Lärm beeinflusst Meereslebewesen: Wie kann man die Ökosysteme schützen?

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Lärm beeinflusst Meereslebewesen: Wie kann man die Ökosysteme schützen?
Copyright Image courtesy of the Laboratory of Applied Bio-Acoustics (LAB), Universitat Politècnica de Catalunya — BarcelonaTech
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Von Denis LoctierSabine Sans
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Lärmbelästigung stellt eine zusätzliche Störung für die Meereswelt dar, die bereits von zahlreichen menschenverursachten Einflüssen bedroht ist. Es gibt immer mehr Beweise dafür, dass die Lärmbelastung ein breites Spektrum von Meerestieren und sogar Pflanzen beeinträchtigen kann.

Im Ozean verschwinden visuelle Signale nach ein paar Dutzend Metern, chemische Signale nach ein paar hundert Metern. Schall kann jedoch Tausende Kilometer zurücklegen. Meerestiere kommunizieren damit über weite Distanzen miteinander und können Geräusche unterscheiden und erkennen. Delfine klackern sich gegenseitig Nahmen, Bartrobben kommunizieren mit einem vibrierendem Trillern, Wale singen.

"Das Meer hat uns viel zu erzählen. Es ist nicht still. Es ist sogar sehr laut. Es gibt viele Geräusche von Tieren, aber auch von Menschen."
Lucia Di Iorio
Forscherin für Bioakustik an der Universität Perpignan

Dem Meer lauschen

Es ist ein kalter und windiger Tag vor der bretonischen Küste in Frankreich, der wissenschaftliche Taucher Yann Fontana macht sich bereit, ins kalte Wasser zu springen. Seine Aufgabe: ein Tonaufnahmegerät auf dem Meeresboden zu platzieren. 

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Ein Tonaufnahmegerät auf dem Meeresbodeneuronews

Das ist Teil der Studie, die die Bioakustikerin Lucia Di Iorio leitet: Im Rahmen der internationalen Forschungsprojekte "TREC" und "BIOcean5D" erfasst sie sogenannte Unterwasser-Soundlandschaften entlang europäischer Küsten. 

"Hier lauschen wir vor allem den Seegräsern und dem Seetang", erklärt Bioakustikerin Lucia Di Iorio. "Sie sind Kinderstuben - kleine Fische und Larven wachsen dort auf. Sie schützen vor Erosion, sie produzieren Sauerstoff, sie speichern Kohlenstoff und sie haben viele wichtige Funktionen in den Ökosystemen." 

Die Tonaufnahmen zusammen mit genetischen Proben helfen den Wissenschaftlern solche "Hotspots" der marinen Artenvielfalt besser zu verstehen. Ein wichtiger Punkt dabei sind die Geräusche von Schiffen: Wie wirkt sich dieser künstliche Lärm auf das Ökosystem aus? Der Taucher hat ein weiteres Hydrofon geborgen, das seit einiger Zeit die Geräuschkulisse eines Kelpwaldes aufnimmt. Die Aufnahmen werden im Labor des Meeresforschungszentrums "Station Biologique de Roscoff" ausgewertet.

Die Forscherin lauscht seit über 15 Jahren dem Meer, in der Hoffnung, dass dieses Wissen zum Erhalt der empfindlichen Ökosysteme beiträgt. In den Aufnahmen findet sie vertraute Geräusche - sowohl natürlichen als auch menschlichen Ursprungs:

"Seetangwäldern sind eine felsige Umgebung, da gibt es viele schnappende Garnelen und diese "krhhhhh"-Laute. Und dann hörten wir "boo, boo" - sehr niederfrequente Geräusche, das sind Fischgeräusche. Geräusche von Fischen, die der Kommunikation dienen. Der Schiffsverkehr beeinträchtigt die Kommunikation der Tiere. Das ist so, als würden Sie neben einer Autobahn oder einer viel befahrenen Straße wohnen und es fahren ständig Autos vorbei - das ist lästig! Es ist ärgerlich für uns, aber auch für die Tiere, die in einer solchen Umgebung leben."

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Bioakustikerin Lucia Di Iorioeuronews

Lärm ist eine zusätzliche Störung in der Meereswelt

Die Lärmbelästigung stellt eine zusätzliche Störung für die Meereswelt dar, die bereits von zahlreichen menschenverursachten Einflüssen bedroht ist. Es gibt immer mehr Beweise dafür, dass die Lärmbelastung ein breites Spektrum von Meerestieren und sogar Pflanzen beeinträchtigen kann. Die Wissenschaftlerin untersucht im Laborexperiment, ob Unterwasserlärm sogar Phytoplankton beeinträchtigen kann. Wenn diese mikroskopisch kleinen Organismen ebenfalls durch Lärm geschädigt werden, würde das bedeuten, dass die Folgen der Lärmbelastung im gesamten Nahrungsnetz nachhallen und sich auf die kleinsten bis hin zu den größten Meeresbewohnern auswirken können. 

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Welche Folgen hat die Lärmbelästigung für die Meereswelt?euronews

Überwachung des Unterwasserlärms

Es ist seit langem bekannt, dass Unterwassergeräusche für Wale und Delfine wichtig sind, um sich zu orientieren, Nahrung zu finden und zu kommunizieren. Deshalb haben sich Forscher wie Michel André, der das Labor für angewandte Bioakustik an der "Universitat Politècnica de Catalunya" leitet, bis vor kurzem hauptsächlich auf Meeressäuger konzentriert.

Professor André erklärt, dass die Forschungen seiner Kollegen in den vergangenen 10 Jahren unser Verständnis des Themas erheblich erweitert haben. Es ist jetzt klar, dass die schädlichen Auswirkungen der Lärmbelästigung im Meer weit über Delfine und Wale hinausgehen - und um dieses Problem wirksam anzugehen, brauchen wir möglicherweise eine kontinuierliche globale Überwachung des Unterwasserlärms. 

"Wir entdeckten, dass wirbellose Tiere, d. h. Kopffüßer, Krebstiere, Quallen, Korallenriffe - Tausende und Abertausende von Arten - wahrscheinlich mehr darunter leiden als Wale und Delfine", sagt Michel André, Direktor des Labors für angewandte Bioakustik. "Das hat die Art und Weise, wie wir mit den Auswirkungen von Lärm in der Meeresumwelt umgegangen sind, völlig verändert."

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Michel André leitet das Labor für angewandte Bioakustik an der "Universitat Politècnica de Catalunya"euronews

Akustischer Nebel

Auf der Grundlage der Ergebnisse des europäischen Forschungsprojekts "LIDO" ("Listening to the Deep-Ocean Environment") hat das Labor von Michel André ein großes Netz von akustischen Meeresstationen eingerichtet. Der vom Menschen verursachte Lärm durch den Seeverkehr, den Bau von Windparks, industrielle oder militärische Operationen erzeugt einen "akustischen Nebel" unter Wasser, der Meerestiere desorientieren kann. Nach Michel Andrés Konzept könnten autonome akustische Observatorien die Lärmquellen identifizieren, sie warnen und zur Ruhe mahnen, sagt er: 

"Die Lärmbelastung bedroht das Gleichgewicht des Ozeans, wir müssen Maßnahmen ergreifen, um diese negativen Auswirkungen rückgängig zu machen, die wir verursacht haben, ohne zu wissen, dass wir den Ozean durch Geräusche verschmutzen."

Aber wie kann man den Lärm reduzieren, wenn der weltweite Schiffsverkehr zunimmt? Die Elbe in der Nähe des Hamburger Hafens ist eine viel befahrene Schifffahrtsstraße, die nahe an Sandbänken mit einer großen Robbenpopulation vorbeiführt. Diese Nähe ermöglicht es Wissenschaftlern zu beobachten, wie diese Tiere auf Lärm reagieren, und Vorschläge zu machen, wie Schiffe leiser werden können. Mit einer Funkantenne ortet Joseph Schnitzler vom Institut für Terrestrische und Aquatische Wildtierforschung eine elektronische Markierung im Fluss. Dieses Gerät war früher an einem der Seehunde befestigt und löste sich nach einiger Zeit von selbst.

"Solche großen Containerschiffe wie dieses kommen jeden Tag in diesem Hafen an und machen eine Menge Lärm", erklärt Postdoktorand Joseph Schnitzler. "Und das ist es, was wir mit diesem Gerät aufzeichnen - einem Sender, der vor einer Woche noch an einer Robbe befestigt war."

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Joseph Schnitzler vom Institut für Terrestrische und Aquatische Wildtierforschungeuronews

Der Sender auf dem Rücken der Robbe zeichnete sowohl die Bewegungen der Robbe als auch den Geräuschpegel um sie herum auf. Robben in diesem Gebiet sind auf Geräusche angewiesen, um Beute zu fangen, da die Sicht im Flusswasser schlecht ist. Die Daten zeigen, dass die Robben offenbar durch große Schiffe gestört werden. Der Lärm der Schiffsschrauben und Motoren scheint sie bei der Jagd zu stören und lässt sie unruhig hin und her tauchen. 

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Robben reagieren empfindlich auf Schiffslärmeuronews

Aber wie kann man diese Informationen nutzen, um die Schiffe leiser zu machen? 

Joseph Schnitzler meint: "Es könnte eine Mischung aus technischen Lösungen sein, wie z. B. eine Änderung der Propellerkonstruktion, aber auch um funktionelle Änderungen, wie z. B. die Verringerung der Schiffsgeschwindigkeit oder die Verlegung der Fahrrinne."

Wissenschaftler des europäischen Projekts SATURN erforschen sowohl biologische als auch technische Aspekte, um den Lärm zu reduzieren - und damit zumindest eine der vielen schädlichen Auswirkungen des Menschen auf den Ozean zu verringern. Joseph Schnitzler:

"Hier haben wir die Chance, schnell etwas zu ändern, was bei chemischer Verschmutzung oder bei Plastikmüll, Mikroplastik in den Meeren eigentlich nicht möglich ist. Die Lösungen sind ganz nah, man kann sie fast greifen."

Cutter • Jean-Christophe Marcaud

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