Wenn die Regierung legal hackt: Großbritanniens Supervorratsdatenspeicherung

Wenn die Regierung legal hackt: Großbritanniens Supervorratsdatenspeicherung
Von Valérie Gauriat mit Margitta Kirstaedter
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Mit dem umstrittenen neuen Internetüberwachungsgesetz will die britische Regierung besser gegen Terrorismus und Organisiertes Verbrechen vorgehen.

Ein neues Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung sorgt in Großbritannien für Aufruhr. Nicht nur den Gegnern im Vereinigten Königreich und im Ausland geht es zu weit: Auch der Europäische Gerichtshof verurteilte es als unangemessen. Doch wo liegt die vernünftige Grenze zwischen Terrorismusabwehr und Datenschutz? Und inwieweit nützt die Internet-Überwachung wirklich zur Verbrechensbekämpfung?

“Kann ich mal Ihr Handy sehen?”
“Warum?”
“Ich möchte mir bloß ein detailliertes Bild von Ihnen machen, Ihren e-Mails, SMS, Ihren Anrufen, Fotos… Ich hacke bloß Handys, schmökere ein bisschen… logge mich in Ihr Bankkonto ein… hacke Ihren Server…”
“Würden Sie einen Fremden in Ihr Telefon lassen? Das Schnüfflergesetz lässt Ihnen keine Wahl.” Mit diesem Clip schlägt die britische Bürgerrechtsorganisation Liberty Alarm. Das neue Gesetz zur Internetüberwachung und Vorratsdatenspeicherung in Großbritannien sorgt für Aufruhr.

Es soll der Regierung im Kampf gegen Terrorismus und Organisiertes Verbrechen dienen. Der neue Investigatory Powers Act, der im Dezember in Kraft trat, gestattet Polizei, Geheimdiensten und gut vierzig anderen Regierungsbehörden Einblick in private Internetverbindungen, ohne Durchsuchungsbefehl. Selbst der nationale Gesundheitsdienst, die Lebensmittelaufsicht und die Rentenkasse haben Zugriff. Big Brother is watching you.

.libertyhq</a> have now raised nearly £50,000 to fund a challenge to the Investigatory Powers Act (<a href="https://twitter.com/hashtag/IPAct?src=hash">#IPAct</a>) <a href="https://t.co/fHY0ra3PZM">https://t.co/fHY0ra3PZM</a></p>&mdash; InfoLawCentreIALS (@infolawcentre) 16 janvier 2017

Liberty-Aktivistin Silkie Carlo warnt: “Unsere Kommunikationsdaten, E-Mails, Anrufe, SMS, an wen und wann, und all unsere Internet-Aktivität können selbst für Ermittlungen bei unerheblichen Straftaten eingesehen werden. Die Überwachungsstellen brauchen noch nicht einmal die Zielobjekte zu identifizieren – Polizei und Geheimdienste können also einen Computer oder tausende Computer hacken, ohne die Zielpersonen zu benennen. Zudem müssen sie diesen nicht mitteilen, dass sie überwacht wurden. Was bedeutet, dass tausende Menschen, in deren Privatleben eingegriffen wird, deren Telefone gehackt und deren Gespräche abgehört wurden, das nicht einmal wissen und nie davon erfahren werden.”

Zu den besonders umstrittenen Regelungen gehört die Verpflichtung für Telekommunikations- und Internetanbieter, die Daten über Online-Aktivitäten ihrer Kunden zwölf Monate lang zu speichern.

EU-Gerichtshof: Nur gezielte Überwachung bei schweren Straftaten

Der Europäische Gerichtshof hat diese generelle, unterschiedslose Datenspeicherung prompt als zu weitgehend und für eine Demokratie nicht gerechtfertigt verurteilt. Nur gezielte Ermittlungen bei schweren Straftaten seien gerechtfertigt. Doch auch wenn Großbritannien noch zur EU gehört – so schnell will die Regierung sich nicht geschlagen geben. Sie will erneut Berufung einlegen.

Mal sehen, wann sich die Politik bei der illegalen Datenspeicherung bewegt. https://t.co/tqKXYo7ALt #1984

— T Hochscherf (@THochscherf) 22 décembre 2016

David Anderson hat als sogenannter “Unabhängiger Gutachter der britischen Anti-Terror-Gesetzgebung” (Independent Reviewer of Terrorist Legislation) die neuen Vorgaben überprüft: “Alle Befugnisse, die Polizei und Geheimdienste hierzulande nutzen oder nutzen wollen, sind jetzt klar schwarz auf weiß aufgelistet. Das war vorher nicht so, und das ist auch in den meisten Ländern der Welt nicht so. Meine Schlussfolgerungen auf Basis von rund sechzig detaillierten Fallstudien waren, dass diese Befugnisse wirklich nützlich sind. Zum Beispiel beim Schutz gegen Cyber-Kriminalität, gegen feindliche ausländische Mächte, bei Geiselnahmen, der Suche nach Vermissten und natürlich bei Ermittlungen in schwerwiegenden Straftsachen.”

Nachrichtendienste von Datenflut überfordert

Sinn und Wirksamkeit der Massenüberwachung sind umstritten. 2013 wurde der britische Soldat Lee Rigby auf offener Straße von zwei Islamisten ermordet. Die beiden waren den Nachrichtendiensten bekannt und hatten sogar im Internet über ihr Vorhaben gesprochen.

Diese Informationen wurden aber nicht genutzt. Mehrere vertrauliche Berichte, die der Whistleblower Edward Snowden veröffentlichte, bekräftigen, dass die Nachrichtendienste von der Masse der Daten und Überwachungsmöglichkeiten, auf die sie zurückgreifen können, schlicht überfordert sind.

Arbeit von Journalisten und Informanten bedroht

Überwachung durch die Polizei: Alltag für Jason Parkinson. Der Journalist und etliche Kollegen wurden aufgrund ihrer Arbeit von der Polizei in einer geheimen Datenbank als Extremisten eingestuft und akribisch bespitzelt.

Sie konnten schließlich dank des britischen Datenschutzgesetzes die Dossiers einsehen und gingen vor Gericht. Parkinson ist strikt gegen ein Gesetz, das seine Berufsgruppe und deren Informanten bedroht: “Die Nachrichtendienste sollten sich auf das konzentrieren, was eine wirkliche Bedrohung für die Öffentlichkeit und dieses Land darstellt. Uns auszuspionieren, nur weil wir die Regierung in die Verantwortung nehmen, ist ein gefährlicher Weg. Noch wichtiger ist, dass die Informanten und Whistleblower nicht mehr geschützt sind. Sie werden Angst haben, Journalisten zu kontaktieren, um auf Dinge hinzuweisen, die schieflaufen, denn sie müssen fürchten, geschnappt zu werden.”

Gesetz technisch längst überholt?

Einmal abgesehen vom Eingriff in die Privatsphäre sei das neue Gesetz technisch aufwändig für sie umzusetzen, klagen Telekommunikations- und Internetanbieter wie Adrian Kennard – und damit kostspielig. Kennard, ein Gegner des Gesetzes, stellt grundsätzlich dessen Wirksamkeit in Frage: Ob Verschlüsselung oder virtuelle private Netze, die Überwachung sei doch leicht zu umgehen. Journalisten oder Bürgerrechtler wüssten das längst, Kriminelle erst recht. Und die breite Kundschaft sei lernfähig…

Adrian Kennard: “Es besteht ein echtes Risiko, dass all dieses Geld ausgegeben wird, ohne dass es was hilft. Man sieht doch, wie Kriminelle das Gesetz umgehen können. Und die Normalbürger, die um ihre Privatsphäre besorgt sind, werden das auch lernen. Das Beste, was wir als Internet-Provider tun können, ist, unsere Kunden zu informieren und auszubilden. Ihnen zu helfen, ihre e-Mails zu verschlüsseln. Das ist noch nicht mal regierungsfeindlich: Die Regierung steht doch auf derselben Seite wie die Kriminellen. Sie versuchen, dich auszuspionieren und abzuhören. Es sind also dieselben Methoden, sich vor Kriminellen wie vor diesen Schnüfflern zu schützen.”

Verschlüsselung von Messengers im Vergleich: #WhatsApp, #Threema, #Signal oder doch lieber #Allo? https://t.co/0I53zAFBNl

— Boxcryptor (@boxcryptor) 26 janvier 2017

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