Wladimir Putin war früher in der Slowakei sehr beliebt - bis er in die Ukraine einfiel

Flüchtlinge aus der Ukraine an der Grenze in Vysne Nemecke, Slowakei, 4. März 2022.
Flüchtlinge aus der Ukraine an der Grenze in Vysne Nemecke, Slowakei, 4. März 2022. Copyright AP Photo
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Von David Hutt
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Russlands Präsident Wladimir Putin war früher in der Slowakei sehr beliebt. Mit seiner Invasion und Bombardierung der Ukraine hat sich das geändert.

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Als Russland im vergangenen Monat in die Ukraine einmarschierte, waren sich viele Slowaken nicht sicher, wem sie die Schuld geben sollten.

Im Januar waren 35 Prozent der Befragten der Meinung, dass Russland für die Eskalation der Spannungen in der Ukraine verantwortlich sei, 44 Prozent gaben den Maßnahmen der USA und der NATO die Schuld, wie das lokale Meinungsforschungsinstitut FOCUS herausfand.

Ende Februar veröffentlichte Umfragen deuteten jedoch auf einen Sinneswandel hin: Rund 62 Prozent der Slowaken gaben Russland die Schuld am Krieg, nur etwa ein Drittel der Befragten machte die NATO dafür verantwortlich.

Die Invasion sei "ein großer Weckruf", sagt Katarína Klingová, wissenschaftliche Mitarbeiterin am GLOBSEC Policy Institute, einer in Bratislava ansässigen Denkfabrik.

Im Gegensatz zu ihren tschechischen Nachbarn, von denen sie sich 1993 abspalteten, stehen die Slowaken westlichen Institutionen eher misstrauisch gegenüber, insbesondere der NATO, der die Slowakei 2004 beitrat.

Das hat zum Teil mit der Geschichte und der Kultur zu tun, sagt Robert Vancel von der Matej-Bel-Universität in Banská Bystrica, und mit dem Glauben, dass die Slowakei eine Brücke zwischen Ost und West ist.

Wahr ist, dass die Slowakei seit langem ein Tummelplatz für russische Desinformation ist. Viele der lautstärksten Politiker des Landes, die jetzt in der Opposition sind, haben sich auf die Seite von Moskaus Hetzreden gegen die USA und die NATO geschlagen.

Die systemische Korruption, die erst nach einem Regierungswechsel im Jahr 2020 wirklich in Angriff genommen wurde, führte auch dazu, dass einige politische Eliten Moskau gegenüber aufgeschlossener waren.

Eine vorübergehender Stimmungswechsel?

Die Zustimmungswerte für Wladimir Putin, den russischen Präsidenten, stiegen verschiedenen Umfragen zufolge von 41 Prozent im Jahr 2017 auf 55 Prozent im Jahr 2020. In einer Umfrage im Jahr 2020 erklärte eine knappe Mehrheit (53 Prozent) der Slowaken, dass die USA ihre Identität und ihre Werte bedrohen.

Der russische Einmarsch in der Ukraine passierte zudem inmitten einer quälenden Debatte über die Rolle der Slowakei in der NATO. Nach jahrelangem Streit hatte Bratislava Anfang Februar endlich ein Abkommen über die Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich mit den USA unterzeichnet.

Für Kritiker bedeutet dies das Ende der slowakischen Souveränität. Robert Fico, ehemaliger Premierminister, nannte das Abkommen "Verrat" - obwohl er selbst in seiner Regierungszeit den Prozess angestoßen hatte.

Befürworter weisen jedoch darauf hin, dass die Übereinkunft den USA lediglich das Recht einräumt, zwei slowakische Luftwaffenstützpunkte zu nutzen. 23 der 30 NATO-Länder haben bereits ein solches Abkommen mit den USA.

Ob der russische Einmarsch in der Ukraine jedoch zu einer dauerhaften Verschiebung der öffentlichen Wahrnehmung zwischen Ost und West führen wird, ist unklar.

Richard Q. Turcsányi, Forscher an der Palacky-Universität Olomouc, ist der Ansicht, dass sich die Meinungen vorerst gegen Russland gerichtet haben, aber bald wieder umschwenken könnten.

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Die Kolonnade der Ferdinandquelle in Marienbad, Tschechische Republik, erstrahlt in ukrainischen Farben. Dienstag 29. März 2022.AP Photo

Seit dem Einmarsch wurden russische Desinformationskanäle in der Slowakei gezielt angegriffen, und die Politiker:innen, die Putin gegenüber positiv eingestellt waren, sind ruhiger geworden, so Turcsányi.

Anfang März schloss die Nationale Sicherheitsbehörde eine der größten Verschwörungswebseiten, Hlavne správy ("Hauptnachrichten"). Gleichzeitig haben prorussische Politiker wie Fico die russische Invasion öffentlich verurteilt - den Westen gleichzeitig zu verunglimpfen war daher keine Lösung.

Die Aggression Moskaus seit Ende Februar ist weniger leicht zu tolerieren und schönzureden als die weniger transparente Intervention in der Ukraine im Jahr 2014, als der Kreml die Krim annektierte. Für die Slowaken ist der Krieg in der Ukraine nun auch näher an ihrem Zuhause.

Am 18. März erklärte der russische Außenminister Sergej Lawrow, die Streitkräfte seines Landes würden jede Lieferung von S-300-Luftabwehrsystemen durch die Slowakei an die Ukraine bombardieren. Bratislava hatte zuvor erklärt, Munition liefern zu wollen.

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Offene Arme für ukrainische Flüchtlinge

Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks haben mehr als 250.000 ukrainische Flüchtlinge die Grenze zur Slowakei überquert. Das entspricht 5 Prozent der slowakischen Bevölkerung.

Eine Umfrage des Pew Research Center aus dem Jahr 2019 ergab, dass Slowaken im Alter von 50 Jahren und älter eher eine positive Einstellung zu Russland haben als die 18- bis 29-Jährigen.

Dennoch - oder gerade deswegen - sind viele ältere Slowaken von der russischen Invasion "schockiert". Sie erinnern sich an die Folgen des Prager Frühlings 1968, als sowjetische Panzer anrückten, um Proteste in der damaligen Tschechoslowakei niederzuschlagen, erklärte Klingová.

Jedem ist klar, dass, wenn die Ukraine fällt, wir die nächsten sind.

Die öffentliche Reaktion wurde auch von der Regierung ausgebremst. Eduard Heger, der Ministerpräsident, steht fest hinter Kiew und der westlichen Reaktion. Er ist zudem Befürworter einer schnellen Aufnahme der Ukraine in die EU.

Heger nahm zwar in der vergangenen Woche nicht an einem Besuch seiner mitteleuropäischen Kollegen in Kiew teil, um sich mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Zelenskyj zu treffen, bedauerte aber später seine Abwesenheit.

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"Die slowakische Regierung hat die Ukraine geschlossen unterstützt, sowohl durch ihr Handeln als auch durch öffentliche Erklärungen", sagt Klingová. "Jedem ist klar, dass, wenn die Ukraine fällt, wir die nächsten sind. Jedem ist klar, dass die Ukrainer auch einen Krieg für unsere eigene Sicherheit führen."

Heger wurde im vergangenen Jahr Ministerpräsident, nachdem sein Vorgänger Igor Matovič zurückgetreten war. Dieser hatte Schwierigkeiten, seine Koalitionsregierung zusammenzuhalten, nachdem er dem Kauf von Sputnik-Impfstoffen aus Russland zugestimmt hatte.

Seither hat es politische Entscheidungen gegeben, die noch vor zwei Monaten "unvorstellbar" gewesen sein, so Klingová. Drei russische "Diplomaten" wurden aus der Slowakei ausgewiesen, und drei slowakische Staatsangehörige wurden in diesem Monat unter dem Vorwurf der Spionage verhaftet.

Die Regierung hat kürzlich die Stationierung weiterer NATO-Truppen auf slowakischem Boden akzeptiert. Am 24. März wurde bekannt gegeben, dass die Slowakei eine neue NATO-Kmapfverband aufnehmen wird. Präsidentin Zuzana Čaputová, die im letzten Monat noch zögerte, das Abkommen (DCA, Defence Cooperation Agreement) zu unterzeichnen, begrüßt das Vorhaben mittlerweile.

Obwohl das Land während der Migrantenkrise 2015 zu den größten Gegnern von Flüchtlingsquoten gehörte, hat es zuletzt großzügige Sozialpakete für ukrainische Flüchtlinge beschlossen.

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"Gifte Inhalte" gibt es auch weiterhin

Turcsányi ist jedoch skeptisch, ob die offensichtliche Wende der Öffentlichkeit gegen Russland von Dauer sein wird. Nicht alle Desinformationskanäle und pro-russischen Medien sind zum Schweigen gebracht worden: Es gibt immer noch mehr als 1600 Facebook-Seiten und offene Gruppen, die "giftige Inhalte" und Desinformationen über den Krieg in der Ukraine verbreiten, meint Klingová.

"Die erste Reaktion war Schock, Entsetzen und Angst", sagt Matej Kandrík, Direktor des STRATPOL-Strategic Policy Institute, eines unabhängigen Think-Tanks in Bratislava.

"Doch der bösartige Einfluss der Desinformation auf die slowakische Gesellschaft ist massiv", fügt er hinzu. "Wenn mehr Zeit vergeht, wir mit einem Zustrom von Flüchtlingen konfrontiert sind und wirtschaftlich schwierige Zeiten vor uns haben, können wir nicht ausschließen, dass sich die öffentliche Meinung wieder gegen die EU und die NATO wendet."

Auch wenn sie sich offiziell gegen Moskaus Invasion aussprechen, sprechen prorussische Politiker:innen gleichzeitig über die Gefahren der NATO und des Bündnisses mit den USA.

Fico, dessen Partei SMER-SSD (Slowakische Sozialdemokratie) in den jüngsten Meinungsumfragen an zweiter oder dritter Stelle liegt, sagte kürzlich, NATO-Truppen auf slowakischem Boden kämen einer "Begrüßung der Wehrmacht" gleich, eine Anspielung auf die Armee von Nazi-Deutschland.

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"Wir solidarisieren uns mit der ukrainischen Zivilbevölkerung, die angegriffen wird", sagt Marian Duris, Leiter der Abteilung für internationale Beziehungen der rechtsgerichteten Partei Republika, die von dem umstrittenen Europaabgeordneten Milan Uhrík geführt wird.

"Das Chaos ist nicht im Februar 2022 entstanden", so Duris. Die Vorgeschichte sei der "von außen unterstützte Sturz der demokratisch gewählten ukrainischen Regierung" gewesen, eine Anspielung auf die Maidan-Revolution 2014.

In der russischen Darstellung, die von vielen slowakischen Parteien wiederholt wurde, wurde der pro-moskauische ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch von "Neonazis" gestürzt, wie Moskau es nennt.

Russland wurde jahrelang durch Militäraktionen an seinen Grenzen, Sanktionen, Isolation und die Ausweitung der NATO auf Russland provoziert.

Für die meisten Ukrainer richtete sich die Maidan-Revolution jedoch gegen die Korruption und Menschenrechtsverletzungen der Janukowitsch-Regierung sowie gegen seine schockierende Entscheidung, kein politisches Assoziierungsabkommen mit der EU zu unterzeichnen und sich stattdessen Moskau anzunähern.

"Kein europäisches Land kann sich angesichts dieser Militäroperation zurückhalten, wenn die Zukunft der europäischen Sicherheitsarchitektur auf dem Spiel steht", so Duris. "Wir lehnen Waffenlieferungen über slowakisches Territorium als eine Frage der nationalen Sicherheit ab."

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Martin Beluský, stellvertretender Vorsitzender der rechtsextremen Volkspartei Unsere Slowakei (ĽSNS), die oft als neonazistisch bezeichnet wurde, sagt, dass seine Partei die Invasion nicht gutheißt.

"Andererseits kann es keine Zweifel geben: Russland wurde jahrelang durch Militäraktionen an seinen Grenzen, Sanktionen, Isolation und die Ausweitung der NATO auf Russland provoziert", sagte er.

"Unsere Partei fordert die militärische Neutralisierung der Slowakischen Republik", fügte er hinzu und bezog sich dabei auf den offiziellen Namen des Landes. "Unser Staat sollte neben Österreich und der Schweiz eine Brücke zwischen West und Ost bilden."

Einige Parteien haben jedoch auch ihre Position zugunsten der NATO und des westlichen Bündnisses verschärft.

"Wir haben den Angriff Russlands auf die Ukraine sofort und unmissverständlich verurteilt", sagt Peter Kmec, ehemaliger Botschafter in den USA und führender Abgeordneter der Partei Stimme-Soziale Demokratie (HLAS-SD), die sich 2020 von der Partei des ehemaligen Ministerpräsidenten Fico abspaltete. Jüngsten Meinungsumfragen zufolge ist sie die beliebteste Partei.

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