Wie funktioniert die Regierung im Libanon?

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Ein System der Machtteilung soll dafür garantieren, dass alle im Land vertretetenen Religionen angemessen repräsentiert werden, aber funktioniert das in der Praxis?

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Massenproteste gegen Misswirtschaft und Korruption - die libanesische Regierung gerät zunehmende unter Druck, etwas zu ändern. Seit mehreren Jahren lähmt eine Wirtschafts- und Finanzkrise das Land. Die unmittelbare Nähe zum kriegszerrütteten Syrien wirkt sich ebenfalls negativ auf das kleine Land am Mittelmeer aus.

Ein System der Machtteilung soll dafür garantieren, dass alle im Land vertretenen Religionen angemessen repräsentiert werden, aber funktioniert das in der Praxis?

Wie funktioniert die libanesische Regierung?

Die libanesische Regierung muss allen im Land vertretenenen Konfessionen politische Repräsentation einräumen - ein Vermächtnis der französischen Kolonialherrschaft. Die drei größten Religionsgemeinschaften sind maronitische Christen, schiitische und sunnitische Muslime.

Die Anzahl der Sitze im Parlament ist zwischen Christen und Muslimen auf die verschiedenen Konfessionen proportional aufgeteilt. Auch Regierungsstellen und öffentliche Ämter werden auf diese Weise besetzt. Auf diese Weise wird versucht, alle Bevölkerungsgruppen am politischen Leben teilhaben zu lassen. Der Präsident muss immer ein maronitischer Christ, der Ministerpräsident ein Sunnit und der Parlamentspräsident ein Schiit sein.

Lina Khatib, Direktorin des MENA-Programms am Chatham House, ist der Meinung, dass das System "eine tiefe Kluft zwischen allen 18 anerkannten religiösen Gemeinschaften" geschaffen hat, da die jede Glaubensgemeinschaft ihre Position in der Regierung nutzt, um die "eigenen Interessen durchzusetzen anstatt den nationalen Interesse zu dienen."

Wie funktioniert das libanesische System?

Der Präsident ist das Staatsoberhaupt. Er ist befugt, vom Parlament verabschiedete Gesetze in Kraft zu setzen, zusätzliche Bestimmungen zu verlangen, um die Ausführung von Gesetzen zu gewährleisten, Verträge auszuhandeln oder zu ratifizieren. Entscheidungen des Präsidenten bedürfen der Zustimmung des Kabinetts. Seine Amtszeit ist auf sechs Jahre beschränkt. Eine Wiederwahl ist nicht möglich.

General Michel Aoun ist seit Oktober 2016 Präsident des Libanon. Er ist der Gründer der maronitischen "Freien Patriotischen Bewegung", die oft auch als die "Aoun-Bewegung" bezeichnet wird.

Das Parlament (auch Nationalversammlung genannt) spielt eine wichtige Rolle in finanziellen Angelegenheiten, zu seinen Aufgaben gehört u.a. die Verabschiedung des Haushalts. Seine Mitglieder werden auf vier Jahre gewählt. Sprecher des Parlaments muss ein Schiit sein. Die Zusammensetzng des Parlaments muss dem Verhältnis der religiösen Gemeinschaften entsprechen.

Amtierender Ministerpräsident ist seit 2016 Saad Hariri, ein sunnitischer Geschäftsmann. Nach der Ermordung seines Vaters Rafik Hariri 2005, trat er in die Politik ein und gründete die seine "Zukunftsbewegung" (auch: Versöhnungs- und Reformliste").

Wie sieht die aktuelle Regierung aus?

Anfang 2019 konnten sich die libanesischen Fraktionen nach Monaten der Unsicherheit auf eine neue Regierung einigen.

Die militante, schiitische Hisbollah konnte große Erfolge verbuchen, während Hariris Gruppe mehr als ein Drittel ihrer Sitze verlor. Der Hisbollah untersteht das Gesundheitsministerium, das über eines der größten Budgets verfügt. Das Finanzministerium blieb in den Händen von Ali Hassan Khalil. Ihm wird nachgesagt, ein Verbündeter der Hisbollah zu sein.

Ein weiterer historischer Moment Besetzung von vier Ministerposen mit Frauen, ihr Repräsentanz hat sich damit verdoppelt.

Welche Rolle spielt die Religion in der libanesischen Politik?

Eine große. Aufgrund des Konfessionalismus und des Versuchs, möglichst alle Teile der Gesellschaft am politischen Leben teilhaben zu lassen, manifestiert sich die Glaubenzugehörigkeit laut Khatib als Werkzeug der politischen Macht und nicht des Glaubens.

"Im politischen Leben gibt es kaum Diskussionen über religiöse Überzeugungen. Vielmehr geht es darum, welche religiöse Gruppe mehr Macht erlangen und ihrer eigenen Gemeinschaft mehr dienen kann, leider oft auf Kosten anderer Gemeinschaften und des nationalen Interesses", sagte sie.

Was hat die Regierung falsch gemacht?

Die immer schlimmer werdende Wirtschaftskrise im Libanon hat sicherlich dazu beigetragen, dass es mit der Regierungsbildung doch noch geklappt hat. Denn auch das hatten Demonstranten schon gefordert: eine schnelle Regierungsbildung. Ministerpräsident Hariri erklärte, dass die Wirtschaft nun Priorität habe.

"Wir können keine Zeit mehr verschwenden", erklärte er, "wir schulden den Libanesen eine Entschuldigung für die Verspätung, besonders den jungen Männern und Frauen, die darauf hoffen, dass sich bald etwas verbessert."

Erst am vergangenen Montag wurde ein Notfallreformpaket verabschiedet. Es sieht unter anderem die Kürzung der Minister- und Abgeordnetengehälter vor. Hariri kündigte zudem an, dass die Regierung in den nächsten drei Wochen die erste Phase eines milliardenschweres Investitionsprogramms genehmigen werde, das an die Umsetzung von Reformen im Land geknüpft ist

Die Regierung genehmigte auch den Haushalt für 2020 - ohne die Erhebung neuer Steuern und mit einem Defizit von rund 0,6%, verglichen mit dem angestrebten Niveau von rund 7% für 2019, sagte Hariri. Regierungseinrichtungen sollen geschlossen oder zusammengelegt werden, um Kosten einzusparen.

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Warum hören die Proteste im Libanon nicht auf?

´Viele Libanesen sind von den Versprechungen der Politiker nach wie vor nicht überzeugt. Denn neben der schlechten wirtschaftlichen Situation sehen sie Korruption als Hauptproblem für die Missstände im Land. Die Demonstranten würden ihre Machtposition dazu nutzen, um sich zu bereichern.

Maya Mhana, eine Lehrerin, die Hariris Rede im Zentrum von Beirut gemeinsam mit anderen Demonstranten anhörte, bekräftigte gegenüber Reuters, dass sie der Regierung nicht vertraue: "Wir bleiben auf der Straße, wir glauben ihm kein einziges Wort."

"Lügen, Lügen, Lügen", sagte ein anderer Demonstrant, der namentlich nicht genannt werden will. "Sie regieren schon so lange - wenn sie es gewollt hätten, hätten sie alles ändern können."

Laut Khatib würde es viele Anstrengungen seitens des Volkes erfordern, um das gegenwärtige politische System zu verändern: "Die politischen Eliten klammern sich an das System, weil es ihnen politische und wirtschaftliche Privilegien garantiert. Aber die Frustration der Bevölkerung über das System wächst. Sie ist ein wichtiger Motor der aktuellen Proteste im Libanon."

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