Nach Österreich und Malta: Wählen ab 16 bald in ganz Europa?

Jungwählerin Clarissa Groß aus Graz. Foto-Quelle: Clarissa Groß
Jungwählerin Clarissa Groß aus Graz. Foto-Quelle: Clarissa Groß
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Von Johannes Pleschberger
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In Österreich sind 16- und 17-Jährige bereits seit über 10 Jahren wahlberechtigt. Nicht nur immer mehr Länder und Regionen ziehen jetzt nach, sondern auch die EU:

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Seit über 10 Jahren dürfen in Österreich Jugendliche ab 16 Jahren bei allen Wahlen mitbestimmen. Nun ziehen nicht nur andere Länder und Regionen Europas nach, sondern selbst die EU und der Europarat sprechen sich offiziell für eine Senkung des Wahlalters aus. Euronews hat sich das österreichische „Erfolgskonzept“ Wählen mit 16 genauer angesehen und mit Expertinnen und Jungwählern vor Ort gesprochen.

Im März dieses Jahres senkte Malta das generelle Wahlalter von 18 auf 16 Jahre und ist damit nach Österreich das zweite EU-Land, in dem das nationale Wahlrecht ab 16 Jahren eingeführt wurde.

Der kleine Inselstaat ist aber nicht der Einzige, der dem Beispiel der Alpenrepublik folgt. In Deutschland sind 16- und 17-Jährige in mittlerweile zehn Bundesländern bei Kommunalwahlen wahlberechtigt. In Brandenburg, Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein dürfen sie sogar bei Landtagswahlen mitbestimmen. „Bei Regionalwahlen ist Wählen ab 16 zudem auch in Estland und Schottland möglich“, sagte Politikwissenschaftlerin Tamara Ehs im Gespräch mit Euronews. Die Vorsitzende der österreichischen Interessensgemeinschaft „IG Demokratie“ glaubt, dass Irland das nächste europäische Land sei, das ein generelles Wahlalter 16 einführen werde.

EU-Parlament will Senkung des Wahlalters europaweit

Das Europaparlament hatte bereits vor Jahren eine Resolution erlassen, die eine Senkung des Wahlalters in der ganzen EU fordert. Im Juni wurde eine diesbezügliche Änderung des europäischen Wahlgesetzes verabschiedet, die unter anderem eine generelle Empfehlung zur Senkung des Wahlalters beinhaltet. Diese Neuerungen müssen jetzt aber erst von den einzelnen Mitgliedstaaten ratifiziert werden. Auch der Europarat hat das Wahlalter 16 an all seine Mitgliedsländer empfohlen.

Ursprünglich hätten bereits bei den kommenden Europawahlen, 16- und 17-Jährige EU-weit mitbestimmen sollen. Dafür ist es jetzt aber aufgrund der verspäteten Umsetzung zu spät“, so Ehs. Für die Politik-Expertin ist Wählen mit 16 ein Erfolgskonzept, das aber eigentlich gar keine österreichische Erfindung ist: „Nicaragua und Brasilien etwa haben ihr Wahlalter bereits in den 80er-Jahren auf 16 herabgesetzt. Aber Österreich war immerhin in Europa Vorreiter.“

Warum ist Wählen ab 16 ein Erfolgskonzept?

„Durch die Senkung des Wahlalters setzen sich Menschen früher mit der parteiischen Landschaft auseinander. Gleichzeitig wird mehr in politische Bildung investiert.“ Außerdem sei laut Ehs die erste Wahl sehr wichtig, denn wenn diese von der Schule mit Information und Motivation begleitet werde, würden sich junge Menschen auch bei späteren Wahlen beteiligen. „Man setzt somit einen politischen Anker bei den jungen Bürgern“, so die Politikwissenschaftlerin.

Initiativen zur Absenkung des Wahlalters haben in Österreich eine lange Tradition: 1992 wurde das Wahlalter auf allen Ebenen von 19 auf 18 Jahre herabgesetzt. Acht Jahre später senkten fünf österreichische Bundesländer das Wahlalter bei Kommunal- und Regionalwahlen auf 16 Jahre. Weitere sieben Jahre vergingen, bevor 2007 die Regierung der Zentrumsparteien ÖVP und SPÖ bundesweit wählen ab 16 ermöglichten, und das bei allen Wahlen.

Wen wählen Österreichs 16-Jährige?

Wir haben eine junge Österreicherin getroffen, die 2010 zum ersten Mal gewählt hat: Clarissa Groß studiert Rechtswissenschaften und Germanistik in Graz und war damals 16 Jahre alt: „Ich hatte mich sehr darauf gefreut, schon mit 16 wählen zu dürfen. Ich finde es gut, dass die Jungen in Österreich mitentscheiden dürfen. Politik betrifft uns ja alle.“

Mittlerweile hat die 23-jährige bereits mehrmals ihren Stimmzettel abgegeben. Dabei hat Groß immer Parteien links der Mitte gewählt und liegt damit als junge Frau genau im Trend. In Österreich gibt es nämlich bei Jungwählern Geschlechterunterschiede bei den Wahlpreferenzen. „In der Altersgruppe 16-25 Jahre wählen junge Frauen eher mitte-links und junge Männer eher mitte-rechts“, sagte Sylvia Kritzinger, Professorin am Institut für Politikwissenschaften der Universität Wien, im Euronews-Interview. Wobei es hierbei nur wenige Umfragen mit großen Schwankungsbreiten gebe, fügte Kritzinger hinzu.

"Ich wähle die FPÖ! Die sind cool", sagte der 17-jährige Lukas zu Euronews. WIr haben ihn und zwei seiner Freunde im Wiener Einkaufszentrum Lugner City getroffen. Alle drei haben bei der letzten Wahl ihr Kreuz bei den Rechtspopulisten gemacht. "Die machen wenigstens was und kritisieren nicht nur dauernd", erklärt Lukas seine Wahlpreferenz. Seine Freunde scheinen dem zuzustimmen.

Gehen Jüngere lieber wählen als Ältere?

Laut Kritzinger können bei der Wahlbeteiligung folgende Tendenzen festgestellt werden: „In Österreich schreiten 16- und 17-Jährige zwar seltener zur Urne als zum Beispiel die Altersgruppe 30+, aber immerhin wählen sie öfters als die Altersgruppe 18-21. Das liegt am persönlichen Umbruch in diesem prägenden Alter zwischen 18 und 21 Jahren, wo viele aus dem Elternhaus ausziehen.“

Deshalb sei es wichtig, junge Leute in den politischen Prozess miteinzubeziehen, besonders bevor sie diesen persönlichen Umbruch erleben und auf sich alleine gestellt sind, so Kritzinger. „Aber man muss junge Erstwähler gut vorbereiten. Wobei das eigentlich für alle Altersgruppen gelten sollte. Aber in der Schule ist das leichter möglich. Deshalb denke ich, dass nichts gegen ein Wahlalter 16 in Europa spricht.“

Genügend politische Bildung in Schulen?

Tamara Ehs ist zwar überzeugt, dass das politische Interesse durch eine Wahlaltersenkung gesteigert werde. Es gebe aber einen Gender-Gap bei 18-20-Jährigen: „Junge Männer sind hier eher politisch interessiert, junge Frauen hingegen weniger, denn sie schätzen ihr politisches Wissen schlechter ein. Dabei haben junge Frauen laut Tests das gleiche Wissen wie ihre männlichen Altersgenossen. Sie haben einfach eine geringere Selbsteinschätzung“, so Ehs.

Die Grazerin Clarissa Groß sei bereits vor ihrer ersten Wahl mit 16 sehr politikinteressiert gewesen: „Ich hatte sogar das Wahlpflichtfach Politische Bildung besucht. Trotzdem hatte ich nicht das Gefühl, genug zu wissen.

Es braucht mehr politische Bildung in den Schulen. Ich finde nicht, dass wir genügend Informationen vermittelt bekommen haben.“ Auch ihren Klassenkameraden sei es ähnlich ergangen, sagte Groß.

Aus 16-Jährigen „habituelle Wähler“ machen

Die Herabsetzung des Wahlalters habe Österreichs politische Landschaft zwar an sich nicht wirklich verändert, so Kritzinger. Aber: Eine wichtige Veränderung sei gewesen, junge Personen früh in den politischen Prozess einzuführen. „Mit einem niedrigen Wahlalter kann man Junge sozusagen politisch erziehen, sie zu habituellen Wählern machen und das Ganze im Schulunterricht begleiten.“

Immerhin, laut dem aktuellen Eurobarometer rangieren Österreich und Italien bei der Wahlbeteiligung von 15-30-Jährigen auf dem ersten Platz. Demnach haben 79 Prozent der jungen Österreicher angegeben, in den letzten drei Jahren bei Kommunal-, Regional- oder nationalen Parlamentswahlen mitgestimmt zu haben. Der europäische Durschnitt liegt bei 64 Prozent.

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