Sein Sohn wurde geschlagen - weil er Jude ist

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Von Hans von der Brelie
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Von seinen Mitschülern monatelang gemobbt, geschlagen, getreten und gewürgt, weil er sich als Jude zu erkennen gab.

Von seinen Mitschülern monatelang gemobbt, geschlagen, getreten und gewürgt, weil er sich als Jude zu erkennen gab. Diese Erfahrung musste ein Berliner Teenager an der Friedenauer Gemeinschaftsschule machen. Der Fall löste weltweite Schlagzeilen aus – und eine ernsthafte Debatte darüber, was schief läuft an (nicht nur) Berliner Schulen. Euronews-Reporter Hans von der Brelie hat sich mit Wenzel Michalski, dem Vater des Jugendlichen getroffen.

Euronews:

Wie hat alles begonnen?

Wenzel Michalski:

Mein Sohn hat sich auf eigenen Wunsch an der Friedenauer Gemeinschaftsschule einschulen lassen. Er ist vorher auf ein ganz normales Gymnasium gegangen, das war ihm aber zu langweilig. Er wollte gerne auf eine Schule, in der viele Kinder mit Migrationshintergrund sind, die vielleicht auch Fluchterfahrung in ihrer Familie haben. Das kommt deswegen, weil wir sehr intensiv darüber gesprochen haben, was meinen Eltern passiert ist während der Nazi-Zeit, die wurden als Juden verfolgt. Wir sind dann später, zusammen mit meinem Sohn, die Stationen der Flucht abgefahren. - Außerdem hatten wir hier bei uns zu Hause ein Jahr lang einen Flüchtling aus Syrien wohnen und der ist unserem Sohn sehr ans Herz gewachsen. Der wurde Mitglied unserer Familie und das hat meinen Sohn mit dazu bewogen, die Schule zu wechseln. Dann ist er auf die Friedenauer Gemeinschaftsschule gegangen, die auf dem Papier ideal aussah, denn da steht draußen ein großes Schild dran: "Schule ohne Rassismus, Schule mit Courage". Das Ganze hat einen sehr multikulturellen Flair.

Euronews:

Was war das Problem?

Wenzel Michalski:

Das Problem tauchte schon am Ende der ersten Woche auf, da hat die Lehrerin gefragt: "Welche Gotteshäuser kennt ihr denn?" - Da haben sich viele Schüler gemeldet und gesagt, "Kirche" und "Mosche". Und dann war mein Sohn dran und hat gesagt: "Synagoge". Daraufhin hat die Lehrerin gefragt: "Hä? Wieso kennst Du denn eine Synagoge? Bist Du Jude?" Worauf mein Sohn mit "Ja" geantwortet hat. Und das war das Ende. Schon damals fingen Hänselei, das Mobbing an, er wurde getreten, geschlagen. Jeden Tag hat er irgendwas erzählt. Wir haben das der Schule immer mitgeteilt, die haben aber nichts gemacht, bis es eines Tages so weit eskalierte, dass sich mehrere Jungs auf ihn gestürzt haben. Die haben ihn und so stark und so lange gewürgt, dass er (kurzzeitig) das Bewusstsein verloren hat. (Nachdem er wieder bei Bewusstsein war), ist er in eine Bäckerei gegangen, das war in der Nähe der Schule. Die kamen ja alle gerade vom Sportunterricht. Dort wollte er abwarten, bis die Luft wieder rein ist. Als er dachte, jetzt ist es soweit, da stürmte plötzlich einer (seiner Mitschüler) auf ihn zu, mit gezogener Pistole, und schoss auf ihn. Es war eine Modell, eine Replika-Pistole, die täuschend ähnlich aussah. Es ist auch ein Geschoss rausgekommen (keine echte Kugel), das ist aber an seiner dicken Winterjacke abgeprallt...

Euronews:

Wie lange ging dieses Mobbing an der Schule? Was ist dort, in der Schule, konkret passiert?

Wenzel Michalski:

Das ging die ganze Zeit, in der er auf dieser Schule war, jeden Tag, und zwar insgesamt drei Monate lang, unterbrochen nur von den Weihnachtsferien. In diesen Wochen, in denen Unterricht war, hörte das nicht auf, es wurde immer schlimmer. Die Schuldirektion hat nicht darauf reagiert, weder auf unsere E-Mails, noch auf unsere Anrufe und auch nicht auf unsere Bitten, unser Flehen, mit ihnen zu sprechen. Dadurch, dass niemand was gemacht hat, dadurch, dass auf dem Schulhof, in der Schule, auf den Korridoren, auf der Treppe alles erlaubt war, nämlich ihn zu schlagen, zu beschimpfen, wie die Kinder es eben wollten, hat sich das eben immer mehr verbreitet. Das wurde immer schlimmer dadurch. Niemand hat gesagt: "Stopp, hört auf damit."

Euronews:

Es eskalierte, Sie haben vorhin erwähnt, Ihr Sohn wurde mit einer Replika-Pistole bedroht, die aussah, wie eine echte Pistole. Können Sie uns noch einmal genau schildern, was da passiert ist?

Wenzel Michalski:

Er wurde zunächst von zwei älteren Jungs aus einer höheren Klasse gewürgt, im Schwitzkasten, auf dem Nachhauseweg vom Sportunterricht zur Schule. Er ist in eine Bäckerei geflüchtet. Als er dachte, die Luft wäre wieder rein, er musste ja wieder raus, denn die Schule fing ja wieder an, ist einer der Jungs mit so einer ähnlichen Waffe auf ihn zugestürmt und hat geschossen.

Euronews:

Also so eine Art Scheinhinrichtung?

Wenzel Michalski:

Genau. Und die anderen Leute, die um ihn herumstanden, haben sich totgelacht, dass mein Sohn fürchterlich Angst hatte und einen Schock... Das hat er uns dann am Nachmittag erzählt und das war der Punkt, wo wir dann gesagt haben: "Nein, jetzt ist Schluss, jetzt gehst Du nicht mehr auf diese Schule." - Wir hatten ihm das vorher schon angeboten, aber irgendwie hat er so einen Aktivismus in sich entdeckt und er wollte die anderen Kinder davon überzeugen, dass Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit nicht gut sind, dass es auch anders geht. Doch das hat er gegen diese Übermacht nicht geschafft und vor allem hat er es bei keinem der Lehrer geschafft. Auch wir nicht bei der Leitung der Schule. Auch die Sozialarbeiterin, die da war, war nicht bereit, ihn zu unterstützen.

Euronews:

Kommen wir noch einmal präzise auf die Ausgangssituation zurück. Durch was wurde die Ausgrenzung, die erste Aggression genau ausgelöst?

Wenzel Michalski:

Er hat an einem Montag an der Schule angefangen und kam nachmittags nach Hause und hat gesagt, er habe tolle Leute kennengelernt. Das sind sofort seine besten Freunde geworden. Für das Wochenende hatten die sich schon verabredet, um zusammen Musik zu machen - und das ging auch die ganzen Tage so weiter, anfangs. Er war ganz begeistert von der Schule und den neu gefundenen Freunden. Aber am Freitag hat die Lehrerin im Ethikunterricht nach den Gotteshäusern gefragt und mein Sohn hat eben gesagt, dass er die Synagoge kennt. Vorher hatte er niemandem erzählt, dass er Jude ist, das war gar nicht erkennbar. Und als er dann auf Nachfrage sagte, "Ja, ich bin Jude", da fing das Unglück an, denn gleich nach der Stunde haben seine neugefundenen Freunde ihm gesagt: "Hör mal zu, Alter, mit Dir könne wir nicht spielen, mit Dir machen wir keine Musik, mit Dir wollen wir überhaupt nichts zu tun haben, weil Du Jude bist." Bis zu diesem Zeitpunkt hat ihm die Schule sehr gut gefallen.

Euronews:

Handelt es sich um einen Einzelfall?

Wenzel Michalski:

Dadurch, dass wir mit diesem Vorgang an die Öffentlichkeit gegangen sind, ist diese Debatte überhaupt erst einmal entstanden. Vorher wurde das alles totgeschwiegen. Das war ja nicht so, dass das eine Ausnahme war, was meinem Sohn passiert ist, sondern wie das jetzt herauskommt, ist das unglaublich vielen Kindern passiert - und zwar fast immer dann, wenn die Kinder als Juden identifiziert sind.

Euronews:

Erlitt Ihr Sohn körperliche Verletzungen?

Wenzel Michalski:

Er hatte blaue Flecke, diese Flecke, die er erstmals im Dezember bekommen hat, die hatte er noch im August. Er hatte monatelang Blutergüsse auf dem Rücken und die Sozialarbeiterin, die wir daraufhin angesprochen hatten, sagte uns, wir sollten doch Verständnis haben für die anderen Kinder, die seien schließlich traumatisiert und das hätte halt was mit dem Nahostkonflikt zu tun...

Euronews:

Ein Teil Ihrer Familie hat den zweiten Weltkrieg überlebt, es gibt Dokumente, Fotos aus dieser Zeit.

Wenzel Michalski:

Ja, mein Vater hat ein Buch geschrieben, es ist eine Sammlung seiner Erfahrungen mit Dokumenten aus der Zeit des Dritten Reichs, auch mit Kindheitsfotos und mit Fotos derjenigen, die meinen Vater und seine Eltern damals vor den Nazis retteten, indem sie ihnen Unterschlupf und Essen gegeben haben. - Doch das Verrückte ist ja, dass nach dem Krieg, da war mein Vater 14 Jahre alt, er auf das Berliner Canisius-College gegangen ist, eine Jesuitenschule. Er war damals im selben Alter, wie mein Sohn jetzt. Und dort wurde mein Vater, nach dem Krieg noch, antisemitisch angegriffen von den Schülern und die Lehrer haben ihn nicht beschützt. Und dass das jetzt, 70 Jahre danach, nun seinem Enkel wieder passiert, ist für ihn natürlich unglaublich schockierend gewesen. Klar ist, dass nach 1945, nach Ausschwitz, der Antisemitismus in Deutschland nicht aufgehört hat. Aber dass im Jahr 2018 genau das Gleiche passiert ist, was meinem Vater 1949 passiert ist, das spricht eigentlich Bände...

Euronews:

Ihr Sohn hat die Schule gewechselt. Auch sein Verhalten?

Wenzel Michalski:

Also aufgrund der Erfahrung hat mein Sohn angefangen, Karate zu lernen. Er ist stolz, dass er jetzt den roten Gürtel, den ersten Gürtel, hat. Er macht auch so Krafttraining mit Hanteln, weil er meint, dass er sich dadurch besser schützen kann. In der Karategruppe sind nur jüdische Kinder. Das sind alles Kinder, die viel dafür machen, dass sie ihrer Angst entgegentreten können, angegriffen zu werden. Sie machen viel dafür, sich verteidigen zu können. Mein Sohn hat sich tatsächlich bereits ein paar Muckies aufgebaut, so wie viele andere jüdische Kinder auch, die meinen, sie müssten sich ertüchtigen, um sich notfalls wehren zu können - oder um zumindest so auszusehen, dass nicht jeder sie sofort angreift.

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