Der neue Informationskrieg der israelischen Armee

Der neue Informationskrieg der israelischen Armee
Copyright 
Von Euronews
Diesen Artikel teilenKommentare
Diesen Artikel teilenClose Button

In jedem Krieg stirbt die Wahrheit zuerst.
Die Kriegsparteien haben gegenteilige Vorstellungen von Wahrheit und Lüge – sonst würden sie sich ja nicht so heftig bekämpfen. Eines der neuen Schlachtfelder der israelischen Armee ist ein Computerraum, in dem vornehmlich Soldatinnen die israelische Sicht der Dinge aufbereiten. Hierher wurde der euronews-Reporter Luis Caballo eingeladen. Zu tun hat das womöglich auch mit dem jüngsten Hackerangriff von “Anonymus”, wobei auch Daten der Armee öffentlich gemacht wurden. Armeesprecherin Oberstleutnant Avital Liebovich bezeichnet es als Ziel dieser Arbeit, die internationale Öffentlichkeit zu erreichen. Und zwar mit Informationen, die dem widersprechen, was sie die “Mainstream-Medien” nennt. “Wir wollen die Öffenlichkeit beeinflussen so gut wir können, indem wir unsere Informationen verbreiten”, sagt sie.

120+ trucks of supplies from #Israel are waiting at #Gaza border crossing. #Hamas is firing rockets at the crossing. Trucks can't enter now.

— IDF (@IDFSpokesperson) Novembre 20, 2012

Und zu diesem Zweck hat die israelische Armee gezielt Informatik-Studenten angeworben. Seit 2008 auch aus der jüdischen Diaspora. Mehr als 300 solcher jungen Fachleute bilden diese neue Einheit der israelischen Armee.
Die Armeesprecherin betont den Unterschied zwischen militärischer Organisation und sozialen Netzwerken. Das beginne bei der Sprache, die beim Militär knapp und präzise sein müsse, während in den Netzwerken Interaktion und Emotionalität eine wichtige Rolle spielten. Da sei es ein großer Vorteil, junge Leute wie den 18jährigen Topaz zu haben, dessen Kreativität die Armee nun nutzen könne. Und der erklärt dem euronews-Reporter voller Begeisterung, wie er gleichzeitig in Englisch, Französisch und Spanisch seine Informationen zu Zivilisten im Gazastreifen bringe, verweist auch auf die französisch-sprachige Facebook-Seite.
Natürlich wird alles von der Armee zensiert, was hier herausgeht. Für die jugendlichen Cyber-Kämpfer, die hier via Internet in einem echten Krieg mitkämpfen können, eine normale Sache.
200.000 mal sei ihre Seite schon angeklickt worden, verkünden die zufriedenen Verantwortlichen der Armee. Seit nicht mehr wie zu Goethes Zeiten nur “…fern in der Türkei die Völker aufeinanderschlagen…” ist
Information zu einer wichtigen Kriegswaffe geworden.

How long is #15seconds? That's all some residents of southern #Israel have before the rocket hits. youtube.com/watch?v=gsm-mE…

— IDF (@IDFSpokesperson) Novembre 19, 2012

euronews-Reporter Luis Caballo steht in jerusalem und sagt: “Diese Mauern haben schon seit Jahrhunderten Kämpfe gesehen. Der aktuelle wird einerseits mit lange bekannten Waffen ausgefochten – dazu aber kommt eine ganz neue Waffe zum Einsatz. Das Internet. Damit will Israel einen alten Makel wettmachen – das Land hat viele Waffengänge gewonnen, den Kampf um die Köpfe weltweit dann aber verloren.
Euronews-Reporter Luis Caballo trifft Yuval Dror, einen israelischen Experten für neue Medien und Kommunikation, der am College für Management von Rishon Letzion lehrt, in der Nähe von Tel Aviv.
Der sagt: “Soziale Medien haben zwei Botschaften:
bei der ersten geht es um Konversation, das ist keine Einbahnstraße, Konversation funktioniert immer in beide Richtungen. Daran will die israelische Armee teilhaben. Die zweite Botschaft besagt: weg von der Vermittlerrolle eines Sprechers oder Moderators in traditionellen Medien, denn der vertritt nicht die Position der israelischen Armee.”
Dror meint, ein Risiko beim Benutzen sozialer Medien bestehe darin, dass der Krieg verharmlost werde. Er sagt: “Ich kann Twitter verstehen, auch Facebook… aber Tumblr? oder Flickr?? Vielleicht hat das mit deren Teenager-Stil zu tun. Nachdem ich alles betrachte, meine ich aber, das hier ist ein Krieg, da sind Opfer, eine Menge Zerstörungen – und das wird dann wohl zu sehr vereinfacht. Es gibt reichlich Kritik zu der Frage, ob soziale Medien wirklich der richtige Ort für so eine Thema sind.”
Yuval Dror sieht es als einen Präzedenzfall an, den die israelische Armee damit für andere Armeen, Organisationen oder Staaten schaffe. Er betont:
“Nie zuvor hat eine Armee derart intensiv soziale Medien genutzt. Und das hier ist sicher erst der Anfang, weil es sich um neue Medien handelt.

Die Zielgruppe ist da, wir wissen, dass es sich um Millionen oder gar Milliarden Menschen handelt, die auf Facebook kommunizieren, wo immer sie sich befinden. Das hat es erstens vorher nicht gegeben und zweitens wird die israelische Armee jetzt Nachahmer finden.”
Bleibt die Frage, ob die Strategie aufgehen wird.
Kann clevere Kommunikation – sprich: gut verpackte Propaganda – die Wirkung der Bilder von verletzten Kindern in Gaza verdrängen? Der Experte dazu:
“Nehmen wir Ihr Beispiel vom zerstörten Haus,
in dem viele Bewohner getötet wurden. Eine Sichtweise ist: Schaut her, wie viele Kinder hier getötet wurden. Die andere Sichtweise könnte sein:

vielleicht hielten sich in diesem Haus Terroristen auf, die sich hinter den unschuldigen Zivilisten versteckten. Und weil die israelische Armee das erkundet hatte, beschoß sie dieses Haus.
So haben Sie die gleiche Sache von zwei Seiten betrachtet. In jüngster Zeit wird der israelischen Armee oft vorgeworfen, etwas zu verschweigen.
Hier geht die Armee nun mit ihrer Version direkt auf ihre Zielgruppe zu. Ob das helfen wird? Ich weiß es nicht. Es ist ein netter Versuch.”

Diesen Artikel teilenKommentare

Zum selben Thema

19 Mrd US-Dollar Schaden: "Gaza ist wie Deutschland im Zweiten Weltkrieg"

283 Leichen in Chan Junis: Die Suche nach Angehörigen geht weiter

Israels Beschuss von Gaza am Montag - Immer mehr Leichen in Massengrab in Chan Junis entdeckt