Obdachlosigkeit in England: Traurige Rekordanzahl von Notunterkünften

Ein Obdachloser in Manchester, wo Bürgermeister Andy Burnham in seiner Wahlkampagne 2017 versprach, die Stadt von der Obdachlosigkeit zu befreien
Ein Obdachloser in Manchester, wo Bürgermeister Andy Burnham in seiner Wahlkampagne 2017 versprach, die Stadt von der Obdachlosigkeit zu befreien Copyright Ryan Jenkinson/SOPA Images/LightRocket via Getty Images
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Von Saskia O'Donoghue
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Dieser Artikel wurde im Original veröffentlicht auf Englisch

Aus neuen Daten geht hervor, dass die Gesamtausgaben für Obdachlosigkeit in England seit 2021/22 um 10,5 % gestiegen sind.

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Zwischen April 2022 und März dieses Jahres wurden etwa 298 430 Haushalte in England obdachlos, beziehungsweise waren von Obdachlosigkeit bedroht, darunter 104 460 Familien mit Kindern 

Das geht aus den neuesten Zahlen der Regierung hervor und auch, dass die Zahl der Haushalte in Notunterkünften mit 104 510 den höchsten Stand aller Zeiten erreicht hat.

Die Daten, die vom Ministerium für Wohnungswesen und Kommunen (DLUHC) veröffentlicht wurden, zeigen auch, dass die Zahl der Menschen, die von Obdachlosigkeit bedroht sind, weil sie einen so genannten "unverschuldeten" Räumungsbescheid erhalten haben, um 27,4 Prozent auf 24 260 gestiegen ist.

Im gleichen Zeitraum stieg auch die Zahl der Personen, die von den lokalen Behörden als obdachlos eingestuft wurden, undzwar um 30,5 Prrozent.

In einer im vergangenen Jahr veröffentlichten Strategie versprach die konservative Regierung "ambitionierte Verpflichtungen" zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit sowie 2 Mrd. Pfund (2,29 Mrd. Euro) an Finanzmitteln für die nächsten drei Jahre.

Sie sagte auch, dass sie zwischen 2022 und 2025 eine weitere Milliarde in die Obdachlosenprävention investieren würde, die den lokalen Behörden helfen soll, mit Vermietern zusammenzuarbeiten, um Zwangsräumungen zu verhindern, und die Menschen bei der Suche nach einer neuen Wohnung und dem Auszug aus einer Notunterkunft finanziell unterstützen soll.

Viele stellen nun in Frage, ob die Regierung diese Versprechungen eingehalten hat oder nicht.

Allein in London trägt die Bewältigung der Obdachlosenkrise zu einem Defizit von 500 Millionen Pfund (547 Millionen Euro) in den Haushalten der Stadtverwaltungen bei.

Die drastischen Ergebnisse gehen einher mit weiteren vom DLUHC veröffentlichten Zahlen, aus denen hervorgeht, dass die Stadtverwaltungen in ganz England im vergangenen Jahr einen Rekordbetrag für die Bekämpfung der Obdachlosigkeit ausgegeben haben.

Mindestens 2,4 Mrd. Pfund (2,75 Mrd. Euro) wurden 2022/23 dafür ausgegeben, wobei der Löwenanteil, mehr als 1,7 Mrd. Pfund (1,95 Mrd. Euro) davon, in die Finanzierung von Notunterkünften floss.

Die am stärksten betroffenen Gebiete waren der Nordwesten und der Nordosten Englands. Die Stadt Manchester ist eine der am stärksten von Obdachlosigkeit betroffenen Regionen Englands. Nach Schätzungen einer örtlichen Wohltätigkeitsorganisation hat dort eine von 80 Personen keinen festen Wohnsitz.

Den stärksten Anstieg der Obdachlosigkeit seit dem letzten Jahr verzeichnete die Stadt Liverpool.

Dort stiegen die Kosten für die Bekämpfung der Obdachlosigkeit in nur einem Jahr um 341 Prozent.

In der Stadt Warrington, die zwischen Liverpool und Manchester liegt, stiegen die Kosten um 210 Prozent, und in den Städten Darlington und Wolverhampton verdoppelten sich die Kosten.

Ein Obdachloser in Hastings vor einem Wandgemälde, das die normannische Invasion Englands im Jahr 1066 darstellt.
Ein Obdachloser in Hastings vor einem Wandgemälde, das die normannische Invasion Englands im Jahr 1066 darstellt.Dukas/Universal Images Group via Getty Images

In Hastings, einer Küstenstadt im Südosten des Landes, ist die Lage ebenfalls besonders düster.

Bei einer Einwohnerzahl von 92 000 leben etwa 523 Haushalte in Notunterkünften - die meisten von ihnen sind gezwungen, in Unterkünften zu wohnen, die von privaten Anbietern auf Nachtbasis zur Verfügung gestellt werden.

Hunderte weitere stehen auf einer Warteliste für dringende Unterkünfte.

"2019 haben wir 730 000 Pfund (838.000 Euro) für Notunterkünfte ausgegeben. 2022/23 waren es 4,5 Millionen Pfund (5,2 Millionen Euro), und für 2023/24 werden 5,6 Millionen Pfund (6,4 Millionen Euro) prognostiziert", so ein Sprecher der Stadtverwaltung gegenüber Euronews.

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Der Nettohaushalt der Stadt Hastings belief sich 2010/11 auf 22,9 Millionen Pfund (26,2 Millionen Euro). Dieser Betrag ist im Zeitraum 2022/3 um 28 Prozent auf 16,5 Mio. Pfund (19 Mio. Euro) gesunken.

Die direkte staatliche Unterstützung - oder Zuschüsse - belief sich 2010/11 auf 15,9 Mio. £ (18,2 Mio. €) und wird bis 2022/23 auf nur noch 1,5 Mio. £ (1,7 Mio. €) sinken - ein Rückgang um mehr als 90 Prozent.

Während die Regierung immer wieder beteuert, dass sie alles in ihrer Macht Stehende tut, um das Problem anzugehen, sagen viele Stadtverwaltungen in ganz England, dass sie einfach nicht genug Personal haben, um die enorme Zahl der Fälle zu bewältigen, die ihnen durch die Obdachlosenkrise aufgebürdet wird.

Das DLUHC hat seinerseits darauf hingewiesen, dass eine Fallzahl von höchstens 30 erforderlich ist, um "den Beamten die Möglichkeit zu geben, Präventionsarbeit zu leisten", und sie hat "ihre Besorgnis" darüber geäußert, dass andernorts "Fallzahlen von 75 erreicht werden"; die Gemeinden selbst wiederum berichten, dass die Beamten gezwungen sind, jeweils über 165 Fälle zu übernehmen.

Nach der Veröffentlichung der Zahlen erklärten eine Reihe von Wohlfahrtsverbänden in ganz England, dass die neuesten Zahlen zeigten, dass es dringend notwendig sei, das Wohngeld zu erhöhen.

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Diese Ansicht teilt auch der Schattenminister für Obdachlosigkeit und Gebäudesicherheit.

In seiner Rede auf dem Labour-Parteitag in Liverpool letzte Woche erklärte der Unterhausabgeordnete Mike Amesbury, dass die Definition von erschwinglichem Wohnraum geändert werden sollte, damit sie sich auf "das wahre Einkommen der Menschen und ihr Haushaltsbudget bezieht".

Amesbury argumentierte, dass die Definition von erschwinglichem Wohnraum von der konservativen Regierung mutwillig zerstört worden sei.

Da die Labour-Partei als künftige Regierung angesehen wird, hoffen die Stadträte, dass deren Engagement für die wachsende Obdachlosenkrise deutlich stärker sein wird als das der Konservativen.

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