Robert Habeck: "Wir müssen pragmatischer sein und weniger bürokratisch"

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Von Olivia Stroud
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Im Gespräch mit The Global Conversation betont der Vizekanzler, dass sich Europa nur geeint behaupten kann, er spricht über die Wichtigkeit des Binnenmarktes für die deutsche Wirtschaft und über die Notwendigkeit einer europäischen Schutzgarantie.

Die größte Volkswirtschaft Europas, Deutschland, hat sich verpflichtet, bis 2045 klimaneutral zu werden. Nach einer Periode schleppenden Wachstums kämpft das Land darum, die Inflation niedrig zu halten, aber kann Deutschland Wirtschafts- und Klimapolitik in Einklang bringen? Darüber sprachen wir mit dem Vizekanzler und Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz Robert Habeck in The Global Conversation.

Euronews-Reporterin Olivia Stroud: Was steht für Deutschland auf dem Spiel bei der Europawahl im Juni?

Robert Habeck, Vizekanzler und Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz: Für Deutschland ist es wichtig, dass Europa sich zu Europa bekennt, dass wir zusammenwachsen. Der Binnenmarkt ist für die deutsche Wirtschaft extrem wichtig. Der Energiebinnenmarkt, der in den letzten Jahren geschaffen wurde, kommt jetzt dazu. Das ist die deutsche Sicht als Wirtschafts- und Energieland in Europa. Als Europäer muss ich sagen, es ist extrem wichtig, dass Europa eine politische, wahrnehmbare Entität wird. Im Moment findet die globale Auseinandersetzung zwischen Russland, den USA und China statt. Es ist nicht sicher, dass Europa dort eine Rolle hat. Wenn wir uns zerstreiten, wenn wir nicht geeint agieren, dann werden die großen geopolitischen Entscheidungen über unseren Kopf hinweg getroffen werden. Da Europa im Kern ein Kontinent der liberalen Demokratie ist, werden die Entscheidungen gegen oder jedenfalls ohne Berücksichtigung unserer Werte getroffen werden.

Deshalb sind die ökonomischen Aspekte, die energiepolitischen Aspekte, die klimapolitischen Aspekte, alle richtig und wichtig. Aber am Ende geht es darum, Europa als Verbund der liberalen Demokratien in der Weltgemeinschaft stark zu halten. Die Zukunft der Welt wird nicht in der Konkurrenz zwischen Deutschland und Frankreich oder Dänemark und den Niederlanden oder Schweden und Finnland entschieden. Die Zukunft der Welt wird in dem Wettbewerb zwischen den USA, China und Europa - Indien, gegebenenfalls Russland, entschieden.

Die Nationalstaaten in Europa müssen erkennen, dass ihre Rolle in Europa besteht, und das auch bejahen. Und die europäischen Regeln, die Beihilfen, Regelungen für wirtschaftliche Unterstützung, die Genehmigungsverfahren, die Außenpolitik, auch die Fähigkeit, so schwer es mir fällt, es zu sagen, zu einer europäischen Rüstungsindustrie. Wir müssen uns dieser Erkenntnis stellen. Und wenn wir Europa als lockeres Bündnis von 27 Staaten verstehen und nicht mit einer Finalität ausstatten und sagen, die europäische Einigung muss fortgesetzt werden, dann werden wir weltweit nicht wettbewerbsfähig sein.

Euronews: Deutschland ist in einer Wachstumskrise und die Kaufkraft der Menschen ist gesunken. Wie kommen wir da wieder raus?

Robert Habeck: Für Deutschland muss man sagen, ist das Land besonders hart aus zwei Gründen getroffen. Wir hatten diese harte Abhängigkeit von russischer Energie. Über 50 Prozent des Gases und 55 Prozent der Kohle, aber auch das Öl - alles kam aus Russland.

Und deshalb ist es kein Wunder, dass die deutsche Wirtschaft besonders hart getroffen wurde. Sie musste ja alle neuen Verträge abschließen. Das ist in Spanien, Großbritannien oder Dänemark anders gewesen. Deutschland ist zudem ein Exportland. Wir sind also auf den Weltmarkt angewiesen, und die Weltkonjunktur ist schlecht. China hat ebenfalls wirtschaftliche Probleme. Das trifft Deutschland viel härter als andere Länder.

Aber wir kämpfen uns da heraus. Wir haben die Energiesicherheit hergestellt, wir haben die Energiepreise heruntergebracht. Die Inflation sinkt, und bald werden auch die Zinsen wieder fallen, dann wird wieder investiert werden. Auch die Weltwirtschaft wird wieder anspringen. Dann hat das Land auch diese Schwächephase überstanden.

Euronews: Wie kann der Arbeitskräftemangel in Deutschland gelöst werden?

Robert Habeck: Erstens, wir brauchen Zuwanderung. Das ist überhaupt keine neue Erkenntnis. Aber zu lange haben konservative politische Parteien gesagt: 'Nein, nein, das brauchen wir alles nicht.' Zweitens müssen wir die Potenziale, die Menschen, die hier im Moment sind, besser in den Arbeitsmarkt bringen. Das betrifft vor allem junge Menschen, die keinen Berufsabschluss oder keine Berufsqualifikationen haben. Das hat etwas mit dem Bildungssystem und dem Weiterbildungssystem zu tun. Das sind, um es einmal in Zahlen zu nennen, zwischen 20 und 35 Jahren, 2,6 Millionen Deutsche, die keine Berufsqualifikationen haben. Und das ist ein politisches Problem. Das ist kein individuelles Problem, wo man sagt: 'Du musst dich mal besser anstrengen.' Zu viele fallen dort durch, weil sie vielleicht Legasthenie haben oder Probleme mit Mathematik. Aber trotzdem sind sie vielleicht gute Handwerker oder (sie sind) begabt in der Pflege. Das Gleiche gilt für die Erwerbsbeteiligung von Frauen. Sie ist in den deutschsprachigen Ländern Schweiz, Österreich und Deutschland schlechter als im europäischen Durchschnitt und viel schlechter als in Skandinavien. 

"Es fehlt immer noch an Betreuungsinfrastruktur, um Familie und Beruf zusammenzubringen. Auch das ist eine politische Aufgabe. Und drittens würde ich sagen, in einer älter werdenden Gesellschaft müssen wir auch länger arbeiten. Diejenigen, die länger arbeiten wollen, sollten das dürfen."
Robert Habeck

Wie beeinflusst die Aufrüstung die Wirtschaft?

Euronews: Die Militärausgaben in Europa sind sehr stark angestiegen. Welche Folgen hat das für die Wirtschaft?

Robert Habeck: Man hat nicht gesehen oder man wollte es nicht sehen, was Putin treibt, wie stark er dort seine Armeen aufbaut. Ich möchte nicht gerne Geld für Armeen und Rüstung ausgeben. Ich kann mir das besser vorstellen für Bildung, für Forschung, für Weiterbildung, für Klimaschutz, für Nachhaltigkeitskriterien. Aber wir müssen es tun. Die Zeit, wo man das nicht möchte, ist vorbei. Deswegen müssen wir die Militärausgaben erhöhen, um uns schützen zu können. Auch eine eigene europäische Schutzgarantie geben zu können. Nicht nur die Amerikaner als Garant sehen, sondern wir müssen da selber wehrfähiger werden. Die Rüstungsausgaben sind in den vergangenen zwei Jahren gestiegen, weil wir die Ukraine so stark unterstützt haben. Sie müssen meiner Ansicht nach aber verstetigt werden, auch für... Man muss ja schon fast sagen die Instandsetzung der europäischen und jedenfalls der deutschen Armee, um ein bisschen was zu können.

Euronews: Laut einem Bericht der Europäischen Umweltagentur ist die EU nicht auf den Klimawandel und auf Hitzewellen vorbereitet. Was haben Sie vor, um das zu ändern?

Robert Habeck: Nun, erst einmal geht es darum, die Erderwärmung möglichst einzuschränken. Es geht einzig und allein darum, dass wir die Kurve so bremsen, so eindämmen, dass sich die Menschen anpassen können. Diese große Veränderung bestehen zu können. Als Organismus, also als biologischer Organismus wie auch als soziale Gemeinschaft. Und das heißt, wir müssen unsere Städte hitze- und regenfester machen. Wir müssen die Landwirtschaft nachhaltiger ausgestalten. Wir brauchen Wasserreservoirs in den ariden Gebieten. Wir müssen das Management des Wassers überprüfen. Wir brauchen Küstenschutzmaßnahmen an den Küsten, große Investitionen.

Was bringt die Energiewende in Schwung?

Euronews: Mehr Tempo bei der Energiewende in Europa: Was muss getan werden? Und was bedeutet das für Industrie und Menschen?

Robert Habeck: In der nächsten Legislaturperiode der Europäischen Kommission muss weniger Bürokratie beim Ausbau der Erneuerbaren regieren. Wir machen uns das Leben teilweise sehr schwer, wenn man die_ Renewable Energy Directive_ liest, ich weiß nicht, ob das alles so penibel und im Detail gelöst werden, geregelt werden muss. Also wenn wir wirklich vorankommen wollen, müssen wir pragmatischer sein und weniger bürokratisch.

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