Sergei Lawrow: "Leider setzt der Westen nur auf den Sieg der syrischen Opposition"

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Von Euronews
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Russland hat in den vergangenen Wochen auf der internationalen Bühne eine wichtige Rolle gespielt. Euronews hat mit dem russischen Außenminister Sergei Lawrow über die wichtigsten Probleme gesprochen: die Zusammenarbeit mit der Europäischen Union, den Syrienkonflikt und das “Magnitsky-Gesetz”. Das Interview führte
Alexander Shashkov.

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Welches der Themen auf der Tagesordnung des EU-Russland-Gipfels betrachten Sie als das wichtigste?

Lawrow

Das Rückgrat – wenn Sie so wollen – unserer ganzen Zusammenarbeit ist seit jeher der Energiedialog. Wir sind dabei schon sehr weit vorangekommen und können zuversichtlich sein. Unsere Zusammenarbeit betrifft mehrere Aspekte der europäischen Energiesicherheit. Nord Stream ist schon betriebsfähig; die beiden Zweige bieten die Möglichkeit der Erweiterung. South Stream ist bereits im Bau. Mehrere EU-Staaten haben das Projekt als eines von nationaler Bedeutung bezeichnet. Ich denke daher, dass wir weiter voranschreiten werden in Richtung auf eine höhere Energiesicherheit für den gesamten europäischen Kontinent.

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Es werden also überwiegend wirtschaftliche Themen erörtert werden?

Lawrow

Wenn wir von Wirtschaft sprechen, dann werden wir über die gesamte Lage im Zusammenhang mit einem neuen EU-Russland-Rahmenabkommen sprechen. Gegenwärtig kommen wir in Bezug auf die Bedingungen für unsere Aufnahme in die Welthandelsorganisation nicht weiter. Aber in der Zukunft – und das hat Präsident Putin mehrmals gesagt – sind wir bereit, in Richtung auf eine Zone des freien Handels oder weiterentwickelte Formen der Integration voranzuschreiten. Unser Präsident hat sogar vorgeschlagen, einen vereinigten wirtschaftlichen und humanen Raum vom Atlantik zum Pazifik zu schaffen.

Ein anderer, vielversprechender Bereich internationaler Zusammenarbeit betrifft den Umgang mit Krisen.

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Gegenwärtig steht die Syrienkrise im Mittelpunkt. In welchem Ausmaß stimmen die russischen und europäischen Positionen überein? Wie haben sie sich entwickelt, insbesondere nach dem Zusammenschluss der Opposition und ihrer Anerkennung durch Frankreich, die USA …

Lawrow

Gegenwärtig halte ich es für realistischer, von den beiden Konfliktparteien zu verlangen, die Gewalt sofort zu beenden und Verhandlungen ohne Vorbedingungen aufzunehmen. Dies ist unsere Position seit dem Beginn des Konflikt. Wir arbeiten mit dem Regime und alle Oppositionsgruppen, und wir haben ihnen dasselbe gesagt: Leute, denkt an euer Volk, an eurer Land, vereinbart einen Waffenstillstand, setzt euch an den Verhandlungstisch und vereinbart einen Übergangsmechanismus vom alten zu einem neuen System, einem demokratischen und offeneren, denn das braucht euer Staat.

Doch leider haben unsere westlichen Partner ausschließlich auf den Sieg der Opposition gesetzt und uns gesagt, dass Verhandlungen beginnen können, wenn Assad geht.

Nun gut, man muss Prioritäten setzen: Wenn man Leben retten will, muss man ohne Vorbedingungen verhandeln. Wenn man Assad stürzen will, muss man davon ausgehen, dass es einige Zeit dauern wird, und dass weitere einfache Syrer ums Leben kommen werden.

Wer aber sagt, ein Wort Russlands würde genügen, dass Assad geht … das sind einfach Provokationen, denn alle Welt weiß sehr gut, dass es nicht von uns abhängt.

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Aber Sie sehen die Möglichkeit eines Sieges der Opposition und des Abgangs von Assad?

Lawrow

Wissen Sie, in diesem Krieg wird es keine Sieger geben. Es ist ein Krieg der gegenseitigen Vernichtung. Es passieren gerade furchtbare Dinge um ein palästinensisches Flüchtlingslager. Man versucht, die Palästinenser in den Krieg hereinzuziehen. Einige von ihnen unterstützen die Regierung, andere die Opposition, und zwar die eine oder andere oppositionelle Gruppe. Immer weitere Teile der Bevölkerung werden in diesen Krater gerissen, nun auch die palätinensischen Flüchtlinge.

In diesem Krieg wird es keine Sieger geben, und ich glaube, dass das alle sehr gut verstanden haben. Aber wenn man sich einmal darauf festgelegt hat, dass man nicht mit Assad spricht, dann sitzt man ebenfalls in der Falle und weiß nicht, wie man wieder herauskommt. Abnutzungskrieg? Dafür gibt es Beispiele in der Geschichte, und es ist nie etwas gutes dabei herausgekommen.

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Und ist Russland zur Anerkennung der vereinigten syrischen Opposition bereit?

Lawrow

Aber es ist gar nicht nötig, irgendjemand anzuerkennen, wir arbeiten mit allen Oppositionsgruppen, ohne Ausnahme, die diese oder jene Strömung der syrischen Opposition vertreten. Ebenso werden wir mit der Nationalen Koalition zusammenarbeiten, wir sind dazu bereit, oder mit jeder anderen Gruppierung, die sich auf Seiten der Opposition formiert.

Wichtig ist nicht die Frage der Anerkennung, sondern dass man alle in dieselbe Richtung drängt.
Und wenn es bei der Anerkennung einer Gruppe nur darum geht, auf diese Gruppe zu setzen – sei es mit Geld oder mit Waffen oder politischer oder moralischer Unterstützung -, dann bedeutet das eine Einmischung in den Konflikt zugunsten einer der Parteien.

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Ein weiteres aktuelles Problem, das den Beziehungen zwischen Russland und seinen westlichen Partnern schaden kann, ist das in den USA erlassene Magnitsky-Gesetz. Die russische Duma diskutiert inzwischen über eine Reaktion. Wird man Sie als Außenminister darüber zu Rate ziehen?

Lavrov

Ich halte es für völlig normal, dass unsere Abgeordneten Gegenmaßnahmen beschließen.
Und das geschieht nicht nach dem Prinzip: Lasst uns ein ungelöstes Problem finden und uns in ihre inneren Angelegenheiten einmischen.
Nein, sie reagieren auf konkrete Tatsachen, zu denen die amerikanische Justiz bereits Anklagen nicht zugelassen beziehungsweise Haftverschonung gewährt hat, – zugunsten von amerikanischen Bürgern, die aus Russland adoptierte Kinder getötet, vergewaltigt oder gefoltert haben.

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Aber heißt das, dass die Adoption russischer Kinder durch amerikanische Familien völlig verboten werden soll, jetzt, da die Abgeordeten das Gesetz großzügiger interpretieren?

Lawrow

Wenn man die Adoptionen beendet, bedeutet das nur eins: Man wird die Kooperationsabkommen mit den Amerikanern zur internationalen Adoption kündigen müssen. Aber wenn man das tut, verliert man jegliche rechtliche Möglichkeit, Zugang zu unseren Kindern da drüben zu erhalten. Das wäre doch ein Grund, mit unserer Reaktion nicht so weit zu gehen.

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Was wäre die russische Reaktion, wenn sich ein oder mehrere EU-Staaten dem Magnitsky-Gesetz anschließen würden?

Lawrow

Das ist wiederum eine Entscheidung wie im Hinblick auf Syrien: Man muss Prioritäten setzen. Will man Leben retten oder ein Regime stürzen?
Hier ist es ebenso: Wenn man im Bereich der Menschenrechte konkrete Verbesserungen erreichen will, muss man ruhig und konkret arbeiten, ohne Lärm zu machen.
Wenn man aber genau das will, also Lärm erzeugen, dann sollte man klar sagen: Ich will einfach Krach machen, ich will gar kein Ergebnis.

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