Wird Syrien heute, was Afghanistan vor 25 Jahren war?

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Von Euronews
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Bei all dem Chaos, in dem Syrien derzeit versinkt, gibt es nur eine gesicherte Wahrheit: Es sterben jeden Tag Menschen. Beteiligte und Unbeteiligte.
Geschätzt wird die Zahl der Toten auf 42.000, seit im März 2011 der Aufruhr des “arabischen Frühlings” auch die syrischen Freihheitsgefühle aufblühen ließ.
Lange Zeit hieß es nur: Die Rebellen kämpfen gegen die Armee von Assad. Seit Ende 2011/ Anfang 2012 ist auch immer mehr von radikalen islamistischen Kämpfern die Rede, auch von Al-Kaida. Zu Tausenden sollen sie nunmehr mitmischen im syrischen Bürgerkrieg. Bilder aus einem ihrer Ausbildungslager. Der Akzent des Ausbilders deutet auf seine herkunft aus Algerien oder Tunisien hin. So spricht man in Nordafrika.
Viele Al-Kaida-Leute sind aus dem Irak gekommen, um nun hier unter dem Namen “Front Al-Nosra” gegen die Ungläubigen zu kämpfen. Auf ihre Konto gehen auch die meisten der Selbstmordattentate, die in Syrien schon hohe Vertreter des Staates trafen. Einer ihrer regionalen Kommandeure nennt sich Scheich Abu Ahmed. “Abu” ist das arabische Wort für “Vater”, auch alle Kampfnamen der Palästinenser begannen mit “Abu”, “Abu Mazen” war der Kampfname des heutigen Palästinenserpräsidenten Mahmud Abbas.
Dieser Abu Ahmed dürfte dem Akzent nach aus dem südlichen Irak oder aus der Golfregion stammen. Er sagtt: “Wir sind aus tiefstem Herzen gegen dieses Regime. Seit der arabische Frühling begann, waren wir die ersten im Dienste der Revolution.”
Der neue Al-Kaida-Führer Ayman al-Zawahri hatte seine Anhänger im Februar 2012 aufgerufen, den Kampf in Syrien zu unterstützen. “Unser Volk in Syrien verlässt sich nicht auf den Westen, die USA oder arabische Staaten oder die Türkei. Wenn wir Freiheit wollen, müssen wir uns von diesem Regime befreien. Wenn wir Gerechtigkeit wollen, müssen wir sie gegen dieses Regime durchsetzen.”
Syrien dürfte heute für radikale Islamisten so ein Kampfplatz sein wie vor 25 Jahren Afghanistan.
Und sie sind in der Nähe von Aleppo schon dabei, ein Emirat zu errichten, in dem nur die Scharia gilt.

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Um mehr über die Rolle von Al-Kaida im syrischen Konflikt zu erfahren, sprechen wir jetzt mit Dr. Vali Nasr, dem Dekan der Fakultät für internationale Studien an der Johns Hopkins University in Washington. In den Medien wurde der syrische Aufstand oft mit sehr einfachen Worten erklärt, als “Assad gegen die Rebellen”. Aber jetzt sehen wir, dass da auch Al-Kaida eine Rolle spielt.
Können Sie das näher erklären und warum wurde das solange ignoriert?

Dr. Vali Nasr
Al-Kaida war an diesem Konflikt von Anfang an beteiligt. Es kamen einige Leute aus Al-Kaida-Zellen im Irak und richteten neue Zellen in Syrien ein. Es waren Leute mit Kampferfahrung, die auch Waffen und Bargeld mitbrachten. Sie nutzen den Syrien-Konflikt, um ihr Netzwerk zu erweitern. Und jetzt sind sie Teil der Kämpfe im ganzen Land.
Das gilt für einen sehr großen Teil der militärischen Opposition gegen das Assad-Regime. Das ist solange übersehen worden, weil es sehr wenig Beweise dafür gab und gibt. Und auch, weil sich die internationale Gemeinschaft auf Assad konzentrierte statt sich die Opposition genauer anzusehen.

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Wer genau sind diese Menschen und wer koordiniert sie?

Dr. Vali Nasr
Wir wissen nicht, wer da genau wen oder was koordiniert. Aber wir wissen, dass viele der ursprünglichen Al-Kaida-Kämpfer aus dem Irak kamen . Sie gehören zu den Netzen, die gegen die US-Truppen im Irak agiert haben. Wahrscheinlich sind sie über weitere Grenzen hinweg mit anderen verbunden. Es gab immer eine Reihe von Syrern, die von Anfang an bei Al-Kaida mitmachten. Das kann man schon für die Zeit vor 9/11 sagen.
In Syrien haben sich dann einige offiziell von Al-Kaida distanziert und Namen angenommen wie “Front für Sieg” oder “Front Al-Nosra”. Sie begannen, sich als legitime Anti-Assad- Widerstandsgruppe zu positionieren und es dauerte einige Zeit, ehe die alten Al-Kaida-Beziehungen bekannt wurden. Man kann das als Widerspruch sehen – von Al-Kaida kommen und dann doch eine eigene Position einnehmen, einen Weg gehen in Richtung auf eine legitime Opposition gegen das Assad-Regime.

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Und wie entscheidend ist ihr Einfluß auf die Taktik der Rebellen?

Dr. Vali Nasr
Sie sind eine ganz wichtige Kraft unter den Rebellen, denn sie haben sehr gute Waffenverstecke. Und weil sie so gut mit Waffen versorgt sind, konnten sie besonders zu Beginn des Konflikts gute Beziehungen zu anderen Rebellengruppen aufbauen. So haben sie auch selber neue Anhänger gefunden, die jetzt unter ihrem Dach weiterkämpfen. In einem Teil von Syrien ist Al-Kaida die wichtigste Kampftruppe. In anderen Teilen sind es ihre Junior-Partner. Aber das ist noch nicht alles. Al-Kaida hat es nicht nötig, auf einem großen Territorium unter eigenen Flagge präsent zu sein. Für die angestrebte Organisationsstruktur hat Al-Kaida im Chaos von Syrien längst ausreichend Platz gefunden. Um zu organisieren, zu rekrutieren, und alle möglichen Operationen auszuführen.

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Wenn Al-Kaida also eine so zentrale Rolle spielt, wie viel Einfluss hat der Westen denn noch auf das, was sich jetzt in Syrien abspielt?

Dr. Vali Nasr
Aus dem Irak konnten die amerikanischen Truppen mit ihrer gewaltigen Präsenz Al-Kaida vertreiben.
Sie hatten Spezialeinheiten dafür. Sie haben gezielt Beziehungen zu lokalen Stammesführern aufgebaut, die in ihrem Gebiet die Macht nicht mit Al-Kaida teilen wollten. So etwas gibt es in Syrien nicht. Zwar kann das Assad-Regime gegen Al-Kaida kämpfen, aber das Assad-Regime verliert immer mehr an Kraft. Und so entsteht eine sehr gefährliche Situation, in der Al-Kaida, die fast im Irak ausgelöscht wurde, neue Möglichkeiten gefunden, um wieder zu expandieren.

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