Kulturelles Unterwassererbe und Tourismus: Neue Technologien reißen die verborgenen Schätze aus der Versenkung.
Die Tremiti-Inseln (Isole Tremiti) in der italienischen Adria werden jedes Jahr von Tausenden Touristen besucht. Doch viele Besucher verpassen eine der schönsten Attraktionen der Inselgruppe: die archäologischen Stätten, die unter dem klaren Wasser um die Inseln herum liegen. Ein Forscherteam unter der Leitung von Fabio Bruno von der Universität Kalabrien macht diese verborgenen Schätze zugänglich.
"Nicht jeder hat Zugang zu diesem Unterwasserkulturerbe, da man tauchen muss, um es zu sehen", sagt Fabio Bruno, außerordentlicher Professor an der Universität von Kalabrien, Koordinator des CREAMARE-Projekts. "Um dieses immense Erbe der breiten Öffentlichkeit nahezubringen, ist es wichtig, Multimediatechnologien einzusetzen, so kann man diese Stätten erkunden und ihre Bedeutung verstehen."
Wir begleiten das Team des europäischen "CREAMARE"-Projekts bei seiner Arbeit an einem der bedeutendsten Schiffswracks Italiens. Archäologen, Historiker und Computerspezialisten erstellen ein detailliertes 3D-Modell der archäologischen Unterwasserstätte unter unserem Boot. Bei unserem Tauchgang erkunden wir die Überreste der "Lombardo", das Dampfschiff aus dem 19. Jahrhundert wurde vom italienischen Freiheitskämpfer Giuseppe Garibaldi benutzt.
Das Schiff spielte eine entscheidende Rolle in der Risorgimento-Bewegung (der italienischen Einigungsbewegung zwischen 1820 und 1870). Es sank vor über 160 Jahren und ging verloren. Erst in den frühen 2000er-Jahren stießen italienische Archäologen auf die historischen Überreste. Das Projektteam erstellt eine digitale Momentaufnahme der gesamten Stätte. Ihr Ziel ist es, dieses bemerkenswerte Erbe nicht nur wissenschaftlich zu untersuchen, sondern auch für jedermann zugänglich zu machen.
Die Forscher arbeiten mit Photogrammetrie (Bildmessung). Bei dieser Methode werden mit einer Kamera in einem Unterwassergehäuse Standbilder aufgenommen. Diese Fotos dienen als Material für die Erstellung eines digitalen 3D-Modells, das eine interaktive Erfahrung bietet.
Ziel ist es, einfach zugängliche Werkzeuge und Techniken zu finden, um Unterwasserarchäologen zu schulen: In Zukunft sollen sie solche Modelle selbst und ohne Hilfe von Computeringenieuren erstellen.
Vielfältiges Unterwasser-Kulturerbe
Europas Unterwassererbe ist reich und vielfältig - von antiken Wracks, die mit wertvoller Fracht beladen sind, bis hin zu versunkenen Städten. Aber das Kulturerbe bleibt weitgehend unentdeckt, weil es oft schwer zugänglich ist. Den Forschern zufolge sind Virtual-Reality-Geräte bald alltäglich. Diese Technologie wird dazu beitragen, das Unterwassererbe aus der Versenkung zu reißen und die Wichtigkeit zu unterstreichen, es für kommende Generationen zu erhalten, meint Fabio Bruno:
"Unser Ziel ist es, multimediale Anwendungen zu entwickeln, die es der breiten Öffentlichkeit erlauben, das kulturelle Erbe unter Wasser kennenzulernen und gleichzeitig die ökologischen Herausforderungen unserer Meere besser zu verstehen."
Museen setzen zunehmend neue Technologien ein, um ihre Ausstellungen aufzuwerten. In der italienischen Küstenstadt Tarent ist die nationale Aufsichtsbehörde für das Unterwasserkulturerbe beheimatet. Sie wird von der Archäologin Barbara Davidde geleitet. Ihre neue Sammlung korinthischer Keramik aus dem 7. Jahrhundert v. Chr. wurde 780 Meter tief in der Adria beim Bau einer Gaspipeline entdeckt. Diese unschätzbaren Artefakte werden in Vitrinen aufbewahrt, aber ein großer interaktiver Bildschirm ermöglicht es den Besuchern, detaillierte photogrammetrische Modelle aus jedem Blickwinkel zu betrachten.
"Der Besucher kann in die 3D-Form des Objekts hineinzoomen, um im Detail die Ausführungstechnik und die biologischen Organismen zu sehen, die die Artefakte während ihrer Zeit auf dem Meeresgrund besiedelt haben", erklärt Barbara Davidde, Leiterin der nationalen Aufsichtsbehörde für das Unterwasserkulturerbe.
Außerdem bietet die Ausstellung ein sogenanntes "Serious Game" - eine Simulation einer archäologischen Ausgrabung in der virtuellen Realität. Barbara Davidde führt es vor: "Ich erforsche den Meeresboden. Und hier habe ich eine Amphore gefunden, jetzt kann ich sie per Knopfdruck scannen."
Förderung des umweltfreundlichen Tourismus
Solche immersiven Erfahrungen können dazu beitragen, einen umweltfreundlichen Tourismus zu fördern. Wie in vielen anderen Küstenregionen strömen auch auf Malta Touristen in Scharen zu geschäftigen Hochhaushotels, Kreuzfahrtschiffen und dem pulsierenden städtischen Nachtleben - und verpassen dabei oft die Wunder der unberührten Naturschönheiten. Viele besuchen historische Denkmäler, wie den 5000 Jahre alten Ħaġar Qim-Tempelkomplex.
Dort hat Professor Alan Deidun, Projektkoordinator des EU-Projekts "Corallo" und maltesischer Meeresbotschafter, Android-Roboter, Virtual-Reality-Headsets und andere interaktive Hilfsmittel strategisch in den Besucherzentren platziert, um das Interesse der Touristen an der lokalen Meeresbiodiversität und am Ökotourismus zu wecken.
Alan Deidun meint: "Vielleicht hat man den Mittelmeerurlaub nur wegen der Geschichte und der Kultur gemacht. Aber dann schafft man es, einen Schnorchelausflug oder eine Kajaktour dazwischen zu quetschen."
Das Projekt arbeitet mit lokalen Gruppen zusammen, die umweltfreundliche Meeresaktivitäten an geschützten Naturstandorten organisieren:
"Sie sind heute hier, um Professor Alan Deidun bei seiner Meeres-Forschung zu unterstützen", so Arthur "Turu" Quintano, Mitbegründer, "Get Out and Kayak Malta". "Außerdem wollen wir einen weiteren Kajak-Parade-Sammelrekord brechen, und ich bin mir ziemlich sicher, dass wir es geschafft haben!"
"Get Out and Kayak" ist einer der Projektpartner. Arthur Quintano:
"Wir sind überzeugt von Ökotourismus und Ökosport. Wir wollen, dass so viele Menschen wie möglich auf dem Meer sind, und zwar mit einem möglichst geringen oder gar keinem ökologischen Fußabdruck. Die Leute sollen lernen, das Meer zu respektieren, sich darum zu kümmern."
Mit Ökotourismus werden Touristen Teil der Lösung und nicht des Problems
Ökotourismus eröffnet Erfahrungen, die für andere unzugänglich sind: _"_Touristen kommen nach Malta, weil wir eine wunderschöne Landschaft haben", findet Daniela "Lella" Bonavia, Mitbegründerin von "Get Out and Kayak Malta". "Es gibt viele Höhlen, die man erkunden kann."
So werden Touristen Teil der Lösung und nicht des Problems. Alan Deidun sagt:
"Diese Renaissance des Umweltbewusstseins kann nicht früh genug kommen. Mehr als die Hälfte der Mittelmeerküste ist bereits zubetoniert. Wir müssen den Kurs ändern und versuchen, so viel wie möglich von den verbleibenden unberührten Gebieten zu retten."