Soll Deutschland die AfD verbieten? Welche Auswirkungen kann dies haben?

Eine AfD-Demonstration vor dem Reichstagsgebäude in Berlin, Samstag, 8. Oktober 2022.
Eine AfD-Demonstration vor dem Reichstagsgebäude in Berlin, Samstag, 8. Oktober 2022. Copyright Christoph Soeder/(c) Copyright 2022, dpa (www.dpa.de). Alle Rechte vorbehalten
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Von Giulia Carbonaro
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Letztes Jahr entschied ein deutsches Gericht, dass die rechtsextreme Partei eine Bedrohung für die Demokratie darstellt und erlaubte ihre Überwachung durch die Sicherheitsdienste des Landes.

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Eine aktuelle Studie des Deutschen Instituts für Menschenrechte, die die Möglichkeit eines Verbots der Alternative für Deutschland (AfD) untersucht, hat die rechtsextreme Partei einmal mehr ins Rampenlicht gerückt.

In der am 7. Juni veröffentlichten Studie heißt es, die AfD stelle inzwischen eine solche Gefahr für die demokratische Ordnung des Landes dar, "dass sie vom Bundesverfassungsgericht verboten werden könnte".

Die AfD könne rechtlich verboten werden, weil sie explizit die "Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung" und die "Abschaffung der im Grundgesetz verankerten Garantie der Menschenwürde" zum Ziel habe, so das Institut.

Der 2013 gegründeten AfD werden antidemokratische Tendenzen vorgeworfen, obwohl sie offiziell die Demokratie in Deutschland unterstützt.

Euronews hat die Partei um eine Stellungnahme gebeten.

Ein Verbot der AfD wurde in Deutschland bereits früher erwogen. Letztes Jahr entschied ein Gericht, dass die Partei als potenzielle Gefahr für die Demokratie betrachtet werden sollte, und ebnete damit den Weg für ihre Überwachung durch die nationalen Sicherheitsdienste.

Anfang dieses Jahres beschloss man, den Jugendflügel der AfD, die Junge Alternative für Deutschland, als extremistische Gruppierung einzustufen. Die formale Zuschreibung des Extremismus ist das Äußerste, was das Land tun kann, ohne ein vollständiges Verbot auszusprechen.

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Der rechtsextreme Politiker Björn Hoecke, Thüringens AfD-Fraktionschef, wurde 2021 wegen der Verwendung einer Nazi-Parole angeklagt.Michael Reichel/(c) Copyright 2021, dpa (www.dpa.de). Alle Rechte vorbehalten

Auch der Thüringer Landesverband der Partei wurde vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestuft. Anfang dieser Woche wurde ihr Vorsitzender Björn Höcke beschuldigt, bei einer Wahlkampfveranstaltung im Mai 2021 absichtlich eine Nazi-Parole verwendet zu haben.

Doch während die Studie des Deutschen Instituts für Menschenrechte die Debatte über ein Verbot der Partei in Deutschland neu entfachte, nutzte die AfD die Situation, um ihre Verurteilung in einen Aufruf an ihre Anhänger zu verwandeln.

Die rechtsextreme Partei, die sich gegen den Islam, Einwanderung und die EU wendet, beunruhigt die politische Klasse in Deutschland. Laut Politicos Poll of Polls ist ihre Unterstützung landesweit in den vergangenen zwölf Monaten von 10 auf 18 Prozent gestiegen.

Ein großer Fehlschlag

Der Vorschlag, die AfD zu verbieten, ist "massiv nach hinten losgegangen, weil die AfD es auf sich genommen hat, in den Medien ein anderes Bild zu zeichnen", so Una Ivona Titz, Journalistin und Forscherin bei der Amadeu Antonio Stiftung, einer Institution, die sich auf Extremismus und Rechtsextremismus konzentriert.

"Im Moment erhalten sie viel Unterstützung auf [dem sozialen Medium] Telegram, weil sie ihre Anhänger um sich scharen und sich selbst als eine verfolgte Partei innerhalb eines ungerechten Systems darstellen, das sie von innen heraus bekämpfen", sagte sie Euronews.

Während die Studie darauf abzielte, das Bewusstsein für die Bedrohung durch die AfD zu schärfen, "sehen wir, dass es sie ermutigt hat und ihnen geholfen hat, das Image der AfD zu stärken", erklärte Titz.

"In Deutschland stehen Wahlen in Sachsen an, und im Moment liegt die AfD dort bei etwa 30 Prozent", fügte sie hinzu. "Wir befürchten, dass sie dadurch weiter gestärkt wird oder dass sie dazu führt, dass Menschen, die skeptisch sind oder ihre Stimme zurückhalten, tatsächlich die AfD wählen, weil sie sie als die Art von Außenseiter wahrnehmen, der ungerecht behandelt wird."

Bei der letzten Kreistagswahl im südthüringischen Sonneberg am vergangenen Wochenende erhielt der AfD-Kandidat Robert Stuhlmann 46,7 Prozent der Stimmen und lag damit vor allen anderen Kandidaten, was aber nicht ganz ausreichte, um eine Stichwahl zu vermeiden, die für den 25. Juni angesetzt wurde.

Frühere Versuche, eine gewählte Partei in Deutschland zu verbieten, sind gescheitert und haben sich gegen ihre Organisatoren ausgewirkt - so wurde ein vorläufiges Verbot der rechtsextremen Partei NPD im Jahr 2017 vom zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts aufgehoben.

Auch Politiker halten sich mit Vorschlägen für ein Verbot der AfD zurück.

"Die Studie hat als Online-Debatte an Fahrt gewonnen und ist dann von Politiker:innen aus dem gesamten politischen Spektrum aufgegriffen worden", sagte Titz. "So gab es Politiker:innen von der CDU, der SPD und von der Linken, die den Verbotsvorschlag boykottiert haben oder dem Verbot skeptisch gegenüberstanden, weil sie es für einen untauglichen Versuch hielten."

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"Sebastian Hoffmann [von der SPD] hat zum Beispiel über die AfD als verfassungsfeindliche Partei gesprochen, aber andererseits sieht er das primäre Ziel der Politik darin, die AfD in eine Art politischen Schwebezustand zu bringen, in dem sie nicht mehr wählbar ist und damit ein Verbot zu vermeiden."

Ein unmögliches Dilemma

Der Gedanke, eine Partei zu verbieten, ist nicht nur politisch heikel, sondern stellt für viele auch ein moralisches Dilemma dar. Wie der Princeton-Professor Jan-Werner Müller in einem Artikel aus dem Jahr 2013 schrieb, sind Demokratien "verdammt, wenn sie es tun, verdammt, wenn sie es nicht tun", extremistische Parteien zu verbieten.

Das Verbot einer Volkspartei kann zwar die Säulen der Demokratie untergraben, aber ein Land der Bedrohung durch den Extremismus auszusetzen, kann gefährlich sein und dazu führen, "letztlich keine Demokratie mehr zu haben, die man verteidigen kann".

Aus diesem Grund haben es die Länder im Allgemeinen vermieden, extremistische Parteien zu verbieten, und haben verschiedene Ansätze erforscht.

"Es gibt ein Spektrum, wie weit der Staat gehen kann, um gegen extremistische Gruppen vorzugehen", sagte Lorenzo Vidino, Direktor des Programms für Extremismus an der George Washington University, gegenüber Euronews. "Und das basiert auf unterschiedlichen Geschichten, unterschiedlichen verfassungsrechtlichen, sozialen und kulturellen Ansätzen."

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"Es gibt keinen richtigen oder falschen Weg."

Am einen Ende des Spektrums verwies Vidino auf den US-amerikanischen Ansatz, der "auf einer extremen Toleranz gegenüber Intoleranten" basiere, was bedeute, dass inländische Gruppen, die als extremistisch gelten, toleriert werden können.

"Der Ku-Klux-Klan ist in Amerika legal", sagte er. "Sie können Versammlungen abhalten, Kreuze verbrennen - das tun sie gelegentlich. Dafür gibt es eine Reihe von Gründen, die auf der Verfassung und der Redefreiheit beruhen.

Diese Gruppen werden natürlich vom Staat überwacht, aber es ist im Grunde unmöglich, eine extremistische Gruppe in Amerika zu verbieten", sagte Vidino.

JOHN MACDOUGALL/AFP or licensors
Ein Wahlkampfstand der AfDJOHN MACDOUGALL/AFP or licensors

Am anderen Ende des Spektrums verweist er auf Länder wie Deutschland. "Dort gibt es eine sehr geringe Toleranz gegenüber extremistischen Gruppen, selbst wenn diese nicht direkt gewalttätig sind."

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"Das liegt natürlich an der jüngeren deutschen Geschichte."

Selbst in Ländern, in denen extremistische Parteien verboten werden können, wird diese Entscheidung "aus verschiedenen Gründen nie leichtfertig getroffen", so Vidino.

"Zunächst einmal ist es ein kompliziertes rechtliches Verfahren. Aber es gibt auch eine politische Seite, die zu der Frage führt, ob wir dann auch linksextremistische Gruppen, wie z.B. manche Umweltgruppen, verbieten würden.”

Es gibt auch ein praktisches Problem, so Vidino: "Wenn man eine Gruppe verbietet, verschwindet sie nicht einfach. Die AfD hat Millionen von Anhängern - das Problem, das sie darstellt, ist nicht gelöst, wenn man die Partei verbietet. Im Gegenteil, man könnte die Kontrolle über sie verlieren, wenn man die Partei auflöst.

Was also tun?

Vidino sagte, das beste Mittel zur Bekämpfung extremistischer Parteien sei die Überwachung.

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Aber es gibt noch andere Möglichkeiten.

Laut Titz ist eine Lösung, die sich als wirksam erwiesen hat, um die Anziehungskraft rechtsextremer Parteien wie der AfD zu schwächen, die Stärkung der Medienkompetenz gegenüber der Demokratie, insbesondere in Gebieten der ehemaligen DDR in Ostdeutschland.

"Sie haben dort ein hohes Maß an Skepsis gegenüber der Demokratie als Ganzes, und was statistisch gesehen wirklich hilft, ist, genau dort in Programme zu investieren und sie [die AfD] auf Trab zu halten, was ihre Rhetorik angeht", sagt sie:

"Alles, was die AfD von sich gibt, muss dokumentiert, beobachtet und gekontert werden."

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