Baerbock: "Die Europäische Union ist verwundbar, wenn sie sich nicht erweitert"

Annalena Baerbock auf der Berliner Konferenz zur EU-Erweiterung, 2\. November 2023
Annalena Baerbock auf der Berliner Konferenz zur EU-Erweiterung, 2\. November 2023 Copyright JOHN MACDOUGALL/AFP
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Von Mared Gwyn Jones
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Dieser Artikel wurde im Original veröffentlicht auf Englisch

Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock sagte, die Europäische Union müsse sich erweitern, um zu vermeiden, dass alle Menschen auf dem europäischen Kontinent verwundbarer werden.

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"Putins Moskau wird weiterhin versuchen, nicht nur die Ukraine von uns zu trennen, sondern auch Moldawien, Georgien und den westlichen Balkan", sagte Baerbock am Donnerstag in einer Rede.

"Wenn diese Länder von Russland dauerhaft destabilisiert werden können, dann macht uns das auch verwundbar, dann macht es uns alle verwundbar. Wir können uns keine Grauzonen in Europa mehr leisten", fügte sie hinzu.

Baerbock sprach in Berlin vor 17 Außenministerinnen und -ministern aus EU- und Kandidatenländern, darunter der ukrainische Minister Dmytro Kuleba. Thema der Konferenz in der deutschen Hauptstadt: die EU-Erweiterung.

Der Krieg in der Ukraine hat die EU dazu gezwungen, die festgefahrene Debatte über die Erweiterung wieder aufzunehmen.

Die Europäische Kommission wird nächste Woche eine jährliche Bewertung der Fortschritte der Beitrittskandidaten bei der Umsetzung der wichtigsten institutionellen, justiziellen und wirtschaftlichen Reformen veröffentlichen, die notwendig sind, um für die EU-Mitgliedschaft geeignet zu sein.

Aber die Union muss auch ihren eigenen institutionellen, finanziellen und Entscheidungsfindungsrahmen gründlich überdenken, um sicherzustellen, dass sie mit mehr Mitgliedern effizient bleibt. Der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel, hat das Jahr 2030 als Frist für die Vorbereitung der EU auf die Erweiterung genannt, doch die Kommission hat sich von einem solchen Zeitplan distanziert.

In ihrer Rede drängte Annalena Baerbock die EU zu mutigen Reformen, die für einen raschen Beitritt von Kandidatenländern wie der Ukraine erforderlich seien. Sie bezeichnete die Erweiterung als entscheidend für den Erhalt des geopolitischen Einflusses der EU und die Festigung ihrer Einheit: "Wenn wir diese Länder im Beitrittsprozess unterstützen, um ihre demokratischen Institutionen zu stärken, ihre Widerstandsfähigkeit zu verbessern und den Menschen wirtschaftliche Perspektiven zu bieten, dann schließen wir nicht nur eine geopolitische Flanke, sondern wir stärken unsere Gemeinschaft", sagte Baerbock.

In Anlehnung an die Vorschläge eines von Frankreich und Deutschland in Auftrag gegebenen Berichts sprach sie sich auch dafür aus, den derzeitigen "Alles-oder-Nichts"-Ansatz zugunsten einer schrittweisen Integration aufzugeben, so dass die Bürger der Kandidatenländer die Vorteile der EU-Mitgliedschaft bereits spüren, bevor sie vollwertige EU-Bürger werden:

"Manchmal können scheinbar kleine Dinge eine große Wirkung haben (...) zum Beispiel Studenten aus Nordmazedonien, Serbien und der Türkei, die mit Erasmus-Stipendien in der Europäischen Union studieren können", sagte sie und schlug vor, den Beitrittskandidaten weitere "praktische" Vorteile wie kostenloses EU-Roaming und vereinfachte Visaverfahren anzubieten.

Baerbock äußerte auch ehrgeizige Ideen, wie die EU ihre Institutionen reformieren könnte, einschließlich der Abschaffung des derzeitigen Systems, bei dem jedem Mitgliedstaat ein eigener Kommissar zugewiesen wird, der einen Schlüsselaspekt der EU-Politik überwacht.

Deutschland sei bereit, auf seinen Kommissar für einen bestimmten Zeitraum zu verzichten und schlug ein rotierendes System von Kommissaren vor. Das allerdings wäre für kleinere Mitgliedsstaaten wohl eher schwer vorstellbar. Eine Alternative wäre die Aufteilung der größten Kommissionsressorts - wie Wirtschaftspolitik oder Außenpolitik - auf eine Gruppe von Kommissaren, die verschiedene Mitgliedstaaten vertreten.

In Anspielung auf die Meinungsverschiedenheiten zwischen hochrangigen EU-Beamten im Zusammenhang mit der inkohärenten Reaktion des Blocks auf den Krieg zwischen Israel und Hamas sagte Baerbock, dass "Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten" geklärt werden sollten:

"Ist es wirklich hilfreich, wenn ausländische Gesprächspartner nicht wissen, ob sie die Präsidentin der Kommission, den Präsidenten des Europäischen Rates oder den Hohen Vertreter zu solchen geostrategischen Fragen einladen sollen, wenn sie über ihre Beziehungen zur EU sprechen wollen?".

Kandidaten warnen vor "Frustration"

In einer Debatte mit Baerbock und den Außenministern Sloweniens und Nordmazedoniens warnte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba die EU davor, ihre eigenen Reformen zu nutzen, um den Beitritt der Ukraine zu verzögern.

"Ich denke, die Falle, die wir alle gemeinsam vermeiden müssen, um erfolgreich zu sein und die EU zu einem stärkeren Akteur in der Welt zu machen, ist Frustration", sagte er. Die Unfähigkeit der EU, eine Mitgliedschaft zu versprechen, habe in der Ukraine Frustration ausgelöst, und die Unfähigkeit der EU, ihr Beitrittsversprechen einzulösen, habe dieselbe Frustration in den westlichen Balkanländern gesät.

"Jetzt müssen wir den Erweiterungs- und Reformprozess so gestalten, dass eine langwierige Reform der Europäischen Union nicht zu Frustrationen führt", erklärte Kuleba. "Wir müssen vermeiden, dass die Reform der EU auf die eine oder andere Weise als Argument für eine Verzögerung der Erweiterung benutzt wird."

Der Außenminister Nordmazedoniens, Bujar Osmani, forderte ebenfalls eine schrittweise Integration in den Block, um seiner Bevölkerung zu versichern, dass die EU es mit der Erweiterung ernst meint.

Er sagte, der Beitrittsprozess Nordmazedoniens sei "entgleist", obwohl sein Land jahrelang der "beste Schüler in der Klasse" gewesen sei: "Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass die Ursachen für die Frustration in der Konzentration auf die formale Mitgliedschaft selbst liegen", sagte Osmani, "deshalb haben wir das Konzept einer stärkeren Integration vor der Mitgliedschaft gefördert."

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Osmani warnte auch davor, dass es "bösartige" Akteure gibt, die versuchen, die Frustration der Kandidatenländer über mangelnde Fortschritte auf dem Weg zur EU-Mitgliedschaft auszunutzen.

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