Edi Rama: „Europa ist ein Testament und was wir unseren Kindern schuldig sind“

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Von Giorgia Orlandi
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Albaniens Ministerpräsident stellt sich den Fragen von euronews-Reporterin Giorgia Orlandi. Trotz des stockenden Beitrittsfortschritts will Rama sein Land unbedingt in die EU führen.

euronews: Bei der Tagung zur Lage der Europäischen Union in Florenz hatte ich die Möglichkeit zu einem Gespräch mit Albaniens Ministerpräsident Edi Rama, der vor kurzem eine dritte Amtszeit begonnen hat. Das ist in dem Land auf dem Westbalkan eine neue Bestmarke. Albaniens Bemühung um eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union stand bei der Parlamentswahl im Mittelpunkt.

Eine EU-Bewerbung könnte mit einer ersten Konferenz zur Aufnahme von Verhandlungen zwischen Albanien und anderen EU-Ländern, die bald vorgeschlagen werden soll, einen Schritt nach vorne machen. Wie wichtig ist dieser Schritt?

Edi Rama: Das ist schwer zu sagen, denn wir haben diesen Schritt vor einigen Jahren tun müssen und dann wieder und wieder. Es kam aufgrund von Entwicklungen innerhalb des Europäischen Rates nicht dazu. Wir hoffen, dass es der Fall ist. Das ist nicht einfach.

Kaum Verhandlungsfortschritt: Dennoch will Rama sein Land unbedingt in die EU führen

euronews: Wozu sind Sie bereit, sollten die Gespräche wieder stocken?

Rama: Wir haben keinen anderen Plan, als weiterhin dafür zu arbeiten, denn für uns ist Europa kein politisches Ziel, Europa ist eine Religion. Niemand in Albanien kann diese Religion betrügen, und zwar aufgrund der Tatsache, dass Europa ein Testament ist und gleichzeitig auch das, was wir unseren Kindern schuldig sind. Deshalb werden wir nur noch härter und härter arbeiten, um aus Albanien einen vollständig funktionierenden europäischen Staat zu machen.

euronews: Albanien in die EU zu führen, war von Anfang an ihr politisches Hauptversprechen. Angesichts der Jahre, die verstrichen sind: Was bedeutet Albanien ein EU-Beitritt?

Die Menschen in Albanien sind des Kampfes nicht überdrüssig, um ein Teil Europas zu sein
Edi Rama
Albanischer Ministerpräsident

Rama: Der bedeutet immer noch so viel wie am ersten Tag. Die Menschen in Albanien sind des Kampfes nicht überdrüssig, um ein Teil Europas zu sein. Es hat mehrmals Enttäuschungen gegeben, Europa war nicht besonders gut im Halten von Versprechen. Wir haben unsere Hausaufgaben erledigt und werden das weiterhin tun, denn wie gesagt ist Europa das, was vom ersten Tag, als wir den Kommunismus hinter uns gelassen haben, da war. Erstmals in unserer Geschichte haben wir die Wahl. Vorher hatten wir nie die Wahl, andere haben für uns entschieden. Wir gehörten zu verschiedenen Lagern, aber nicht zu dem Lager, in das wir immer wollten, nämlich in die Europäische Union.

Erstmals in unserer Geschichte haben wir die Wahl. Vorher hatten wir nie die Wahl, andere haben für uns entschieden
Edi Rama
Albanischer Ministerpräsident

euronews: Angesichts der Tatsache, dass der EU-Beitrittsprozess länger dauert als erwartet, scheint der Westbalkan auch ein Tummelplatz für Kräfte von außerhalb geworden zu sein. Wie ist Ihre Meinung? Wo steht Albanien bei all dem?

Rama: Dadurch, dass der Westbalkan nicht vollständig in die Europäische Union eingebunden ist, bleibt er eine Grauzone, die anderen Akteuren Anziehungskraft und Möglichkeiten bietet - dritten Akteuren, die nicht die gleiche wohlwollende Haltung und die gleichen Werte und Prinzipien haben, die die Europäische Union bietet. Für Albanien sehe ich keine unmittelbare Gefahr, weil die Menschen in Albanien vom Westen und der Europäischen Union begeistert sind. Die anderen Länder haben viel mehr mit diesen Einflüssen von anderen Akteuren zu kämpfen.

Albanien hat es verdient, in vollumfängliche Verhandlungen einzusteigen. Punkt. Aus
Edi Rama
Albanischer Ministerpräsident

euronews: In den vergangenen Jahren hat es in Albanien umfassende Verfassungsänderungen bei der Korruptionsbekämpfung und der Umsetzung von Reformen gegeben. Die Lage hat sich verbessert, aber das reicht noch nicht. Wie viel Fortschritt hat Albanien insbesondere in Sachen Rechtsstaatlichkeit gemacht?

Rama: Es ist ein großer Unterschied, Mitglied der Europäischen Union zu werden und in vollumfängliche Verhandlungen einzusteigen, denn nach heutigem Stand sind wir zweifellos noch nicht bereit, EU-Mitglied zu werden. Aber wir sind bereit, vollumfängliche Verhandlungen zu beginnen. Und genau da liegt die sich wiedersprechende Haltung und an diesem Punkt ist Europa kurzsichtig sowie in gewissem Maße auch scheinheilig, denn Albanien hat es verdient, in vollumfängliche Verhandlungen einzusteigen. Punkt. Aus.

euronews: Ist der Fortschritt, den Sie erwähnten, etwas, das Ihnen geholfen hat, wiedergewählt zu werden?

Rama: Ich glaube, die Menschen in Albanien sind eindeutig der Ansicht, dass diese Arbeit noch nicht erledigt ist. Die dritte Amtszeit ist ein deutlicher Auftrag, diese Arbeit abzuschließen, und keine Belohnung für eine Arbeit, die bereits abgeschlossen ist.

euronews: Ich möchte auf den EU-Erweiterungsprozess im Westbalkan zu sprechen kommen. Wie ist Ihre Meinung zu diesem inoffiziellen Schriftstück, das in Brüssel die Runde macht, die Grenzen im Westbalkan neu zu ziehen? Der Präsident von Nordmazedonien sagte, das sei einfach nur katastrophal.

Rama: Mein Standpunkt ist ganz einfach: Was uns betrifft - und wenn ich uns sage, meine ich die Europäische Union, die Vereinigten Staaten und Länder in diesem Gebiet: Wir werden den Stand der Dinge nicht mittels eines offenen und deutlichen Ansatz angreifen. Es wird Frustrationen geben und es werden die lächerlichsten bis merkwürdigsten Gedankengebilde auftauchen, weil der Stand der Dinge nicht in Frage kommt. Während wir große Meinungsverschiedenheiten aus dem Weg zu räumen zu haben, müssen wir hinnehmen, dass es in dieser Sache unterschiedliche Ansichten gibt. Gleichzeitig müssen wir alle daran arbeiten, unsere Zusammenarbeit zu stärken, um in der Region einen vollständig funktionierenden Schengenraum zu schaffen, in dem alle vier europäischen Freiheiten umgesetzt sind.

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