Shoah-Mahnmal in Wien: "Jeder Name steht für eine Welt, die getötet wurde"

Kerzen und Fotos an  der Shoah-Gedenkstätte in Wien
Kerzen und Fotos an der Shoah-Gedenkstätte in Wien Copyright AP Photo/ Lisa Leutner
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Kurt Tutter, der Initiator des neuen Shoah-Mahnmals in Wien,wollte einen Ort schaffen, der an die individuellen Opfer erinnert. Warum das so wichtig ist erklärt Hannah Lessing, die das Projekt selbst seit Jahren begleitet.

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Wien hat ein neues Holocaust-Mahnmal, das an die in der NS-Zeit ermordeten Juden und Jüdinnen aus Österreich erinnert: 64.440 Namen auf 160 großen Steinelementen eingemeißelt.

Initiiert wurde Projekt vom Holocaust-Überlebenden Kurt Yakov Tutter, der 1939 aus Wien fliehen musste. Er hat sich jahrelang dafür eingesetzt, dass das Vorhaben realisiert wird. Er wollte einen Ort ein, der an die individuellen Opfer erinnert.

Warum das so wichtig ist erklärt Hannah Lessing, Generalsekretärin des Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus, die das Projekt selbst seit Jahren begeleitet.

"Es gibt keinen Grabstein, auf dem ich ihren Namen berühren könnte"

"Vor 20 Jahren kam Kurt Tutter nach Wien und sagte mir, es gäbe kein Grab für die meisten seiner im Holocaust ermordeten Familienmitglieder. Ich kann das sehr gut nachempfinden. Meine Großmutter wurde in Auschwitz vergast, meine Urgroßmutter wurde in Theresienstadt umgebracht bzw. verhungerte dort.

Es gibt also keinen Ort, an den ich gehen kann. Es gibt keinen Friedhof, es gibt keinen Grabstein, auf dem ich ihren Namen berühren könnte.

Ich arbeite seit 26 Jahren mit Überlebenden zusammen und habe ihnen ein Versprechen gegeben. Das ist etwas, was sie alle wollten, nämlich zu wissen, dass Österreich sie nie vergessen wird. Und dass ihre Vorfahren, die während der Shoa getötet wurden, nie vergessen werden."

"Wer waren sie? Was ist mit ihnen geschehen?"

Das Shoah-Mahnmal im Ostarrichi-Park habe eine vielschichtige Bedeutung, sagt Lessing. Es gebe nun einen Ort mitten in Wien, an die Nachkommen, die Namen ihrer getöteten Vorfahren berühren können, es spreche aber auch jene an, die nichts mit dem Holocaust zu tun haben.

"Wenn man als junger Mensch durch dieses riesige Areal geht und mehr als 64.000 Namen sieht, berührt es einem das Herz, weil man anfängt zu fragen: Wer waren sie? Was ist mit ihnen geschehen? Und jeder Name, den man sieht, steht für eine Welt, die getötet wurde."

Zahl der antisemitischen Vorfälle 2020 so hoch wie nie zuvor

Die jüngsten Erhebungen der Antisemitismus-Meldestelle der Israelitischen Kultusgemeinde Wien (IKG) zeigen, dass die Zahl der erfassten antisemitischen Vorfälle 2020 so hoch war wie nie zuvor seit Beginn der Dokumentation vor 19 Jahren. Die Vorfälle stiegen um 6,4 Prozent auf 585.

Wie schätzt Hannah Lessing die aktuelle Lage in Österreich ein?

"Wir sind sehr besorgt, weil wir eigentlich Lehrer, Polizisten und die Justiz geschult haben. Ich bin Co-Leiterin der österreichischen Delegation der Internationale Allianz zum Holocaustgedenken.

Wir haben eine Definition gegen Antisemitismus erarbeitet. Denn man kann nur etwas bekämpfen, das man kennt. Wir haben also eine Definition erstellt, die von Fußballvereinen, der Justiz usw. übernommen werden soll.

Wir müssen weitermachen, wir müssen wirklich vorsichtig sein. Leider ist der Antisemitismus überall auf dem Vormarsch. Und es ist nicht nur der altmodische Antisemitismus, sondern es ist auch der Antisemitismus, der sich manchmal hinter der Kritik an Israel versteckt."

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