar auch seine Enttäuschung nicht verbergen. Denn trotz Sieg, “waren die Ergebnisse schockierend knapp. Das hätte ich nicht gedacht.” Dieser Unmut macht sich auch bei der Elif Tabak bemerkbar. Die 21-jährige Kölnerin zeigt sich verärgert und doch zugleich erleichtert “Viel zu wenig, 51%. Es hätten mindestens 60% sein müssen. Aber gewonnen ist gewonnen”.

Das Referendum ist vorerst abgehakt, denn obwohl im Augenblick Kritiker und Oppositionelle die Ergebnisse anfechten wollen, feiern die Befürworter des Präsidialsystems ihren knappen Sieg. Spätestens seitdem Erdogan vor die Medien getreten ist und trotz vieler Unregelmäßigkeiten und Hinweisen auf schwerwiegende Manipulationen seinen Sieg verkündet hat, feiern auch die Deutsch-Türken ihren Staatspräsidenten im Ausnahmezustand. Am liebsten in lauten Autokorsos.

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