3 neue Mutmach-Geschichten aus dem Kriegsgebiet der Ukraine

3 neue Mutmach-Geschichten aus dem Kriegsgebiet der Ukraine
Copyright Nataliia Liubchenkova
Von Natalia Liubchenkova
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Sie leben in einem Kriegsgebiet, aber ihr Leben geht weiter: Natalia Liubchenkova erzählt die unglaublichen Initiativen von Ukrainern aus dem Donbass. Die Fotos sind bis Ende März in einer Ausstellung in der Akademie der Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin zu sehen.

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"Ich habe eine Überraschung für dich!", sagt Yana Synytsia, die ich von meinen vorherigen Reisen in den Osten der Ukraine kenne. Sie ist aus der besetzten Kriegsregion Donezk geflohen. Jetzt begleitet mich Yana, wir wollen die Geschichten der Menschen im Donbass erzählen, die seit dem Frühling 2014 keinen Frieden mehr kennen, aber mutig nicht nur weiter leben, sondern neue Projekte verwirklichen. Eines dieser erstaunlichen Projekte hat Yana entdeckt.

Wir sind in Slowjansk und treffen Rentnerinnen, die Tee trinken, Gedichte rezitieren und Facebook auf eine Wand projiziert haben. Die älteren Damen machen auch zusammen Ausflüge - in der Umgebung oder sogar in den Westen des Landes. Sie machen Nordic Walking oder bieten Kurse an: Yoga, Englisch, Computer, Literatur...

Natalia Liubchenkova

"Mein Selbstbewusstsein ist enorm gestiegen", erklärt uns Halyna, die eine sechsköpfige Familie hat. Die Kinder und Enkel sagen jetzt von ihr: "Am Samstag hat sie keine Zeit, da lernt die Oma Englisch." Das wertet Halyna auf: "Wenn sie das sagen, fühlt es sich an, als würden mir Flügel wachsen. Dann bin ich nicht mehr nur die Hausfrau hinter dem Herd, die die anderen bedient."

Hinter der Initiative für Rentnerinnen steht Natalia Bondarenko, sie hat das Projekt "Alter zum Glücklichsein" gegründet - für ältere Menschen vor Ort, von denen die meisten vom Krieg betroffen sind.

Natalia Remenyuk hat ihren Sohn verloren, er war ukainischer Soldat. Dass sie jetzt bei "Alter zum Glücklichsein" mitmacht, hilft ihr, ihre Depression zu überwinden, sagt sie.

“Ich war völlig verstört, als mein Kind getötet worden war. Aber Natalia und die andere Frauen haben mich Schritt für Schritt zurück ins Leben gebracht. Ich sehe mich selbst jetzt anders, manchmal lege ich ein bisschen Makeup auf. Ich mag es, wenn wir uns treffen, ich freue mich jedes Mal darauf, die anderen zu sehen."

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Eine andere Frau erzählt, dass sich ihr zuvor eintöniges Leben total verändert hat. Ihr ist nicht mehr langweilig, die älteren Damen erzählen sich, was sie auf den Ausflügen erlebt, welches Essen sie ausprobiert haben.

Oft sind ihre Familien zunächst misstrauisch gewesen, einige glaubten, die Frauen wären einer Art Sekte beigetreten. Rentnerinnen, die aus dem Haus gehen und aktiv werden, sind noch immer etwas Außergewöhnliches, das zunächst misstrauisch beäugt wird. Aber inzwischen haben die Familien gesehen, wie die Frauen dank "Alter zum Glücklichsein" aufgeblüht sind.

Die Situation im Osten der Ukraine ist je nach Entfernung der Orte von der Front unterschiedlich.

Das Rote Kreuz ist in den von pro-russischen Separatisten besetzten Gebieten im Einsatz. In den Gegenden, die die ukrainische Regierung zurückerobert hat, überleben die Bewohner oft dank internationaler NGOs oder kirchlicher und anderer Gruppen.

Die Orte, die näher an der Front oder der sogenannten "Kontaktlinie" liegen, werden weiterhin beschossen. Dorthin kommen Hilfsorganisationen, Gesundheitsversorgung und sogar die Feuerwehr nicht immer, wenn sie gebraucht werden. Auch Strom und Wasser sind oft abgeschaltet.

Helfer vor Ort meinen, dass der Wiederaufbau zur Friedensmission in der Region dazugehört. Doch oft dauert es - mit oder ohne internationale Kreditgeber - Jahre, bevor sich das Leben der Menschen halbwegs normalisiert.

Das Dorf Oleksandro-Kalynove liegt 40 Kilometer von der Front entfernt. Svitlana Sozanska stellt auf den Tisch, was sie für ihre Gäste gekocht hat.

Sie hat kein Bad, die Toilette ist in einem etwa 15 Meter vom Hauseingang entfernten Holzhäuschen. Aber es gibt eine Internetverbindung, und wir lassen Svitlana die Virtual-Reality-Brille ausprobieren, die wir mitgebracht haben. Sie schaut sich Aufnahmen der Region auf Panorama-Bildern an, an einigen Orte war sie noch nie. Aber sie ist begeistert.

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Vor dem Krieg gab es viele Ausflügler und Touristen in Oleksandro-Kalynove. Das Dorf war bekannt als Oase der Erholung für Bewohner der umliegenden Industriestädte, die hier das ruhige Landleben mit lokaler Küche in malerischer Umgebung genießen kamen.

"Unser Dorf ist gut gelegen", sagt Andrij Taraman vor dem Heimatmuseum von Oleksandro-Kalynove, das die Bewohner selbst aufgebaut haben. "Es gibt den Naturpark Kleban Byk gleich nebenan, für die nahegelegenen Industriegebiete ideal. Wir haben Festivals organisiert, es gibt Schafzucht, Touristen können beim Scheren der Schafe mitmachen. Wir haben Berge, wir haben sogar einen Skilift gebaut, Familien aus Donezk kamen zum Snowboarden."

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Yana Synytsia mit Andrij TaramanNatalia Liubchenkova

Doch seit dem Krieg kommen viel weniger Leute nach Oleksandro-Kalynove, die Straße von Donezk ist nahezu leer.

Dennoch sorgen die Bewohner dafür, dass das Museum offen bleibt. Es zeigt, wie die Menschen hier in verschiedenen Epochen gelebt haben.

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Ein typisches Haus aus dem 19. Jahrhundert wurde nachgebaut und wird liebevoll instand gehalten.

Vier Jahre Krieg haben die Region verändert, Andriy sieht müde aus. Er war zur Armee einberufen worden, einige seiner engsten Freunde sind gefallen. Aber entmutigen lässt sich Andriy nicht. Sobald wieder Frieden einkehrt, werden die Ideen, die die Bewohner haben, in die Tat umgesetzt.

Noch näher an der Front liegt das Dorf Hranitne. Viele Gebäude entlang der leeren Straßen sind bei den Kämpfen völlig zerstört worden.

Hier ist die sogenannte "rote Zone": das Gebiet zwischen den von Separatisten kontrollierten und von ukrainischen Regierungstruppen kontrollierten Regionen entlang des Flusses Kalmius.

Hranitne wurde im 18. Jahrhundert von den Urum gegründet - sie waren turksprachige Griechen von der Krim. Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen auch Krimtartaren. Es gibt eine Moschee und einen Friedhof für Muslime.

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Die Gegend gilt als relativ ruhig, doch wenige Wochen, bevor ich herkam, wurde Hranitne von einer Rakete getroffen.

Die schlimmsten Zerstörungen gab es 2014 und 2015, zum Wiederaufbau ist kein Geld da, Häuser ohne Dach verfallen immer weiter.

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Die Vorsitzende des Gemeinderates Vasylyna Nikolayeva sagt: "Ein ganzes Jahr lang zwischen 2014 und 2015 wurden wir ohne Unterlass beschossen. Das Dach des Gesundheitszentrums wurde zerstört. Dort waren auch die Bücherei und eine Kinder-Musikschule untergebracht. In der zweiten Jahreshälfte 2016 haben wir das Dach selbst repariert. Aber es gab keine Heizung in dem Gebäude. Heute hilft uns das Rote Kreuz, dank der Hilfsorganisationen haben wir auch wieder Fenster."

Einige Bewohner - darunter auch Kinder - wurden bei den Raketenangriffen getötet. Einer der Friedhöfe ist erst seit Kurzem wieder geöffnet, die vielbesuchten Gräber der Kriegsopfer waren ein beliebtes Angriffsziel.

Der Kontrast zwischen den traurigen Geschichten und dem starken Willen der Bewohner, ihr Leben neu aufzubauen, beeindruckt mich.

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Die Leute hier wollen ihr Leben wieder genießen. Eine Musikgruppe aus Hranitne spielt, die Bewohner tanzen und singen in drei Sprachen: Turkmenisch, Ukrainisch und Russisch.

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Nikolaeva erzählt uns von Freizeitprojekten der Gemeinde für Bedürftige. Auch ein Kinderchor und ein Club für Rentner sollen aufgebaut werden.

Ein Neuanfang für die Überlebenden des Krieges.

Ausstellung: Die Fotos von Natalia Liubchenkova sind bis Ende März in der Akademie der Konrad-Adenauer-Stiftung, Tiergartenstr. 35 in Berlin zu sehen.

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