Wissenschaftler: Schadstoffbelastung hat für die Menschheit unbedenkliche Grenze überschritten

Schaum aus einer Fabrikanlage auf dem Yamuna-Fluss in Neu-Delhi
Schaum aus einer Fabrikanlage auf dem Yamuna-Fluss in Neu-Delhi Copyright Manish Swarup/AP
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Von Rosie Frost
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Die Geschwindigkeit, mit der wir Chemikalien produzieren und freisetzen, übersteigt inzwischen unsere Fähigkeit, ihre Risiken für die Umwelt und uns selber abzuschätzen.

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Der zunehmende Anzahl synthetischer Chemikalien, die die Umwelt überfluten, hat nach neuen Forschungsergebnissen die für die Menschheit unbedenkliche Grenze überschritten.

Ein internationales Team von Wissenschaftler:innen hat untersucht, wie sich Hunderttausende von Chemikalien, die durch menschliche Aktivitäten erzeugt werden, auf die Stabilität der globalen Ökosysteme auswirken. Sie sagen, dass wir die "planetarische Grenze" für Umweltschadstoffe überschritten haben.

Das Tempo, in dem die Gesellschaft neue Chemikalien und andere neuartige Stoffe produziert und in die Umwelt freisetzt, ist nicht mit der Einhaltung der für die Menschheit unbedenklichen Grenzen vereinbar.
Linn Persson
Wissenschaftlerin Stockholm, Ko-Autorin der Studie

"Das Tempo, in dem die Gesellschaft neue Chemikalien und andere neuartige Stoffe produziert und in die Umwelt freisetzt, ist nicht mit der Einhaltung der für die Menschheit unbedenklichen Grenzen vereinbar", sagt Ko-Autorin Linn Persson vom Stockholmer Umweltinstitut.

Was bedeutet "planetarische Grenzen"?

Die Erde ist seit dem Entstehen der Zivilisation vor rund 10.000 Jahren bemerkenswert stabil geblieben. Im Jahr 2009 legten Experten neun Grenzen fest, die uns innerhalb dieses stabilen Zustands halten. Dazu gehören unter anderem die Treibhausgasemissionen, Wälder, biologische Vielfalt, Süßwasser und die Ozonschicht.

Während die Grenzen für globale Erwärmung oder den CO2-Gehalt bereits bestimmt wurde, haben sich die Wissenschaftler:innen noch nicht mit der chemischen Schadstoffbelastung befasst. Aufgrund der Vielzahl unterschiedlicher Schadstoffquellen waren die Expert:innen bisher nicht in der Lage, eine Aussage über diese besondere Grenze zu treffen.

Berichten zufolge gibt es auf dem internationalen Markt etwa 350.000 verschiedene Arten von chemischen Stoffen - oder so genannte "neuartige Substanzen ". Dazu gehören:

  • Pestizide
  • Industriechemikalien
  • Antibiotika
  • Kunststoffe

Diese Stoffe werden durch menschliche Aktivitäten erzeugt und haben meist unbekannte Auswirkungen auf die Ökosysteme der Erde.

"Die Geschwindigkeit, mit der diese Schadstoffe in der Umwelt auftauchen, übersteigt bei weitem die Fähigkeit der Regierungen, globale und regionale Risiken abzuschätzen, geschweige denn potenzielle Probleme zu kontrollieren", sagt Bethanie Carney Almroth, eine Ko-Autorin der Studie von der Universität Göteborg.

Nach Ansicht der Wissenschaftler:innen haben wir bereits vier andere planetarische Grenzen überschritten - die globale Erwärmung, die Zerstörung natürlicher Lebensräume, den Verlust der biologischen Vielfalt und die Stickstoff- und Phosphorverschmutzung.

Diese Studie fügt nun die chemische Kontaminierung zu dieser Liste hinzu.

Kunststoffe haben eine "verheerende" Wirkung auf den Planeten

Die Gesamtmasse der Kunststoffe auf unserem Planeten ist inzwischen doppelt so groß wie die Masse aller Lebewesen, und diese Art der Verschmutzung ist besonders besorgniserregend. Die Produktion dieser omnipräsenten Form des Abfalls wird trotz der Bemühungen vieler Länder um eine Verringerung des Plastikverbrauchs voraussichtlich weiter zunehmen.

Darko Vojinovic/Copyright 2021 The Associated Press. All rights reserved.
Verschmutzter See in Priboj, im Südwesten von Serbien, 22.01.2021Darko Vojinovic/Copyright 2021 The Associated Press. All rights reserved.

Almroth fügt hinzu, dass sich die Kunststoffverschmutzung auch auf andere lebenswichtige Bereiche des Planeten auswirken kann, wie den Klimawandel durch die Nutzung fossiler Brennstoffe, die Verfügbarkeit von sauberem Wasser und sogar Antibiotikaresistenzen.

"Kunststoffe haben dank ihres geringen Gewichts und ihrer Langlebigkeit zur Lösung einiger Umweltprobleme beigetragen, aber ihre übermäßige Verwendung hat verheerende Auswirkungen auf die Gesundheit unseres Planeten."

Jüngste Forschungen haben gezeigt, dass diese starke Verschmutzung bereits eine Bedrohung für unsere Gesundheit und für das empfindliche Gleichgewicht, das unsere Ökosysteme stabil hält, darstellen könnte.

Trotz vieler sich überschneidender Themen haben Expert:innen darauf hingewiesen, dass Plastik in der Erklärung von Glasgow auf der Klimakonferenz COP26 nicht erwähnt wurde.

Was kann getan werden, damit wir die Grenzwerte wieder einhalten können?

Es ist möglich, die chemische Belastung innerhalb der planetarischen Grenzen zu halten, erklärte Linn Persson gegenüber Euronews Green, aber aus zwei Gründen ist das schwierig.

Viele der Stoffe, die wir freigesetzt haben und weiterhin verwenden und freisetzen, sehr langlebig und werden noch viele Jahre lang in der Umwelt bleiben
Linn Persson
Wissenschaftlerin Stockholm, Ko-Autorin der Studie

"Erstens sind viele der Stoffe, die wir freigesetzt haben und weiterhin verwenden und freisetzen, sehr langlebig und werden noch viele Jahre lang in der Umwelt bleiben", erklärt sie.

"Und zweitens sind die Geschwindigkeit, mit der wir derzeit neue Stoffe erfinden, und die ständige Zunahme der produzierten und verwendeten Mengen sind mit den allgemeinen Trends in der weltweiten Produktion und im Verbrauch verknüpft und können daher nicht durch ein paar einzelne Maßnahmen eingedämmt werden."

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Die Autor:innen des Berichts schlagen eine Reihe von Maßnahmen zur Verringerung der Produktion und der Freisetzung dieser Schadstoffe vor, um die Menschheit wieder in "sichere Grenzen" zu bringen. Dazu gehören eine stärkere Kreislaufwirtschaft in den Produktlieferketten sowie ein präventiver und vorsorgender "risikobasierter" Ansatz zur Bewältigung des Problems.

Persson weist auch darauf hin, dass in der Vergangenheit Obergrenzen für die Kunststoffproduktion vorgeschlagen wurden - "wir schlagen vor, dass etwas Ähnliches für alle neuartigen Stoffe benötigt werden könnte".

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