Ungarn - von Feinden umzingelt

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Abschottung, EU-Skepsis, Suche nach Feindbildern: Ungarn rechtsaußen

Flüchtlinge werden mit Stacheldraht abgehalten, George Soros ist der “Feind” seiner alten Heimat, die nationalkonservative Regierung legt sich gern mit Brüssel an, und rechtsradikale Bewegungen erstarken: Ungarn rückt nach Rechtsaußen.

23. Oktober, Nationalfeiertag: Ungarn gedenkt des Aufstands gegen das kommunistische Regime und die sowjetische Besatzungsmacht von 1956. Für Ministerpräsident Victor Orbán eine Gelegenheit, wieder einmal gegen diejenigen zu wettern, die seiner Ansicht nach die europäische Zivilisation zerstören wollen:
“Die Kräfte der Globalisierung versuchen uns zu zwingen, unsere Pforten zu öffnen, und arbeiten daran, aus uns Ungarn den Homo Brusselicus zu machen”, wettert er auf dem Podium. “Im Windschatten der Globalisierung sind heute die Finanzimperien an die Macht gekommen. Es ist das Imperium der Finanzspekulation, das Brüssel und etliche Mitgliedsstaaten gekapert hat. Es ist dieses Imperium, das uns die moderne Massenvölkerwanderung aufhalste, mit Millionen Migranten und einer neuen Invasion von Migranten. Sie haben den Plan ausgeheckt, Europa in einen Kontinent mit einer gemischten Bevölkerung umzuwandeln. Wir allein leisten ihnen heute Widerstand!”

(Mehr zu Orbán hier)

In der Menge werden einige kritische Rufe gegen die Regierung Orbán laut. Eine kleine Oppositionsbewegung ruft nach mehr Demokratie und Redefreiheit. Sie werden von Sicherheitskräften weggedrängt und abgeführt. Es kommt zu Handgemengen. Einer der Demonstranten, ein weißhaariger Mann, sicher über sechzig, ruft, während er abgeführt wird: “Diese korrupte Regierung muss weg! Ihr seid eine Schande für das Gedenken an 1956! Ihr seid eine Bande dreckiger Diebe!”

Rékasi Zsigmond Károly, ein junger Aktivist erklärt uns: “Wir protestieren gegen die Korruption in unserem Land, gegen die Entwicklung zum Polizeistaat, gegen die Einschränkung unserer Bürgerrechte. Wir verlieren Schritt für Schritt unsere Freiheiten! Viele junge Leute verlassen unserer Land, um im Ausland frei leben zu können. Aber ich finde, wir müssen in der Heimat kämpfen!”

Die Weißen werden aussterben!

Balázs László hat ganz andere Anliegen. Er ist 22 Jahre alt und Mitbegründer der neuen identitären Partei Kraft und Entschlossenheit, die bei den Parlamentswahlen im kommenden Frühjahr antreten will. Gern gibt er uns ein Interview: “Den Statistiken zufolge könnte die Bevölkerung unseres Kontinents in fünfzig oder sechzig Jahren ethnisch ersetzt worden sein. Laut Schätzungen leben heute schon rund dreißig oder sogar bis zu siebzig Millionen Muslime aus dem Nahen Osten in Europa. Die Zahl der osteuropäischen Zigeuner liegt bei zehn bis zwölf Millionen, ganz zu schweigen von der Zahl der afrikanischen Immigranten. Wir können erwarten, dass in etwa zehn Jahren eine Milliarde Menschen aus Afrika wegziehen könnten. Unsere Bevölkerung sinkt kontinuierlich, während diejenigen, die hierherkommen oder schon hier mit uns leben, sich ständig vermehren. Und wenn wir das nicht voraussehen, dann werden die Weißen aussterben.”

Bei einer Kundgebung seiner Partei dröhnt er auf dem Podium: “Ich sage ganz frech, dass sich hier und jetzt die radikale Rechte zurückmeldet!”

Am Rande der Veranstaltung wollen wir die Anhänger der Bewegung nach ihren Motiven fragen. Ein stämmiger junger Mann mit “Metallica”-Mütze auf dem Kopf erklärt uns: “Wir müssen zum Beispiel den Neoliberalismus verhindern und die muslimische Zuwanderung in unser Land. Wir müssen verhindern, dass dies in den westlichen Ländern stattfindet, diese Dingen ruinieren den Westen!”

Wie er reagiert, wenn die Leute diese Bewegung, diese Partei als Neonazis bezeichnen, wollen wir wissen. Zu einer Antwort kommt der junge Mann nicht mehr, weil Balázs László sich dazwischenschiebt und ihn wegdrängt. Nur die Parteiführung könne uns ein Inteview geben, erklären uns seine Sicherheitskräfte.

George Soros, der Feind Ungarns – NGOs im Visier

Auch die Regierung hat sich auf die Fahnen geschrieben, die ungarische Identität gegen eine Invasion aus dem Ausland zu verteidigen. Die jüngste Kampagne richtet sich gegen George Soros, den jüdisch-amerikanischen Milliardär, Spekulanten und Philanthropen, der aus Ungarn stammt. In seiner einstigen Heimat wirft man ihm vor, eine Migranten-Invasion in Europa geplant zu haben. Überall im Land prangen Plakate mit seinem Foto und Hetzparolen.

Als Geldgeber vieler NGOS ist Soros letztlich indirekt auch Zielscheibe des neuen Gesetzes, das Ungarns Nichtregierungsorganisationen verpflichtet, sich als vom “Ausland unterstützte Organisation” auszuweisen, wenn sie über etwa 24.000 Euro pro Jahr aus dem Ausland erhalten. Die EU hat ein Vertragsverletzungsverfahren wegen des Gesetzes eingeleitet.

Das Gesetz schade vielen karitativen Organisationen, klagt ein Sprecher der von Soros gegründeten Open Society -Stiftung: “Diese Stigmatisierung dient doch nur dazu, dass NGOs als ausländische Agenten angesehen werden, und es erschwert ihnen, Finanzierung zu bekommen. Denn es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass die Leute Agenten aus dem Ausland unterstützen wollen. Es gibt da aber auch noch eine ernstere Konsequenz dieser Kampagne. Solche Kampagnen schaffen Feindbilder. Erst sind es die NGOs, dann Brüssel, dann ist George Soros der Feind. Wer ist der nächste? Und Feindschaft endet im allgemeinen in Gewalt. Wir hoffen sehr, dass diese Hasskampagne am Ende nicht in Gewalt ausartet.”

(Mehr zur “Open Society”-Stiftung in Ungarn hier)

Wir haben einen Termin bei der Menschenrechtsorganisation Aurora. Vor der Tür wurden Anti-Soros-Graffiti von Rechtsextremen auf den Bürgersteig gesprüht. Aurora beherbergt mehrere kleine Vereine, die sich für Menschenrechte und Minderheiten einsetzen. Sprecher Àron Lukács resümiert bitter, aber gelassen: “Hier haben wir die Juden, die Zigeuner, die Homosexuellen, die Drogenabhängigen. Die meisten dieser NGOs sind Zielscheibe der Propagandamaschine und der Regierung. Der Staat hat viele Teileder ungarischen Bevölkerung allein gelassen, hauptsächlich diejenigen, die Hilfe brauchen. Und die NGOs hier helfen diesen Menschen. Und manchmal ist es sehr schwierig, in solch einer Situation seine Arbeit zu machen. Denn man fühlt den Hass, die Wut, die von der Propaganda geschürt werden.”

Assothalom: Bürgerwehr gegen Flüchtlinge

Wir fahren Richtung Süden, an die Grenze zu Serbien. Hier wurde über 175 Kilometer ein Metallzaun mit Stacheldraht errichtet, nachdem Flüchtlinge im Jahr 2015 zu Tausenden illegal über die damals schlecht bewachte Grenze kamen. Auch der Stacheldraht, der zunächst ausgerollt wurde, schreckte nicht gleich jeden ab

Die Bewohner der 4.000-Seelen-Gemeinde Assothalom direkt an der Grenze sind beim Thema George Soros und Flüchtlinge nicht zimperlich:

“Zuerst sollte man den Alten erschießen. Es ist schwierig, jemanden, der so denkt, zu besiegen. Solche Leute kann man nur erschlagen und dann im Boden verscharren”, erkärt ein alter Mann völlig ernsthaft. Eine andere ältere Dorfbewohnerin bekräftigt zum Thema Flüchtlinge: “Wir wollen hier nicht überlaufen werden. Oder unser Christentum von anderen Nationen beeinträchtigen lassen…. Wir wollen keine Flüchtlinge und keine andere Religion hier.” Die drastische Ansicht eines ihrer Nachbarn: “Eins steht fest: Sie sollten an den Grenzzaun gebunden und erschossen werden – dann werden die anderen es nicht mehr wagen, auch noch herzukommen.”

Das Video des Bürgermeisters von Assothalom machte 2015 international die Runde: Mit einem Action-Film, der an einen Polizeikrimi erinnert, inszeniert er die Jagd auf Flüchtlinge an der Grenze und gibt den potenziellen Eindringlingen ganz offen den Rat: Außerhalb der offiziellen Grenzposten kommt man nicht legal ins Land – sie sollten es doch lieber über Kroatien oder Slowenien versuchen. Und dann warnt László Toroczkai: “Ungarn ist eine schlechte Wahl, und Asotthalom die schlechteste.”

(Mehr zum Video und den Folgen hier)

Bürgermeister László Toroczkai ist Vizepräsident der rechtextremem Partei Jobbik, der wichtigsten Konkurrentin der nationalkonservativen Regierungspartei Fidesz. Seine Vergangenheit als Neonazi ist öffentlich bekannt. Für den Grenzschutz hat er sich inzwischen eine eigene Bürgerwehr zugelegt. Eine Handvoll Männer, die, wie er uns erzählt, mehr illegale Migranten geschnappt hätten als die Grenzpolizei des Staates.

(Mehr zu den Praktiken der Grenzschützer hier)

Und dann argumentiert Toroczkai weiter: “Viele kommen aus Pakistan, aus Bangladesch, oder zum Beispiel auch aus Marokko und dem Kosovo. Dort gibt es keine Kriege, das sind keine Flüchtlinge. Aber sie versuchen jede Woche, diesen Grenzzaun zu überwinden.”

Wer ist willkommen in seinem Ort?

“Wir wollen unsere Traditionen bewahren. Ich respektiere den Islam, aber in meinem Land ist er nicht möglich, denn der Islam ist nicht mit den ungarischen Traditionen kompatibel. Dies ist eine ungarische Stadt, sie ist katholisch, römisch-katholisch. Wir können die Menschen aufnehmen, die diesen Fakt respektieren. Es ist eine ungarische, katholische, europäische Stadt.”

Toroczkai ist auch für das Burkaverbot bekannt geworden, das er in seinem Ort verhängte. Der Bau von Minaretten und Moscheen sowie der Gebetsruf sind in Assothalom ebenfalls verboten. Der Ort gilt identitären Bewegungen und Verfechtern der Idee weißer Vorherrschaft als Vorzeigebeispiel. Er hat einige Zuwanderer angelockt, die den Idealen des Bürgermeisters entsprechen.

Man weist uns den Weg zum Haus einer deutschen Einwanderin. Hundegebell empfängt uns vor dem Tor, Regina Riederer kommt durch den Garten heran und redet bereitwillig mit uns. Warum sie nach Assothalom kam? “Na – wegen Merkel! Merkel – Satan! Merkel und Soros! Ein trojanisches Pferd! Kommen Sie rein!”

Riederer ließ sich im Mai hier nieder. Wenige hundert Meter hinter dem Grenzzaun fühlt sie sich sicher: “Die Grenzen in Deutschland sind offen, das ist ein Skandal! Und da dachte ich, ich muss da raus. Und dieser Ort hier schien mir okay. Hier ist eine Grenze, sie schützen die Grenze. Und ich wusste, falls Migranten hier herüberkommen, dann werden sie mich nicht umbringen – sie werden weiter nach Deutschland ziehen… Money, Money, money! Aber eines Tages ist auch in Deutschland das Geld alle! Und was dann? Keine Unterkunft, kein Essen, keine Heizung – und Millionen junge, hungrige Männer? Nein. Nein!”

Flüchtlinge warten in Containern auf Asyl

Wer illegal die ungarische Grenze übertritt, dem drohen drei Jahre Gefängnis. In diesem Frühjahr hat das Parlament ein neues Asylgesetz gebilligt. Demnach werden alle Asylsuchenden in zwei Container-Lagern in “Transitzonen” nahe der serbischen Grenze festgesetzt, bis ihr Verfahren endgültig entschieden ist. Der Europäische Gerichtshof reagierte mit einer einstweiligen Verfügung. Die EU-Kommission hat ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet.

Der Zugang zu den Lagern ist Medienvertretern verboten. Auch unser Bemühen, am Eingang eingelassen zu werden, bleibt erfolglos. Deshalb fahren wir weiter Richtung Serbien. Um die 6.000 Menschen sind dort als Asylbewerber für Ungarn registriert. Das Migrantenzentrum von Subotica liegt am nächsten an der ungarischen Grenze. Es beherbergt vor allem Familien, die im Schnitt ein Jahr oder länger darauf warten, auf die Liste der einzulassenden Personen gesetzt zu werden. Safet Resulbegovic vom serbischen Flüchtlingskommissariat klagt: “Serbien wird zu einem großen Flüchtlingslager für diejenigen, die Asyl in der EU beantragen wollen. All diese Regelungen, dieses Erschweren des Asylantrags, dieses lange Warten für die Menschen, bis eine Entscheidung über sie gefällt wird, öffnet Tür und Tor für Schmuggel und Schmuggler.”

Am Ende des Grenzzauns: Kübeckhausen ist offen

Wir fahren wieder zurück nach Ungarn. Zum Dreiländereck Ungarn, Serbien, Rumänien. Hier endet der Grenzzaun abrupt, man muss nur ein paar Schritte machen, und kommt dahinter ganz einfach über die Grenze…

Am Kreisverkehr am Eingang des Dorfes empfängt ein blumenumkränztes Schild in mehreren Sprachen, auch auf Deutsch, mit den Worten “unser kleines Dorf – Kübeckhausen” seine Besucher. Das beschauliche Kübekháza erinnert an die Donau-Schwaben, die einst im Dorf lebten.

(Mehr zum Dorf hier)

Die Europa-Flagge prangt hier auf der Straße, doch man sieht kaum ein Plakat der Anti-Soros-Kampagne. Die zwei, die wir finden, seien in der Nacht von Unbekannten aufgehängt worden, erzählt man uns. Das Dorf lebt in Harmonie mit den serbischen und rumänischen Nachbarn.

Der Bürgermeister empfängt uns im Gemeindecafé, das gemeinnützigen Vereinen Raum bietet, und in dem er selbst regelmäßig mithilft. Nicht nur vor der Kamera kellnert er hier eigenhändig. Über die Abschottungspolitik von Victor Orbán ist Róbert Mölnar entrüstet. Und dessen Standpunkte würden das Land nur isolieren und spalten, klagt er – die wahren Prioritäten würden darüber vergessen: “Autoritäre, autokratische Regime brauchen immer ein großes Feindbild, gegen das sie kämpfen können, gegen das sie die Nation zum Krieg aufrufen können, aber nur mit dem einzigen Ziel, die Aufmerksamkeit von den wahren Problemen des Landes abzulenken. Das Problem in unserem Gesundheitswesen ist immer noch nicht gelöst. Die Problem im Bildungssystem ebenfalls nicht. 700.000 Menschen sind aus diesem Land ausgewandert, von hier geflohen, weil sie keine Zukunft mehr sehen und keine Hoffnung. Und heute ist alles Thema in Ungarn, nur nicht das Volk.”

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