Nicolas Schmit Spitzenkandidat der Sozialdemokraten (SPE) für Europawahl

Nicolas Schmit auf dem SPE-Kongress in Rom, 1. März 2024
Nicolas Schmit auf dem SPE-Kongress in Rom, 1. März 2024 Copyright AP Photo
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Von Christoph Debetseuronews
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Die Europäischen Sozialdemokraten (SPE) haben den Luxemburger EU-Kommissar Nicolas Schmit zu ihrem Spitzenkandidaten für die Europawahl bestimmt.

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Schmit, der derzeitige EU-Kommissar für Beschäftigung und soziale Rechte, wurde am Samstagnachmittag per Akklamation zum Abschluss des Parteitags in Rom bestimmt. Der 70-jährige Politiker aus Luxemburg war der einzige Kandidat.

"Wir werden nicht zulassen, dass Europa den Weg der Sparmaßnahmen und der sozialen Unterdrückung einschlägt, wie es das während der Finanzkrise getan hat. Das ist das Hauptargument und der Grund, warum wir diese Wahlen gemeinsam in allen 27 Mitgliedstaaten gewinnen wollen", sagte Schmit in La Nuvola am Stadtrand von Rom, als er umgeben von jungen Aktivisten die Bühne betrat.

"Ich möchte, dass die Wähler wissen, dass die Sozialdemokraten weiterhin für alle Bürger kämpfen und ihre Verpflichtungen und Versprechen einhalten werden."

Schmit tritt gegen seine Chefin Ursula von der Leyen an, die Spitzenkandidatin der Europäischen Volkspartei (EVP).

Beide sind Teil des sogenannten Spitzenkandidatensystems, nach dem die Parteien, die bei den Wahlen zum Europäischen Parlament teilnehmen, einen Spitzenkandidaten für den Vorsitz der Europäischen Kommission, der mächtigsten und einflussreichsten Institution des Blocks, auswählen sollen. Einige Gruppen folgen der Vorlage, während andere sie ignorieren.

Ungleiches Rennen: Kaum Chancen auf den Kommissionsvorsitz

Das bevorstehende Rennen wird jedoch sehr ungleich: Ursula von der Leyen ist die unbestrittene Spitzenreiterin, dank des guten Rufs, den sie sich während ihrer ersten Amtszeit bei der Kommission aufgebaut

Schmit seinerseits hielt sich seit seiner Ankunft in Brüssel im Jahr 2019 zurück. Damals übertrug ihm von der Leyen das Portfolio Beschäftigung und soziale Rechte. Zu seinen bemerkenswertesten Projekten gehörten ein 100-Milliarden-Euro-Programms für Kurzarbeitsregelungen während der Corona-Lockdowns und eine Richtlinie, die sicherstellen soll, dass Mindestlöhne auf „angemessenem Niveau“ festgesetzt werden. Sein Vorschlag, die Bedingungen für Plattformarbeiter zu verbessern, die Apps wie Uber, Deliveroo und Glovo bedienen, steckt derzeit in den Verhandlungen zwischen den Mitgliedsstaaten fest.

Schmits Kabinett ist eines der Teams, die das Einfrieren von EU-Geldern für Ungarn wegen anhaltender Rechtsstaatsmängel überwachen. Der Kommissar sah sich dem Zorn des Parlaments ausgesetzt, nachdem die Exekutive trotz der feindseligen Haltung von Viktor Orbán und den Bitten der Zivilgesellschaft 10,2 Milliarden Euro an Mittel aus dem Kohäsionsfonds für Budapest freigegeben hatte. Bis heute ist Ungarn immer noch der Zugang zu rund 21 Milliarden Euro an Kohäsions- und Wiederaufbaufondsmitteln verwehrt.

In seiner Rede vor Spitzenvertretern der SPE, darunter Olaf Scholz aus Deutschland, Pedro Sánchez aus Spanien, António Costa aus Portugal und Mette Frederiksen aus Dänemark, versuchte Schmit, seine Machtbasis auszubauen. Er versprach, die Kernwerte und Prioritäten der Partei zu verteidigen: Arbeitsrechte, Gleichstellung der Geschlechter, Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit.

Dennoch hat Schmit kaum eine Chance, die Kommission zu übernehmen. Die Sozialisten und Demokraten (S&D), die aus SPE-Mitgliedern bestehende Fraktion im Europäischen Parlament, wird bei den Wahlen im Juni voraussichtlich den zweiten Platz belegen. Die jüngste Schätzung von Europe Elects, einem Umfrageaggregator, zeigt einen erheblichen Abstand zwischen der S&D (von 154 Sitzen im Jahr 2019 auf 140 im Jahr 2024) und der EVP (von 182 auf 180).

Auf die Frage nach der Diskrepanz zwischen ihm und von der Leyen sagte Schmit, er habe "große Achtung" vor der Präsidentin, betonte aber, "wir sind beide Kandidaten".

"Wir werden sehen", sagte er. "Der Wahlkampf wird beginnen, und dann lade ich alle ein, zu urteilen."

"Die Seele Europas ist in Gefahr"

Noch besorgniserregender für die Sozialdemokraten ist, dass die Prognosen auch einen starken Anstieg der rechtsextremen und rechtsradikalen Parteien voraussagen, was das Parlament entscheidend in Richtung konservativer Ideen und weg von den progressiven Anliegen, die die Sozialdemokraten bevorzugen, rücken würde.

Während von der Leyens erster Amtszeit erwies sich die Große Koalition aus EVP, S&D und den Liberalen von Renew Europe als hilfreich, um weitreichende, ehrgeizige Vorschläge zur Beschleunigung des Übergangs zur Klimaneutralität, zur Zügelung der Exzesse in der digitalen Welt, zur Reform der Migrations- und Asylpolitik des Blocks, zur Sicherstellung der weiteren finanziellen Unterstützung für die Ukraine, zur Steigerung der heimischen Produktion von Spitzentechnologie und zur Verringerung der Abhängigkeiten von unzuverlässigen Lieferanten wie Russland und China voranzutreiben.

Nicholas Schmit, Marcel Ciolacu, Elly Schlein, Pedro Sanchez, Antonio Costa und Olaf Scholz auf dem ESP-Kongress in Rom. 2. März 2024
Nicholas Schmit, Marcel Ciolacu, Elly Schlein, Pedro Sanchez, Antonio Costa und Olaf Scholz auf dem ESP-Kongress in Rom. 2. März 2024Mauro Scrobogna/LaPresse

Doch im vergangenen Jahr geriet die Große Koalition ins Wanken, als die EVP eine konfrontativere Haltung gegenüber dem Green Deal, einer von von der Leyens Vorzeigeinitiativen, einnahm. Die EVP sah in den zahlreichen Rechtsvorschriften, die zur Senkung der Treibhausgasemissionen in der EU verabschiedet wurden, einen übermäßigen bürokratischen Aufwand für den privaten Sektor, der Investitionen erschwert und die internationale Wettbewerbsfähigkeit gefährdet.

Als Reaktion auf diesen ideologischen Wandel haben die Sozialdemokraten ihre Rhetorik verschärft und warnen, die EVP entferne sich von der etablierten Mitte und normalisiere Reden der extremen Rechten zu reinen Wahlzwecken. Die Bündnisse zwischen konservativen Mainstream-Parteien und rechtsextremen Gruppierungen in Ländern wie Italien, Schweden und Finnland seien ein Beweis für diese zunehmend verschwimmende Grenze, sagten führende Vertreted der SPE in Rom.

In seiner Rede machte Schmit deutlich, dass seine politische Familie nicht mit Identität und Demokratie (ID) oder den Europäischen Konservativen und Reformisten (ECR), den beiden europaskeptischsten Fraktionen im Europäischen Parlament, zusammenarbeiten wird. Der Kandidat forderte die EVP und die Liberalen auf, "mit sich selbst kohärent zu sein" und "ihrer eigenen Geschichte und ihrem europäischen Engagement treu zu bleiben", bevor sie neue Allianzen eingehen.

"Wir werden diejenigen bekämpfen, die Hass und Spaltung in unseren Gesellschaften verbreiten, die Ängste schüren und die Rückkehr des Nationalismus vorbereiten", sagte Schmit. "Die Normalisierung der extremen Rechten, wie wir sie in den Niederlanden erlebt haben, ist gefährlich und unverantwortlich".

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Ähnlich äußerte sich der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez, der von "Gespenstern der Vergangenheit" sprach, die über die europäischen Institutionen herfallen und sich nach einer Zeit sehnen, "die es nie gab".

"Die extreme Rechte wächst in ganz Europa, vielerorts unterstützt von den traditionelllen bürgerlichen Parteien, die ihre Argumente und populistischen Techniken imitieren", sagte Sánchez auf dem Kongress.

"Die Seele Europas ist in Gefahr. Und wieder einmal ist es an uns, den Sozialdemokraten, diese Bedrohung zu besiegen und dafür zu sorgen, dass die Geschichte in der richtigen Richtung weitergeht."

Trotz der schwierigen Aussichten, die vor ihnen liegen, haben sich die Sozialdemokraten zusammengeschlossen, um ihr Erbe zurückzufordern. Sie argumentierten, dass die wichtigsten politischen Antworten auf die jüngsten Krisen, einschließlich des 750-Milliarden-Euro-Rettungsfonds und der gemeinsamen Beschaffung von Impfstoffen gegen das Coronavirus, von der Sozialdemokratie inspiriert worden seien und daher die Gültigkeit ihrer Ideologie rechtfertigten.

"Diese Wahlen sind entscheidend für die Zukunft Europas. Es liegt an uns, fortschrittliche und faire Lösungen für die wichtigsten Herausforderungen zu finden, die unsere Gesellschaften und unsere Menschen bedrohen", sagte die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen und verwies dabei auf Schleuserkriminalität, Sozialdumping,  Steuerhinterziehung von Unternehmen und Kinderarmut.

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"Unser nächster Schritt ist es, zu zeigen, wie unsere sozialdemokratischen Ziele der sozialen Gerechtigkeit, der wirtschaftlichen (Gleichheit), grünen Ambitionen und der Sicherheit miteinander vereinbar sind."

Die Wahlen zum Europäischen Parlament finden zwischen dem 6. und 9. Juni statt. Etwa 350 Millionen Wahlberechtigte werden aufgerufen sein, ihre Stimme in den 27 Mitgliedstaaten abzugeben.

Dieser Artikel wurde am 2. März 2024 um 17 Uhr mit weiteren Informationen vom SPE-Kongress aktualisiert.

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