In der gesamten EU herrscht Fachkräftemangel in verschiedenen Wirtschaftszweigen und auf unterschiedlichen Qualifikationsstufen. Die Europäische Kommission will heimische Arbeitskräfte zum Vorteil des Binnenmarkts weiterbilden und umschulen und ihr brachliegendes Potenzial nutzen.
Unternehmen in ganz Europa sehen sich mit einem Mangel an Arbeitskräften konfrontiert, und die Nachfrage nach Qualifikationen ist angesichts des digitalen und grünen Wandels größer als je zuvor. Wie kann dieser wachsende Bedarf gedeckt werden?
In dieser Real Economy-Folge erkunden wir quer durch Europa die Herausforderungen, denen sich Unternehmen gegenübersehen, und wir sehen, wie eine Kompetenzförderung dazu beitragen kann, den Arbeitskräftemangel zu meistern.
Slowenien kann nicht mit dem Gehaltsniveau auf internationaler Ebene konkurrieren
In der dynamischen und vernetzten Wirtschaft Sloweniens gehören IT-Jobs zu den gefragtesten. In Ljubljana hat Rok Zajc, der eine Agentur für digitales Marketing leitet, Schwierigkeiten, bestimmte, vor allem erfahrene Profile einzustellen:
"Wir suchen verschiedene Profile aus den Bereichen Design, Performance Marketing, Softwareentwickler und Senior Designer. Aber man muss sehr motiviert sein und verschiedene Kurse absolvieren, um für unsere Angebote auf Senior Level zu kommen", erklärt der Geschäftsführer der Bold Group. "Meiner Meinung nach gibt es nicht nur einen Wettbewerb innerhalb Sloweniens, sondern in Europa und weltweit. Unsere Gehälter können nicht mit denen im Ausland konkurrieren, das ist eines der Hauptprobleme."
Um das Ziel von 20 Millionen Fachkräften für Informations- und Kommunikationstechnologien bis 2030 zu erreichen, fehlen nach Schätzungen der Europäischen Union noch 11 Millionen Arbeitskräfte.
Eine echte Herausforderung für Slowenien. Dazu ein Interview mit der Ministerin für digitale Transformation, Emilija Stojmenova Duh, an der Fakultät für Ingenieurwissenschaften in Ljubljana.
Euronews: "Was gibt es an konkreten Maßnahmen, um digitale Arbeitskräfte in Slowenien zu fördern?"
Emilija Stojmenova Duh, slowenische Ministerin für digitale Transformation: "Auf jeden Fall eine Anpassung des Bildungssystems. Das gilt nicht nur für Slowenien, nicht nur für Europa, sondern für die ganze Welt, weil sich die Technologie völlig verändert hat. Aber das ist etwas Langfristiges.
Regierungen können und müssen die bestehenden Arbeitskräfte umschulen, damit sie die erforderlichen Qualifikationen erhalten. Im vergangenen Jahr haben rund 30.000 Bürger an diesen kostenlosen Kursen teilgenommen, was für Slowenien mit seinen 2 Millionen Einwohnern wirklich viel ist.
Neue Technologien wie künstliche Intelligenz verändern unser Leben von Grund auf. Wie wir arbeiten, wie wir uns weiterbilden. Das wird so bleiben. Und wir müssen uns anpassen. Und je früher wir uns anpassen, desto besser."
Euronews: "Können Sie einige gute Beispiele nennen?"
Emilija Stojmenova Duh:"Nur 17 Prozent der Fachkräfte im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien sind Frauen. Mein Lieblingsprojekt ist daher vielleicht das Projekt "Digital", bei dem es um die Qualifizierung und Weiterbildung junger Frauen ging. Wir haben mit der Industrie zusammengearbeitet, damit die Industrie die richtigen Arbeitskräfte bekommt."
EU-Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel
Die Anpassung der Arbeitnehmerqualifikationen an die Marktnachfrage gehört zu den Zielen der Europäischen Kommission. Welche Vorschläge gibt es, um den Arbeitsmarkt wieder ins Gleichgewicht zu bringen? Dazu ein Schnellkurs:
Arbeitskräftemangel ist in vielen EU-Branchen ein Problem.
In der Industrie geben 22 Prozent der Arbeitgeber an, dass sie die benötigten Arbeitskräfte nicht finden.
Dasselbe gilt für 28 Prozent der Arbeitgeber im Baugewerbe und 30 Prozent im Dienstleistungssektor.
Die EU-Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter wird bis 2030 auf 258 Millionen zurückgehen. Wenn die Europäer älter werden und die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter schrumpft, wird sich das Problem noch verschärfen.
Gleichzeitig entstehen aber auch neue Arbeitsplätze.
Der Gesundheitssektor, IKT-Unternehmen und Unternehmen der grünen Technologie werden voraussichtlich Tausende neuer Arbeitskräfte benötigen.
Ein Mangel an Arbeitskräften schadet der Wirtschaft, weshalb die EU Maßnahmen ergreift:
- Umschulung und Höherqualifizierung von Arbeitnehmern,
- Erleichterung der Freizügigkeit innerhalb der EU, um Arbeitsplätze zu besetzen,
- Förderung der Anerkennung von Qualifikationen aus Ländern außerhalb der EU, um Arbeitskräfte aus anderen Ländern anzuziehen.
Portugal setzt auf Weiterbildung
Auf der anderen Seite Europas in Portugal Besuch bei einem Unternehmen, das sich auf Metallurgie spezialisiert hat - eine Branche, in der technische Fähigkeiten sehr gefragt sind.
Maschinenbediener in der Metallverarbeitung gehören neben Bauarbeitern, Fachkräften im Gesundheitswesen, LKW-Fahrern, Köchen und Softwareentwicklern zu den am meisten gesuchten Berufen in der Union.
Nuno Teixeira ist der Geschäftsführer des Metallurgiekonzerns Alsil in Lissabon. Er sucht ständig Ingenieure und Bediener für seine manuell und computergesteuerten Maschinen:
"Eine der größten Herausforderungen in unserem Sektor ist es, Menschen zu finden, die für diesen Bereich qualifiziert sind; immer mehr Menschen entscheiden sich für eine andere Art von Arbeit", erzählt Nuno Teixeira. "Die Vorstellung, dass es sich um einen sehr anspruchsvollen und arbeitsintensiven Sektor handelt, ist überholt."
Mit der Digitalisierung und der Robotik hat sich der Sektor stark verändert. Der Firmenchef versucht, Talente aus Portugal und den portugiesischsprachigen Ländern anzuziehen und zu halten: "Es werden immer mehr technische Kenntnisse in verschiedenen Bereichen benötigt, wie in der Informationstechnologie, die wir dann mit der eigentlichen Bearbeitung kombinieren, wo die Teile immer komplizierter werden."
Eduardo Santos und Rui Miguel Pinheiro Leal sind Maschinenführer. Für sie ist es eine völlig neue Karriere, die mit einer eineinhalbjährigen Berufsausbildung begann.
"Ich komme aus einem ganz anderen Branche", erzählt Eduardo Santos. "Als ich meine Ausbildung beendet hatte, kannte ich mich in diesem Bereich nicht so gut aus. Mir gefällt es hier. Ich will weitermachen. Das ist mein Beruf."
Sein Kollege Rui Miguel Pinheiro Leal meint: "Es ist ein sehr anspruchsvoller Bereich, in dem jeden Tag neue und herausfordernde Dinge auftauchen, das interessiert mich sehr und ich sehe eine vielversprechende Zukunft darin."
Die Beiden wurden im CENFIM ausgebildet, einem öffentlichen-privaten Ausbildungszentrum, das vom Europäischen Sozialfonds+ unterstützt wird.
Die portugiesischen Exporte in diesem Sektor belaufen sich auf etwa 23 Milliarden Euro pro Jahr, es steht also viel auf dem Spiel. CENFIM-Direktor Manuel Pinheiro Grilo erklärt: "W_as die Beschäftigung betrifft, so handelt es sich um etwa 230.000 Arbeitsplätze, die sich nicht nur entwickelt haben, um sich an die neuen Technologien anzupassen, sondern vor allem, um der geforderten Arbeit gerecht zu werden."_
Gesucht werden digitale Kompetenzen
In ganz Europa wird immer wieder auf den Bedarf an digitalen Kompetenzen hingewiesen. In Ljubljana wird dieser Punkt von der slowenischen Ministerin für digitale Transformation besonders betont:
"Wir sind uns alle bewusst, dass digitale Kompetenzen nicht nur im IKT-Sektor benötigt werden, sondern in allen Branchen", sagt Emilija Stojmenova Duh. "Es ist sehr wichtig, dass wir mit öffentlichen und privaten Organisationen zusammenarbeiten. Wir brauchen die Beteiligung der Unternehmen, sie müssen auch in ihre Mitarbeiter investieren. Und nicht zuletzt liegt es an uns, an jedem Einzelnen, dass wir uns bewusst sind, dass ein Schulabschluss nicht ausreicht. Die Welt verändert sich. Wir müssen uns neue Kompetenzen aneignen. Lebenslanges Lernen ist also angesagt."
Die Europäische Kommission schätzt, dass dank ihres "Pakts für Kompetenzen" bisher fast 2 Millionen Arbeitnehmer ihre Fähigkeiten verbessern oder sich neu qualifizieren konnten.
Auf dem Gipfel mit Sozialpartnern in Val Duchesse Ende Januar unterzeichneten die Europäische Kommission, der belgische EU-Ratsvorsitz und die europäischen Sozialpartner eine "Dreigliedrige Erklärung für einen dynamischen europäischen sozialen Dialog", deren Kernaussagen sind:
Bekämpfung des Arbeitskräfte- und Qualifikationsmangels: Qualitativ hochwertige Arbeitsplätze und Arbeitskräfte mit den richtigen Qualifikationen sind für die Wettbewerbsfähigkeit der EU von entscheidender Bedeutung. In einer kürzlich durchgeführten Eurobarometer-Umfrage gaben jedoch fast zwei Drittel (63 %) der kleinen und mittleren Unternehmen an, dass der Mangel an Arbeitskräften und Qualifikationen sie in ihrer allgemeinen Geschäftstätigkeit behindert. Die Kommission wird in Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern im Frühjahr 2024 einen Aktionsplan zur Bekämpfung des Arbeitskräfte- und Qualifikationsmangels vorlegen. Darüber hinaus haben sich die Unterzeichner verpflichtet, jeweils ihren Teil dazu beizutragen, mehr Menschen auf den Arbeitsmarkt zu bringen, die Arbeitsbedingungen zu verbessern, die Anerkennung von Qualifikationen zu erleichtern und Arbeitnehmer aus dem Ausland zu integrieren.