Johannes Hahn: Gesamte EU muss Verantwortung für Flüchtlingskrise im Westbalkan tragen

Johannes Hahn: Gesamte EU muss Verantwortung für Flüchtlingskrise im Westbalkan tragen
Von Euronews
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Immer mehr Flüchtlinge gelangen über die Balkanroute nach Europa. Ein Problem, das von den Transitländern nicht allein gelöst werden kann. euronews

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Immer mehr Flüchtlinge gelangen über die Balkanroute nach Europa. Ein Problem, das von den Transitländern nicht allein gelöst werden kann. euronews hat sich mit Johannes Hahn, EU-Kommissar für Europäische Nachbarschaftspolitik und Erweiterungsverhandlungen, über das Thema unterhalten. Ende August nahm Hahn am West-Balkan in Wien teil.

Natalia Richardson-Vikulina, euronews:
Herr Hahn, wie wollen Sie Länder wie Dänemark, Ungarn oder Großbritannien davon überzeugen, sich stärker in der Krise zu engagieren, um eine gemeinsame europäische Lösung zu finden?

Johannes Hahn, EU-Kommissar für Europäische Nachbarschaftspolitik und Erweiterungsverhandlungen:
Ich denke, dass die jüngsten Ereignisse, wie der Leichenfund in einem Transporter in Österreich oder die vielen Toten im Mittelmeer, ein Verständnis und eine Haltung in der Öffentlichkeit geschaffen haben, die uns helfen, gemeinsam und koordiniert zu reagieren. Das hat auch, ob Sie es mögen oder nicht, nationale Politiker überzeugt. Alle Aussagen der Politiker vom Balkangipfel in Wien machen deutlich, dass es nur eine europäische Antwort geben kann.

euronews:
Die Teilnehmer des West-Balkan-Gipfels in Wien haben bemerkt, dass die EU der Westbalkanroute mehr Aufmerksamkeit schenken muss. Was bedeutet das konkret?

Johannes Hahn:
Zunächst einmal müssen wir anerkennen, dass die Zahl der Menschen, die über die Balkanroute nach Europa kommen, seit Juni stark gestiegen ist. Mittlerweile sind es sechs Mal mehr. Ich sage das, weil das kein Problem des West-Balkans ist, sondern die West-Balkanstaaten sind in dem Fall Transitländer. Deshalb geht das alle etwas an und es besteht ein gemeinsames Interesse, sich diesem Thema zu widmen. Aus diesem Grund hat die EU Geld zur Verfügung gestellt. Wir haben gerade erst bekannt gegeben, dass wir Serbien und der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien 1,5 Millionen Euro zahlen, damit sie das Problem bewältigen und den Flüchtlingen in einem ersten Schritt Schutz bieten können. Das heißt einerseits bieten wir Hilfe an, aber es ist auch wichtig, unsere Außengrenzen zu stabilisieren. Wenn Flüchtlinge Europa erreichen, soll mehr Klarheit darüber herrschen, ob sie die Möglichkeit haben, Asyl zu erhalten oder nicht.

euronews:
Staaten im West-Balkan hatten schon zuvor große Probleme im eigenen Land. Denken Sie, dass die Auswirkungen der Flüchtlingskrise deren europäische Integration zusätzlich hemmen?

Johannes Hahn:
Bislang glaube ich das nicht. Wenn Sie all die Debatten während des West-Balkan-Gipfels berücksichtigen, aber auch die Arbeit im Vorfeld dieses Treffens, werden Sie sehen, dass man eine eindeutig europäische Linie vertritt. Das wurde nicht nur während des Gipfels klar, sondern auch bei dessen Abschluss.
Bevor ein Staat der EU beitreten kann, müssen sich einige Dinge ändern. Die Bereiche Gesellschaft, Umwelt sowie Wirtschaft müssen weiterentwickelt werden. Das heißt, wir müssen verschiedene Gebiete in Angriff nehmen, um einen Staat auf den Beitritt vorzubereiten.
Der Gipfel hat eindeutig gezeigt, dass die Europäische Gemeinschaft diesen Teil Europas lieber früher als später als Mitglied haben will.

euronews:
In der Europäischen Union gibt es auch eine große Anzahl von Flüchtlingen aus dem West-Balkan. Glauben Sie, dass es eine gute Idee ist, ihnen Arbeitsvisa zu geben und sie in der EU arbeiten zu lassen?

Johannes Hahn:
Ich denke, das ist etwas, das wir mit allen Mitgliedsstaaten besprechen müssen. Auch in dieser Frage sind Lösungen im Alleingang, meiner Meinung nach, nicht das Beste. Denn das würde zu einer weiteren Abgrenzung führen, was nicht hilfreich wäre. Wir müssen dieses Thema angehen und darüber sprechen.
Grundsätzlich denke ich, dass die meisten Menschen, meiner Erfahrung nach sogar 80%, in dem Land, in dem sie geboren wurden, bleiben möchten. Woanders hinzugehen ist so gesehen nur die zweitbeste Lösung für diese Leute. Aus diesem Grund sollte man sich darauf konzentrieren, die Wirtschaft in diesen Regionen weiterzuentwickeln. Teilweise sind die Menschen dort bestens ausgebildet und besitzen sehr wertvolle Fähigkeiten. Sie sollten eine Chance erhalten, in ihrer eigenen Region zu arbeiten.

euronews:
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sagte vor etwa einem Jahr, dass er innerhalb der kommenden fünf Jahre keine weitere Erweiterung sehe. Meinen Sie, das war die richtige politische Botschaft an die West-Balkan-Staaten?

Johannes Hahn:
Tatsächlich hat diese Aussage für etwas Verwirrung gesorgt. Aber Verhandlungen über den gemeinschaftlichen Besitzstand, also alle EU-Rechtsakte, die von einem Beitrittsland angenommen werden müssen, sind etwas Anderes. Tragfähige Neuerungen, die auf Gesetzesänderungen basieren, sind ein Thema für sich und brauchen Zeit. Deshalb müssen wir klar, fair und transparent sein und sagen, dass wir während dieses Mandats keine neuen Beitritte haben können.
Aber, und das ist sehr wichtig, wir verlieren auch keine Zeit. Außerdem hängt es von den Beitrittskandidaten ab, wie schnell diese Prozedur, dieser Prozess vonstatten geht. Es liegt an ihnen. Ich sage immer: Von unsere Seite gibt es kein Tempolimit.

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