Fünf Fragen zu Russlands Luftangriffen in Syrien

Fünf Fragen zu Russlands Luftangriffen in Syrien
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Von Denis Loctier
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Euronews-Reporter Denis Loctier konnte einen russischen Luftwaffenstützpunkt in Syrien besuchen. Zu bestimmten Bereichen wurde ihm kein Zugang

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Euronews-Reporter Denis Loctier konnte einen russischen Luftwaffenstützpunkt in Syrien besuchen. Zu bestimmten Bereichen wurde ihm kein Zugang gewährt, sonst gab es keine Auflagen bezüglich seiner Berichterstattung.

Welche Ziele verfolgt Russland in Syrien?

Denis Loctier, Euronews: Ich durfte die Khmeimin-Basis beim Basil Al-Assad International Airport nahe Latakia besuchen. Seit dem Beginn der russischen Luftschläge am 30. September gilt sie als der wichtigste Stützpunkt der russischen Luftwaffe in der Region. An drei weiteren Stützpunkten bei Hama, Schariat und Tiyas sollen vor allem Kampfhubschrauber stationiert sein.

Hauptaufgabe der russische Kampfflugzeuge ist die Luftunterstützung für die syrischen Regierungstruppen und schiitischen Milizen aus Nachbarländern. Dazu greift die russische Luftwaffe, eigenen Angaben zufolge, auf Lage-Informationen der syrischen Armee, aber auch der syrischen Opposition und des militärischen Aufklärungszentrums in Bagdad zurück.

Russland gibt an, nicht die oppositionelle “Freie Syrische Armee” ins Visier zu nehmen und gewillt zu sein, auch solchen Oppositionsgruppen Luftunterstützung zu gewähren, die gegen die IS-Miliz kämpfen.

Kommen bei russischen Luftangriffen Zivilisten ums Leben?

Denis Loctier, Euronews: Ich habe diese Frage den Offizieren auf der Basis gestellt, und wie zu erwarten war antworteten sie, dass es dafür keinerlei Anhaltspunkte gebe.

Menschenrechtsgruppen sagen, die russischen Bombardements verletzten internationales Kriegsrecht, weil sie unterschiedslos auch Zivilisten träfen. Die in London basierte Beobachtergruppe “Syrian Network for Human Rights” beziffert die Zahl der zivilen Opfer auf bislang mehr als 250. “Human Rights Watch” zitiert Bewohner der Provinz Homs, wonach bei einem russischen Luftangriff am 15. Oktober in dem Dorf Ghantou 59 Zivilisten ums Leben kamen.

Der Kreml hat solche Vorwürfe als “fabriziert” zurückgewiesen. Die Bomben und Raketen, die ich auf der Khmeimin-Basis bei Latakia an der syrischen Mittelmeerküste sah, waren präzisionsgelenkte Waffen. Das russische Militär veröffentlicht regelmäßig Videos, die akkurate Luftschläge zeigen sollen. Das Militär gibt auch an, die Ziel-Informationen mit mehreren Quellen abzugleichen. Trotzdem scheint es unwahrscheinlich, dass bei den mehr als 4000 Angriffen, die die russische Luftwaffe seit Ende September geflogen haben will, keinerlei Tote in der Zivilbevölkerung zu beklagen waren.

Gab es bei den russischen Streitkräften bislang Todesopfer?

Denis Loctier, Euronews: Offiziell starb bei der russischen Militäroperation in Syrien bis jetzt nur ein einziger russischen Soldat: ein 19-jähriger Technischer Spezialist, der Selbstmord begangen haben soll. Allerdings bezweifeln seine Angehörigen die offizielle Erklärung. Laut den Befehlshabern seien es persönliche, nicht aufgabenbezogene Umstände gewesen, die den Soldat zum Suizid getrieben hätten. Es werde großer Aufwand betrieben, das Wohlergehen der Piloten, Ingenieure, Infanteristen, Elitesoldaten und der anderen Bediensteten zu garantieren.

Der Armee-Psychologe der Basis sagte mir, die Bediensteten seien nach den ersten Wochen ihres Einsatzes müde und weniger konzentriert. Daher untersuche er die Soldaten regelmäßig, um wenn nötig einzugreifen. Auf meine Frage, wie die Soldaten der Basis auf den Absturz der russischen Passagiermaschine auf dem Sinai reagierten, durfte er allerdings nicht antworten. Atuellen Einschätzungen zufolge fielen die 224 Menschen an Bord des Ferienfliegers wahrscheinlich einem Racheakt für die russischen Luftangriffe auf IS-Stellungen in Syrien zum Opfer.

Lassen sich russische Luftschläge gut nachvollziehen?

Denis Loctier, Euronews: Auch die syrische Luftwaffe benutzt Flugzeuge sowjetischer Herkunft und fliegt pro Tag mehr als 30 Missionen. Daher ist es nicht immer einfach oder gar möglich, genau zu rekonstruieren, welche Streitkräfte für einen Angriff verantwortlich sind. Auch die syrische Armee gibt an, nur von Kämpfern genutzte Stellungen und nicht Zivilisten anzugreifen. Humanitäre Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen werfen dem Regime jedoch vor, ihre Waffen oft willkürlich einzusetzen.

Sind verdeckte russische Bodentruppen im Einsatz?

Denis Loctier, Euronews: Es gibt keine klaren Beweise, dass das russische Militärengagement in Syrien über die Luftangriffe hinaus geht und dass Bodentruppen an Kampfeinsätzen teilnehmen. Investigative Blogger sind allerdings auf einige Selfies russischer Soldaten gestoßen, die mit GPS-Koordinaten von außerhalb der russischen Stützpunkte versehen waren.

Als ich einige Offiziere auf der Latakia-Basis danach fragte, bestritten sie die Echtheit dieser Selfies nicht, sagten allerdings, die Soldaten hätten zu keinem Kampfverband gehört sondern Fracht-Konvoys begleitet. Der Kreml gibt an, in Syrien seien keine russischen Bodentruppen im Kampfeinsatz, wohl aber seien Truppen zum Schutz der Basen vor Ort, zudem seien der syrischen Armee Berater und Ausbilder zur Verfügung gestellt worden.

Die politische Führung in Moskau scheint besorgt zu sein, dass die öffentliche Meinung in Russland im Fall von Verluste bei den russischen Truppen kippen könnte, so wie das schon beim sowjetischen Afghanistan-Krieg der Fall war. Ein hochrangiger Offizier sagte mir: “Wir bleiben immer schön hier auf der Basis. Zuhause in Russland wollen sie keine weiteren Särge sehen.”

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