Nach Einigung auf Waffenruhe: EU fordert verstärkte Hilfe für Gaza

EU-Kommissar für humanitäre Hilfe Janez Lenarčič spricht im Europäischen Parlament in Straßburg, 22\. November 2023
EU-Kommissar für humanitäre Hilfe Janez Lenarčič spricht im Europäischen Parlament in Straßburg, 22\. November 2023 Copyright Eric VIDAL/ European Union 2023 - Source : EP
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Von Mared Gwyn Jones
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Dieser Artikel wurde im Original veröffentlicht auf Englisch

Israel und die Hamas haben sich am Mittwoch auf einen Waffenstillstand geeinigt. Die EU wird mit ihren Partnern zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass die viertägige Waffenruhe zu einem "humanitären Aufschwung im Gazastreifen" führt, wie der Leiter der humanitären Hilfe der EU erklärte.

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In seiner Rede im Europäischen Parlament in Straßburg hat der  EU-Kommissar für humanitäre Hilfe und Krisenschutz, Janez Lenarčič, seine Hoffnung auf eine verstärkte Hilfe für den Gazastreifen zum Ausdruck gebracht. Er sprach dabei von einem gewünschten "erheblichen Anstieg der humanitären Hilfslieferungen". 

"Und wir hoffen natürlich, dass dies keine einmalige Sache sein wird", fügte er hinzu.

In einem wichtigen diplomatischen Durchbruch am frühen Mittwochmorgen haten sich Israel und die Hamas auf einen viertägigen humanitären Waffenstillstand und die Freilassung von mindestens 50 Frauen und Kindern geeinigt. Sie werden seit dem tödlichen Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober im Gazastreifen als Geiseln gehalten.

EU-Hilfe für Gaza begegnet Schwierigkeiten

Nach Angaben des katarischen Außenministeriums, das bei den wochenlangen Verhandlungen über die Geiselnahme vermittelt hat, sieht die Vereinbarung eine "humanitäre Pause" vor, um "die Einreise einer großen Zahl von humanitären Konvois und Hilfsgütern, einschließlich für humanitäre Zwecke bestimmter Treibstoffe" zu ermöglichen.

Der Beginn der Pause werde innerhalb der nächsten 24 Stunden bekannt gegeben, hieß es in der katarischen Erklärung.

Die EU hat ihre humanitäre Hilfe für die Palästinenser in diesem Jahr auf 100 Millionen Euro vervierfacht und mindestens 15 Flüge mit Hunderten von Tonnen humanitärer Fracht zum Grenzübergang Rafah in Ägypten geschickt. 

Die Hilfsbemühungen der EU und der internationalen Gemeinschaft begegnen allerdings immer wieder erhebliche Schwierigkeiten. Laut Lenarčič kommen im Durchschnitt nur 50 Lastwagen pro Tag in den Gazastreifen, während es vor dem Ausbruch des Konflikts noch 100 Lastwagen pro Tag waren.

"Im gesamten Gazastreifen herrscht ein akuter Mangel an allen lebensnotwendigen Gütern: Lebensmittel, Medikamente, einschließlich Anästhetika, und Wasser", warnte Lenarčič und fügte hinzu, dass die derzeitige Nahrungsmittelhilfe nur zehn Prozent der Mindestkalorienzufuhr decke.

Auch die medizinischen Einrichtungen stünden "entweder kurz vor dem Zusammenbruch oder sind bereits geschlossen", so Lenarčič, was vor allem auf den Mangel an Treibstoff zurückzuführen sei. Am vergangenen Freitag beschloss das israelische Kriegskabinett, täglich zwei Lastwagen mit Treibstoff in den Gazastreifen zu lassen, um die Wasser-, Abwasser- und Entsalzungssysteme zu sichern. Dabei sollen strenge Überwachungsbedingungen gelten, um sicherzustellen, dass die Lieferungen nicht von der Hamas für militärische Zwecke missbraucht werden.

Lenarčič forderte außerdem die Öffnung eines "weiteren Landübergangs" als Ergänzung zum Rafah-Übergang, der einzigen derzeit offenen Route nach Gaza, sowie "andere Möglichkeiten, um zusätzliche Hilfe nach Gaza zu ermöglichen".

Die EU-Kommission denkt über einen humanitären Korridor auf dem Seeweg nach, den der zypriotische Präsident Nikos Christodoulides Anfang des Monats vorgeschlagen hatte, hat aber Bedenken geäußert. Denn an der Küste des Gazastreifens gebe es keinen funktionierenden Hafen, in dem Güter entladen werden könnten.

EU-Position bleibt uneinheitlich

Lenarčič forderte außerdem "dringende und ausgedehnte humanitäre Pausen im gesamten Gazastreifen und für eine ausreichende Anzahl von Tagen", um eine Ausweitung der Hilfe zu ermöglichen.

Der Zugang für humanitäre Hilfe wird durch Israels ununterbrochene Bombardierungen behindert. Dies veranlasste die Staats- und Regierungschefs der EU, Ende des vergangenen Monats während eines Gipfels gemeinsam "humanitäre Korridore und Pausen" zu fordern, um einen "ungehinderten Zugang" zu der belagerten Enklave zu ermöglichen.

Einig waren sich die Staats- und Regierungschefs der EU nicht. Der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez und der irische Ministerpräsident Leo Varadkar bevorzugten Berichten zufolge eine deutlichere Erklärung, in der ein humanitärer Waffenstillstand gefordert wird.

Mit Blick auf die Position Madrids erinnerte EU-Spitzendiplomat Josep Borrell am Mittwoch im Plenum des EU-Parlaments, dass Spanien keineswegs den Vorsitz im Europäischen Rat innehabe und bei außenpolitischen Entscheidungen nicht vermittele. 

"Wenn Sie jemanden kritisieren wollen, können Sie mich kritisieren", sagte Borrell.

Er wies auch auf die starken Meinungsverschiedenheiten zwischen den Staats- und Regierungschefs der EU in dieser Frage hin.

"Bis jetzt haben die Staats- und Regierungschefs unterschiedliche Positionen dazu vertreten, wie Israel sein Recht auf Selbstverteidigung ausübt. Wenn es keine gemeinsame Position gibt, kann ich als Hoher Vertreter diese Position nicht vertreten. Ich kann sie nicht vertreten, aber ich muss weiter daran arbeiten, diesen gemeinsamen Standpunkt zu erreichen", erklärte Borrell.

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"Als Hoher Vertreter muss ich mich weiterhin dafür einsetzen, dass die Mitgliedstaaten in einer Weise zusammenkommen, die es ihnen ermöglicht, in diesem Konflikt eine geopolitische Kraft zu sein", fügte er hinzu.

Sowohl Borrell als auch die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, haben in den letzten Wochen die Vision des Blocks für eine mögliche friedliche Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts auf der Grundlage der so genannten Zwei-Staaten-Lösung dargelegt.

Die EU könnte eine Schlüsselrolle bei der Vermittlung von Friedensgesprächen und einer Lösung spielen, bekräftigte Borrell am Mittwoch und wiederholte die Kriterien des Blocks für einen Nachkriegs-Gaza, darunter keine Hamas-Herrschaft und keine israelische Besetzung des Streifens.

"Dies könnte eine Gelegenheit sein. Dies könnte ein Moment sein, um Frieden zu schaffen", erklärte Borrell.

"Wir Europäer müssen ein aktiver Teil einer Lösung sein", fügte er hinzu, "diese Lösung kann nur zustande kommen, wenn wir uns auf das einigen, wofür wir seit Jahren eintreten: die Koexistenz zweier Völker, die in der Lage sein sollten, das gleiche Land und den gleichen Frieden zu teilen."

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