Demokratieverdruss in Europa - kein Kraut gewachsen?

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Die Einwohner Europas für die gemeinsame Idee zu begeistern ist nicht ganz einfach. Den Kontinent durch mehr Teilhabe der Bürger aus der aktuellen Krise zu führen, erweist sich als schwierig. Trotzdem ist die Europäische Kommissionsvizepräsidentin und Kommissarin für Justiz Viviane Reding überzeugt, dass die Zukunft Europas in der Teilhabe der Bürger liegt. Euronews-Reporter Paul Hackett hat in Brüssel mit ihr über die am 9. Mai gestartete Bürgerkonsultation der Kommission und über die politische Lage in Rumänien gesprochen.

Paul Hackett, Euronews: Willkommen und danke, dass Sie bei uns sind. Sprechen wir über die jüngste Bürgerkonsultation der Kommission. Ziel ist es, innerhalb von vier Monaten mehr über die Hindernisse zu erfahren, denen Europäer bei der Ausübung ihrer garantierten Bürgerrechte gegenüberstehen. Die gesammelten Informationen sollen, so sagen Sie, in Zukunft den künftigen Fahrplan zur weiteren Ausgestaltung der Unionsbürgerrechte beeinflussen. Angesichts der existenziellen Krise Europas, was versprechen Sie sich davon?

Viviane Reding: Europa ist unser gemeinsames Haus. Am Bau sollen aber nicht nur Politiker teilhaben, die dann den Bürgern das Gebäude schlüsselfertig übergeben. Im Gegenteil: Alle Bürger müssen mitbauen. Viele Probleme in Europa konnten doch nur entstehen, weil wir das Volk nicht befragt haben. Es geht um 500 Millionen Menschen und es ist höchste Zeit, sie nach ihrer Meinung zu fragen.

EN: Aber kann diese Konsultation dem großen Demokratiedefizit in Europa Abhilfe schaffen?

VR: So konnte das Demokratiedefizit doch überhaupt erst entstehen, weil die Bürger – gerechtfertigt oder nicht – den Eindruck hatten, dass niemand Interesse an Ihrer Meinung hat. Wie gesagt ist es also höchste Zeit das zu ändern und das sind nun die ersten Schritte – die Konsultation in den Städten und Dörfern. Bei der nächsten Europawahl, wenn die Bürger ihre Parlamentarier bestimmen, werden sie wissen, warum sie diesen oder jenen wählen.

EN: Schön und gut. Aber das wird dauern. Die Zeit die aktuellen Probleme Europas zu lösen aber ist knapp!

VR: Und deshalb fangen wir jetzt endlich damit an. Bei den nächsten Wahlen sollen die Menschen wissen, warum sie wen wählen. Nämlich damit sie die Bürger in einem gestärkten Europäischen Parlament vertreten.

EN: Wenn ich Sie unterbrechen darf. Sie wissen doch sehr wohl, dass die Wahlbeteiligung bisher bei jeder Europawahl schwach war. Die Menschen fühlen sich dem Europäischen Parlament nicht verbunden.

VR: Absolut, ja. Das Europäische Parlament hat die Macht das Volk zu repräsentieren und das Volk selbst weiß es gar nicht. Deshalb es ist auch so wichtig, dass das Volk in diesem neuen Europa die eigenen Machtbefugnisse auch wahrnimmt. Wir müssen vor allem die Menschen, die heute unter dreißig sind mit Europa verbinden, damit sie daran mitbauen können.

EN: Aber schauen Sie sich doch die aktuelle Situation in Europa an. Extremistische Parteien blühen auf, wie beispielsweise die Bewegung “Goldene Morgedämmerung” in Griechenland. Sorgt es Sie nicht, dass es offenbar nicht genug Demokratie gibt in Europa? Die Menschen wollen sich nicht mehr auf Europa verlassen und deswegen wenden Sie sich solchen Parteien zu.

VR: Genau deswegen müssen wir Antworten geben! Dabei darf es aber nicht um leere Versprechungen gehen. Es muss dabei sehr bodenständig zugehen. Politiker müssen raus und den Menschen zuhören, den Austausch suchen.

EN: Hören die denn zu?

VR: Wir fangen ja gerade erst an, die Menschen einzubeziehen, ihnen das Gefühl von Zugehörigkeit und Verantwortung zu geben. Wenn Menschen sich den extremistischen und populistischen Stömungen zuwenden, sind sie verzweifelt, weil sie nicht gehört werden. Niemand registriert was sie glauben und deswegen müssen wir rausgehen und zuhören. Wir wollen zeigen, dass wir uns kümmern und wissen wollen, was sie glauben, wovon sie träumen und welches gemeinsame Europa sie sich wünschen.

EN: Lassen Sie uns über Rumänien sprechen. Wie besorgt sind Sie angesichts der momentanen politischen Lage im Land?

VR: Sehr, wie auch die gesamte Kommission und der Rat. Die Reaktionen waren ja sehr deutlich. Demokratie ist ein hohes Gut, das es zu bewahren gilt. Wir brauchen unabhängige Gerichte. Verfassungsgerichte können nicht einfach demontiert werden. Wir müssen die Aussagen dieser Gerichte respektieren.

EN: Der rumänische Ministerpräsident Ponta soll seine Versprechen einhalten. Was kann Europa tun?

VR: Nun, ich denke, dass da viel passiert ist. Letztlich wurde die Gerichtsentscheidung umgesetzt. Nun scheint es ruhig zu sein. Es ist zwar noch immer nicht perfekt, aber zumindest ist es in Rumänien während der letzten Zeit nicht zum Äußersten gekommen.

EN: Mir ist nicht ganz klar, ob Ministerpräsident Victor Ponta wirklich zuhört.

VR: Er ist der Ministerpräsident einer regulär gewählten Regierung. Und so muss er seine Rolle auch spielen: Jede Demokratie, welche Regierung auch immer die Macht in Händen hält, muss die demokratischen Grundregeln des Landes akzeptieren. Dafür arbeiten wir. Ich bin froh zu sehen, dass die Kommission, der Ministerrat und das Europäische Parlament zusammen “Nein” sagen. Demokratie muss geschützt werden, egal wer gerade regiert.

EN: War es rückblickend ein Fehler Länder wie Rumänien in die EU aufzunehmen?

VR: Die Europäer haben damals eine historische Entscheidung getroffen. Als Europa nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Diktaturen wieder zusammenfand, haben wir diesen Ländern eine Zukunft versprochen. Demokratie ist eine Anstrengung. Das alte Europa hatte Jahrzehnte zu lernen, wie Demokratie funktioniert. Die neuen Mitgliedsstaaten müssen in der Praxis lernen dürfen. Wir müssen ihnen in diesen wenigen Jahren zu Seite stehen, ihnen eine Chance geben. Europa ist eine demokratische Struktur.

EN: Europa könnte also auch mit einer Diktatur in seiner Mitte leben?

VR: Nein. Das glaube ich nicht. Das ginge in Europa nicht. Eines ist klar: Europa ist demokratisch. Ein Staat aus Staaten und so wird es auch weitergehen und wir unterstützen das.

EN: Frau Kommissarin, vielen Dank.

http://ec.europa.eu/justice/opinion/your-rights-your-future/

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