Brüssel bittet Big Tech, Bedrohungen für die Integrität der Europawahlen zu bekämpfen

Facebook wird eine der großen Plattformen sein, die von der Europäischen Kommission unter die Lupe genommen werden.
Facebook wird eine der großen Plattformen sein, die von der Europäischen Kommission unter die Lupe genommen werden. Copyright Xavier Lejeune/(c) Xavier Lejeune
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Von Mared Gwyn Jones
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Dieser Artikel wurde im Original veröffentlicht auf Englisch

Die Europäische Kommission hat X, TikTok, Facebook und andere Online-Plattformen im Rahmen neuer, am Dienstag verabschiedeter Leitlinien aufgefordert, die Risiken für Wahlen zu mindern und gegen Desinformation der Wähler vorzugehen.

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Die Leitlinien, die sich an Online-Plattformen mit mehr als 45 Millionen aktiven Nutzern in der EU richten und daher als "sehr große Online-Plattformen und Suchmaschinen" im Rahmen des bahnbrechenden Gesetzes zu digitalen Diensten, Digital Services Act (DSA), der EU bezeichnet werden, enthalten potenzielle Maßnahmen zur Bekämpfung von wahlbezogenen Risiken, schädlichen KI-Inhalten und irreführender politischer Werbung.

Sie enthalten auch spezifische Leitlinien für die entscheidenden Europawahlen im Juni, inmitten von Befürchtungen über eine zunehmende bösartige Einmischung und eine Flut von Fehlinformationen im Internet.

Obwohl die Leitlinien nicht rechtsverbindlich sind, könnte die Kommission gegen jede Plattform, die von den DSA-Bestimmungen zu Wahlen und demokratischen Prozessen abweicht, ein förmliches Verfahren einleiten. Dies könnte dazu führen, dass die Exekutive nicht konforme Plattformen und Suchmaschinen mit Geldstrafen in Höhe von bis zu 6 Prozent des weltweiten Umsatzes belegt.

Der Schritt ist Teil einer koordinierten Anstrengung Brüssels, gegen die Vorliebe der Industrie für Selbstregulierung vorzugehen, die oft als selbstgefällig und unzureichend kritisiert wurde, und Big Tech zu zwingen, mehr für die Wahrung demokratischer Werte zu tun.

Ein hochrangiger EU-Beamter erklärte, die Leitlinien seien eine Reaktion auf die "Bedrohung" der Integrität von Wahlen in der EU, insbesondere aufgrund des raschen Einsatzes von generativer KI und der Verbreitung irreführender gefälschter Inhalte, die in den europäischen Gesellschaften "Spaltung säen".

Im vergangenen Oktober ging eine gefälschte Aufnahme eines slowakischen Wahlkandidaten im Internet umher, in der er behauptete, er habe die Wahl manipuliert. Eine klare Bedrohung für die Integrität des demokratischen Prozesses.

Die neuen Regelungen verpflichtet die Plattformen, derartige Risikosituationen im Rahmen eines neuen Mechanismus für die Reaktion auf Vorfälle umgehend zu melden und mit europäischen und nationalen Behörden, unabhängigen Experten und Organisationen der Zivilgesellschaft zusammenzuarbeiten, um neue Bedrohungen zu bekämpfen.

Ein weiteres Anliegen der Kommission sind die so genannten Empfehlungssysteme: der Einsatz von maschinellem Lernen, um spalterischen, schädlichen oder irreführenden Inhalten mit viralem Potenzial Vorrang einzuräumen. Die Leitlinien verlangen von den Plattformen, solche Systeme so zu gestalten, dass die Nutzer "sinnvolle Auswahlmöglichkeiten und Kontrollen über ihre Feeds" haben.

Die Exekutive ist auch auf der Hut vor der möglichen Verbreitung falscher Wahlinformationen durch KI-gesteuerte Chatbots, auch bekannt als "Chatbot-Halluzinationen", so der Beamte.

Im Jahr 2023 ergab eine Studie der gemeinnützigen Gruppen AI Forensics und AlgorithmWatch, dass Microsofts Bing Chat - kürzlich in Microsoft Copilot umbenannt - auf ein Drittel der wahlbezogenen Fragen falsch antwortete. Zu den Fehlern gehörten falsche Informationen über Wahltermine und Kandidat:innen sowie erfundene Kontroversen über Kandidat:innen.

Sicherheitsvorkehrungen im Vorfeld der Wahlen im Juni

Die Verabschiedung der Leitlinien erfolgt taktisch rechtzeitig vor den Wahlen zum Europäischen Parlament und folgt auf eine Konsultationsphase mit den Plattformen, die aufgefordert wurden, Feedback zum Entwurf zu geben.

Mehrere Unternehmen haben sich nach eigenen Angaben bereits der Herausforderung gestellt, noch vor den Wahlen im Juni Wahlschutzmaßnahmen einzuführen. Google, Meta und TikTok haben sogenannte Wahlzentren eingerichtet, um Fehlinformationen im Zusammenhang mit der Wahl zu bekämpfen.

Ab nächsten Monat wird TikTok seinen Millionen europäischen Nutzern Push-Benachrichtigungen schicken, die sie zu einem In-App-Wahlzentrum leiten, wo sie laut der Plattform "vertrauenswürdige und maßgebliche Informationen" über die Wahl sowie "Tipps zur Medienkompetenz" finden.

Die Kommission sagt, dass sie die Regeln mit "relevanten Plattformen" Ende April einem Stresstest unterziehen wird, konnte aber nicht bestätigen, welche Plattformen zu den Tests verpflichtet werden könnten.

Angesichts von 370 Millionen Wahlberechtigten, die sich im Juni in 27 Mitgliedstaaten zur Wahl begeben, befürchtet Brüssel, dass die Ressourcen der Plattformen durch den Bedarf an Moderatoren, die die 24 Amtssprachen der EU fließend beherrschen, sehr knapp bemessen sein werden.

Aus den jüngsten Transparenzberichten von X geht beispielsweise hervor, dass das Unternehmen in seinem weltweiten Team von 2 294 Mitarbeitern nur einen Moderator beschäftigt, der Bulgarisch, Kroatisch, Niederländisch, Portugiesisch, Lettisch und Polnisch fließend beherrscht. Für 17 EU-Amtssprachen, darunter Griechisch, Ungarisch, Rumänisch und Schwedisch, hat das Unternehmen gar keine menschlichen Moderatoren.

Die sprachliche Komplexität bedeutet, dass die Europawahlen "besonders anfällig" sind, so der hohe Beamte.

Der Schritt fällt zudem in das größte Wahljahr der Weltgeschichte, in dem mehr als 2 Milliarden Wähler zu den Urnen gehen werden.

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Der Beamte räumte ein, dass die Einhaltung der DSA-Vorschriften zwar "kostspielig" sei, die Kosten für die Anwendung ähnlicher Vorschriften außerhalb der EU jedoch "marginal" seien, weshalb die Plattformen die Einführung ähnlicher Schutzmaßnahmen weltweit in Betracht ziehen sollten.

Dieser Artikel wurde mit weiteren Informationen aktualisiert.

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