In dieser Folge begleitet Musica junge Talente auf ihrem Weg zu einer glanzvollen Gesangskarriere. Eine Brücke von der Theorie zur Praxis baut das Internationale Opernstudio in Zürich.
Sie sind junge Opernsängerinnen und -sänger, sie haben ihr Studium abgeschlossen und sind bereit, eine aufregende Gesangskarriere zu beginnen. Aber wo soll man anfangen? Musica begleitet zwei Mitglieder vom Internationalen Opernstudio IOS in Zürich.
Übergang von der Theorie zur Praxis eines Bühnenkünstlers
Das Internationale Opernstudio IOS wurde 1961 unter dem Patronat der Freunde der Oper Zürich gegründet und hat sich seither zu einer der wichtigsten Ausbildungsstätten für angehende Opernsängerinnen und -sänger entwickelt. Jedes Jahr bekommen junge Talente aus der ganzen Welt die Chance, unter kompetenter Anleitung ihre ersten professionellen künstlerischen Sporen zu verdienen: Das IOS stellt eine wichtige Übergangsphase zwischen abgeschlossener Gesangsausbildung und Einstieg in die Berufswelt dar. Neben Unterricht in Stimmbildung, szenischer Gestaltung und Meisterkursen mit Künstlerpersönlichkeiten aus den Bereichen Gesang, Regie und Dirigat haben die Studierenden die Gelegenheit, kleinere und grössere Partien auf der großen Bühne zu übernehmen.
Der Tenor Benjamin Bernheim hat den Weg vom Zürcher Opernstudio zum internationalen Spitzensänger geschafft. Das IOS war für ihn so eine Art "Antichambre» zur grossen Welt der Oper:
"Das Opernstudio in Zürich war eine tolle Schule für mich", erinnert er sich. "Sie legten die Messlatte sehr hoch. Ich habe mir gesagt, dass ist das Niveau, das ich erreichen will, also muss ich an mir arbeiten."
Er habe damals begriffen, "dass Singen seinen Preis hat und im wahrsten Sinne des Wortes Lehrgeld kostet", erzählt er im Interview zu "60 JAHRE FREUNDE DER OPER ZÜRICH, 60 JAHRE INTERNATIONALES OPERNSTUDIO". "Als Sänger aus dem IOS oder als junges Ensemblemitglied steht man unter einem enormen Druck. Ich musste lernen, immer wieder den Sprung ins kalte Wasser zu wagen und vor allem Kritik auszuhalten – vom Dirigenten, vom Regisseur, von erfahrenen Sängerkollegen. Nur wenn du das akzeptierst, kannst du diese "natural selection" überstehen und lebend aus diesem Dschungel herauskommen. Am Anfang einer Sängerlaufbahn macht man sich da vielleicht noch Illusionen, aber Singen spielt sich einfach nicht in der Komfortzone ab! Es ist immer ein Risiko, und im Grunde ist man nie hundertprozentig bereit, auf die Bühne zu gehen."
Harte Arbeit, aber viele der Absolventen sind inzwischen auf den größten Bühnen der Welt aufgetreten. "An einem Ort wie diesem zu sein, wo man Bühnenerfahrung sammelt, mit fantastischen Sängern arbeitet und sieht, wie sie arbeiten, ist perfekt", schwärmt Maximilian Lawrie.
Die nächste Generation aufstrebender Stars der Oper
Der britische Tenor Maximilian Lawrie und die Schweizer Sopranistin Chelsea Zurflüh sind Mitglieder der Spielzeit 2022/2023 am 1961 gegründeten Internationalen Opernstudios. Es ist das erste seiner Art, ein Vorreiter für viele Akademien heute.
"Hauptsächlich lernt man auch, was diesen Beruf alles ausmacht", sagt Chelsea Zurflüh. "Was alles dazu gehört. Es ist ja nicht nur Schauspiel und Singen. Es sind auch persönliche Sachen. Was sind meine Ziele? Was möchte ich alles erreichen? Wo möchte ich eigentlich hinkommen? Das muss man schon alles sehr gut timen und planen."
Das Opernstudio ist ein wichtiger Übergang zwischen Studium und Beruf. "Es ist wirklich eine Brücke", findet der stellvertretende Leiter des IOS Thomas Barthel. "Wir sind in einer Situation, wo sie täglich über ein oder zwei Jahre trainiert werden. Und sie bekommen ihre Erfahrungen bei uns und auf der Hauptbühne."
Mit viel Einfühlungsvermögen schaffen die Lehrer einen geschützten Arbeitsraum für die jungen Künstler. Gesangsunterricht, Meisterklassen und Unterricht in szenischer Gestaltung stehen im Mittelpunkt der Ausbildung.
Renata Blum, Assistentin der Leitung, gibt Beispiele: "Was kannst du mit deinen Augen? Was passiert da? Was kannst du mit deinem Rücken? Das ist auf der Bühne alles wichtig. Wie läufst du, wie schaust du? Wie machst du dich verständlich? Wie nimmst du eine andere Person wahr, ohne sie anzusehen?"
Maximilian hat in Oxford und London Gesang studiert. Er ist einer von 18 jungen Sängern aus der ganzen Welt, die jetzt die Chance haben, von den Besten zu lernen:
"Das Wichtigste ist, dass man Lehrer hat, die sich voll und ganz für einen einsetzen, dass man die Zeit hat, sich zu entwickeln, ohne den Druck, auf die Bühne gehen zu müssen und Hauptrollen zu singen und es muss perfekt sein", so der britische Tenor.
Wertvolle Ratschläge
Eine Gesangsstunde mit dem Leiter des Opernstudios: Die in Südafrika geborene Altistin Freya Apffelstaedt bekommt wertvolle Ratschläge:
"Also, die Sache ist die: Es kann sehr schön sein, diese Momente zu haben, in denen wir uns wirklich auf deine Stimme konzentrieren. Aber was helfen würde, ist die Spannung nicht zu vernachlässigen, auch bei langsamen Partien", sagt Adrian Kelly. Freya Apffelstaedt ist dankbar:
"Wenn ich mir überlege, wie ich überhaupt vor meinem Gesangsunterricht geklungen haben, wie ich jetzt klinge, ist es so ein Riesenunterschied. Und ich war auch damals viel schüchterner als jetzt. Also ich finde es viel leichter, aus mir heraus zu kommen und meine Persönlichkeit richtig einzusetzen auf der Bühne. Das kann man beides sehr, sehr gut trainieren."
Adrian Kelly weiß: "Sie müssen sehr stark sein. Sie müssen die Kraft haben, eine schwierige Karriere zu starten und durchzuhalten. Und dass sie sich wohlfühlen, ist mir wichtig, dass sie sich stimmlich weiter in eine gesunde Richtung entwickeln."
Der Sprung ins kalte Wasser: erste Praxis-Erfahrungen
Ein paar Wochen später sind Freya und Chelsea auf dem Weg nach Winterthur. Dort bereiten sie ihre eigene Produktion vor. Nur wenige Akademien bieten diese einzigartige Möglichkeit. Ein intensives Probenprogramm steht an, um Händels Meisterwerk "Xerxes" vorzubereiten. Die Oper erzählt von den Liebeswirren des Perserkönigs Xerxes und ist stimmlich anspruchsvoll.
Währenddessen bereitet sich Maximilian in Zürich auf die große Bühne vor, allerdings mit einem kleinen Opfer: "Ich musste meinen Bart für ‚Benvolio‘ in Romeo abnehmen. Ich hatte einen prächtigen Bart, aber die Figur sollte etwas jünger sein."
Für viele der jungen Sänger ist es die erste professionelle Erfahrung mit einigen der Besten auf der Bühne, eine einmalige Gelegenheit. Maximilian trifft den französischen Tenor Benjamin Bernheim, der seine Karriere ebenfalls am Internationalen Opernstudio begann. Er erinnert sich:
"Viele Dinge waren sehr hilfreich. Ich war ein junger Tenor. Ich kam hier an. Ich hatte das große Glück, dass ich schon sehr früh in Produktionen singen konnte. Ich stand neben den Großen des Fachs, lernte, indem ich meinen ganz kleinen Part gesungen habe. Man hat nur ein sehr kleines Fenster, um zu zeigen, was man kann. Und dann einfach zu beobachten und zu lernen. Das war sehr wichtig."
Die beiden treten gemeinsam auf in einer neuen Produktion von "Roméo et Juliette".
"Benjamin Bernheim bei der Arbeit zuzusehen, ist unglaublich", so Maximilian Lawrie. "Es geht nicht nur um die Aufführungen, sondern auch um die Proben und darum zu sehen, wie er die Dinge bei den Proben anders angeht als bei den Aufführungen und wie die Aufführungen den zusätzlichen Glanz und das Glitzern bringen. Das inspiriert mich und bringt mich dazu, immer härter an der Technik und all diesen Dingen zu arbeiten."
Die französische Star-Sopranistin Julie Fuchs singt die Rolle der Juliette. Sie liebt es, das Rampenlicht mit aufstrebenden Künstlern zu teilen:
"Es ist immer eine Bereicherung für eine Produktion, Mitglieder des Opernstudios dabei zu haben. Sie bringen so viel Energie, Enthusiasmus, Bescheidenheit, Jugend und Frische mit. Ich freue mich immer, wenn Mitglieder des Opernstudios bei einer Produktion dabei sind."
Zurück in Winterthur laufen die letzten Proben vor der großen Premiere. Die jungen Künstler sind bester Stimmung.
"Der Zusammenhalt ist sehr gut, finde ich", so Chelsea Zurflüh. "Wir sind eine gute Gruppe, eine coole Truppe. Wir haben einander gern, wir essen zusammen Mittag oder gehen Kaffee zusammen nehmen nach den Proben oder zwischen den Proben."
Ablenkung abseits der Bühne lenken mit einem Ausflug in eine Schokoladenfabrik. Dort bereiten sie eine kleine Überraschung vor. Freya Apffelstaedt erklärt:
"Es gibt ja die Tradition, dass man sich gegenseitig kleine Premierengeschenke mitbringt. Man beschenkt die Kollegen mit Schokolade, Plätzchen, kleinen handgebastelten Sachen ganz oft auch und ich denke, dass das auch ein schönes Premieren-Geschenk wird für die Kollegen."
Der Tag der Premiere: Maximilian ist nach Winterthur gekommen, um sich die Aufführung seiner Kolleginnen anzusehen: "Es wird schön sein, zu erleben, woran die beiden die ganze Zeit geprobt haben, und es ist natürlich toll zu sehen, was Freya und Chelsea erreicht haben."
Die jungen Künstlerinnen sind gerüstet für die Zukunft: "Meine Zukunft stelle ich mir sehr positiv vor, dass ich singen kann an Orten, die ich mir jetzt nur erträumen kann, und dass ich einfach an ganz vielen verschiedenen Orten richtig tolle Rollen singen darf, das ist schon mein Traum", verrät Chelsea Zurflüh.
Freya Apffelstaedt ist persönlich gewachsen: "Ich habe hier wirklich wahnsinnig viel lernen können. Ich dachte immer, ich muss eine bestimmte Rolle erfüllen auf der Bühne. Und ich habe mich dabei immer so ein bisschen komisch gefühlt, weil ich dachte, ich muss mich verstellen auf der Bühne. Aber an sich ist es komplett andersherum. Man muss seine Persönlichkeit mit auf die Bühne bringen und schauen, was man von sich selbst in einer Rolle dann wiederfinden kann."