Thomas de Maizière fordert EU-Auffanglager für Flüchtlinge in der Türkei

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Von Kirsten Ripper
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Der deutsche Innenminister Thomas de Maizière nennt die Flüchtlingskrise eine “große Herausforderung” für Deutschland. Er fordert Flüchtlingslager in

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Der deutsche Innenminister Thomas de Maizière nennt die Flüchtlingskrise eine “große Herausforderung” für Deutschland. Er fordert Flüchtlingslager in Italien, Griechenland und in der Türkei, damit schon dort entschieden wird, wer in die EU kommen darf.

Kirsten Ripper, euronews:
Guten Tag, Herr Minister. Noch nie in den vergangenen Jahren wollten so viele Asylbewerber nach Deutschland. Sie rechnen mit 800.000 allein für 2015. Mit welchen Maßnahmen wollen Sie diese vielen Flüchtlinge willkommen heißen, begleiten?

Thomas de Maizière, Deutschlands Innenminister:
Zunächst ist das wirklich eine beachtliche Zahl. Es ist eine Vervierfachung gegenüber dem letzten Jahr, es sind dann rund 43 Prozent der in Europa gestellten Asylanträge. Das ist eine große Herausforderung – auch für ein gut organisiertes und reiches Land wie Deutschland. Wir brauchen dazu nationale Maßnahmen, aber auch Maßnahmen in Europa. Was die nationalen Maßnahmen angeht: Wir haben eine große Herausforderung darin, alle anständig unterzubringen. Das heisst: Raus aus den Zelten in feste Quartiere auch über den Winter. WIr werden die Verfahren beschleunigen
Im Juli allein waren es rund 83.000, die nach Deutschland gekommen sind, Und im August, der noch nicht ganz vorbei ist, rechnen wir mit irgendwas zwischen 90. und 100.000. In der letzten Woche hatten wir über 25.000 in einer Woche.
Und das ist schon wirklich viel.

euronews:
Wie erklären Sie sich diesen plötzlichen Anstieg?

Thomas de Maizière:
Wir haben einen Anstieg über die Südroute – also Libyen-Mittelmeer-Italien gegenüber dem Vorjahr von nur 5 bis 10 Prozent. Wir haben einen Anstieg über die sogenannte Balkan-Route von über 600 Prozent.

euronews:
Aber sehen Sie in Deutschland auch die Bereitschaft, diese Menschen aufzunehmen?

Thomas de Maizière:
Im Moment ist die Bereitschaft zur Aufnahme NOCH sehr groß. Ich glaube, die Zustimmung der Bevölkerung kann dann erhalten werden, wenn zwei Sachen klar sind. Erstens: Wir müssen unterscheiden zwischen denen, die wirklich schutzbedürftig sind, und denen, die keinen Schutz brauchen, die müssen ein faires Verfahren bekommen, aber dann unser Land verlassen. Und zweitens: Es muss zu einer gerechten Verteilung innerhalb Europas kommen. Und ich füge noch hinzu: Auf Dauer kann auch ein so reiches Land wie Deutschland eine solche große Zahl alleine schwer verkraften.

euronews:
Was wollen Sie da anders machen? Wie kann das in der EU organisiert werden?

Thomas de Maizière:
Was jetzt Europa selbst angeht, so hat der Rat meiner Kollegen, aber auch der Gipfel beschlossen, dass in Griechenland und in Italien sogenannte HOTSPOTS eingerichtet werden, also große Aufnahmebereiche, wo die erste Prüfung darüber stattfindet, ob es einen Schutzbedarf gibt oder nicht.
Wir brauchen darüber hinaus viel intensivere Gespräche mit der Türkei. Die Türkei leistet Grossartiges an der Grenze zu Syrien im Blick auf die Aufnahme von Flüchtlingen. Allerdings in der Gegend von Izmir ist es so, dass dort viele, viele tausend Menschen, vielleicht Hunderttausende auf ihre Ausreise nach Europa warten. Auch dort – glaube ich – muss gegebenenfalls mit europäischen Mitteln ein großes Flüchtlingslager gebaut werden, um von dort dann zu entscheiden, wer nach Europa kommen kann.

euronews:
Ihr Ministerium hat ein Video gedreht, das Asylbewerber aus den Balkanstaaten davon abhalten soll, herzukommen. Haben Sie da schon erste Erfolge? Wie stellen Sie sich vor, dass das funktioniert?

Thomas de Maizière:
Wenn ein Land Kandidat für den Beitritt in der Europäischen Union ist oder ein NATO-Partner, demokratische Verhältnisse herrschen, dann gibt es keinen Grund in Europa Asyl zu beantragen. Das ist inakzeptabel und für Europa blamable.

euronews:
Da zählen Sie auch den Kosovo dazu?

Thomas de Maizière:
Ich zähle den Kosovo, ich zähle Albanien auch dazu. Auch die Regierungen selbst bitten darum, dass wir alles tun, damit gerade die jungen Menschen ihr Land nicht auf diese Weise verlassen. Und ich kann mir auch vorstellen, dass wir sagen: Ihr müsst nicht kommen wegen eines Asylgrundes, der doch nicht vorliegt, sondern Ihr könnt kommen, um hier zu arbeiten. Ihr könnt als Migranten kommen.

euronews:
Sie wollen konkrete Angebote schaffen – aber für Leute egal woher oder aus bestimmten Staaten?

Thomas de Maizière:
Ich rede jetzt gerade von den West-Balkan-Staaten. Es können junge Menschen sein, die eine Ausbildung machen, die brauchen einen Arbeitsvertrag mit einem deutschen Unternehmen. Und dann können Sie in aller Regel als Arbeitsmigranten einreisen.

euronews:
Und für diese legale Immigration plädieren Sie auch für mehr Toleranz in Deutschland, für mehr Toleranz gegenüber Ausländern?

Thomas de Maizière:
Wir haben einen hohen Ausländeranteil – unterschiedlich ausgeprägt in Deutschland – ich sehe nicht ein grosses Problem in der Akzeptanz gegenüber Ausländern, die hier arbeiten, die Steuern zahlen, die sich legal verhalten, die deutsche Gesetze einhalten. Wir sind ein Einwanderungsland, wir sind auf Fachkräfte angewiesen.

euronews:
Also, Sie meinen, da muss nichts getan werden gegen die Leute, die protestieren, die Wohnheime anzünden. Die Fremdenfeindlichkeit, das Bild von Deutschland, das jetzt in die Welt geht, ist ja schon dramatisch.

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Thomas de Maizière:
Oh doch, da ist sehr viel zu tun. Wir haben einen erheblichen Anstieg von Straftaten, politisch motivierter Kriminalität RECHTS: Beleidigungen, Hass, Gewalt gegen Asylbewerber, gegen Asylbewerbereinrichtungen. In den ersten sechs Monaten hatten wir mehr als im ganzen letzten Jahr. In den letzten Tagen hat es noch einmal zugenommen. Dem treten wir entschieden entgegen: politisch, aber auch mit der Härte des Rechtsstaates. Man kann über die Asylpolitik streitig diskutieren in einem freien Land, aber es gibt überhaupt keinen Grund, Menschen, die hier sind,anzugreifen, amzupöbeln oder sie in irgendeiner Weise zu beleidigen.

euronews:
Mit welchen Massnahmen wollen Sie die bekämpfen, die sich denen anschliessen, vor denen die Menschen zum Teil aus Syrien fliehen, nämlich der IS-Miliz?

Thomas de Maizière:
Es ist ein neues Phänomen, seit 1-2 Jahren, das uns sehr beschäftigt. Mehr als 700 Deutsche oder Menschen, die in Deutschland sozialisiert oder aufgewachsen sind, haben sich radikalisieren lassen, gehen in diese Gegenden und töten und hassen oder tragen dazu bei, dass andere das tun. Hundert sind etwa davon sind ums Leben gekommen. Ein Dritel ist zurückgekehrt.
Die Gesellschaft ist oft unachtsam im Blick auf einen wichtigen Teil von jungen Menschen, die uns zu entgleiten drohen, und daran müssen wir auch genauso intensiv arbeiten, wie an den harten Maßnahmen von Polizei und Justiz.

euronews:
Eine persönliche Frage: Welches ist Ihr ideales Ministerium? Sie waren zuvor Verteidigungsminister, jetzt sind Sie Innenminister, wollen Sie vielleicht Bundeskanzler werden?

Thomas de Maizière:
Es gibt kein ideales Ministerium. Jedes Ministerium hat seine schönen und seine harten Seiten. Die Sicherheisressorts sind eher auf der harten Seite der Politik. Das mach ich aber gerne.

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euronews:
Die harte Seite liegt Ihnen?

Thomas de Maizière:
Na ja, irgendwie hat die Trainerin mich immer dahin gestellt, wo die schwierigen Themen sind. Sie wird sich was dabei gedacht haben.

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