Wie Covid-19 meine Familie traf - und meinen behinderten Sohn Eli (20)

Eli bei einem Spaziergang
Eli bei einem Spaziergang Copyright Isabelle Kumar
Von Isabelle Kumar
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Euronews-Moderatorin Isabelle Kumar erzählt, wie sie versucht hat, zusammen mit ihrem geistig behinderten Sohn Eli die Covid19-Erkrankung zu bewältigen.

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Ich lebe in zwei Welten. Wie viele von Ihnen stolpern wir durch eine Welt, so gut wir können, und in der anderen balancieren wir auf einem unsichtbaren Drahtseil. Manchmal fühlt es sich fest und stark an unter den Füßen, manchmal instabil und schwach. Ich bin schon zu oft abgerutscht, um es aufzuzählen. Covid-19 hat unsere Familie vor ein paar Wochen erschüttert und verbannt an diesen seltsamen, beunruhigenden "anderen" Ort. Seitdem kämpfen wir uns zurück in Ihre Welt.

Ich bin die Mutter von Eli, er ist 20 und leidet an schwerer Epilepsie, Autismus und einer geistigen Behinderung. Die vielen Herausforderungen, denen wir uns stellen mussten, haben mich in allem, was ich tue, stärker und entschlossener gemacht. Wir sind 2003 nach Frankreich gezogen, um eine bessere medizinische Versorgung für Eli zu bekommen. Er ist in vielem auf uns angewiesen. Wie immer, wenn eine Katastrophe eintritt, sind wir allein. Die Ansteckung hüllte uns in eine neue Leere, die wir zuvor so nicht erlebt hatten. Rückblickend war es eigentlich gar nicht so schlimm. Ich bin erschöpft, meinen jüngeren Kindern scheint es gut zu gehen, mein Mann steht unter Schock, aber wir haben Glück gehabt und sind vom Schlimmsten verschont geblieben. Aber war all das für Eli?

Als wir Anfang März festgestellt haben dass sich zwei Familienmitglieder mit der englischen Variante des Coronavirus angesteckt hatten, kamen die Erinnerungen an den ersten Lockdown hoch. Die Kommunikation mit Eli ist wirklich schwierig. Er spricht nicht und zu verstehen, was er erlebt, ist ein Ratespiel. Im Laufe der Wochen des Lockdown 2020 waren wir mit immer akuteren Verhaltensweisen konfrontiert - wie Beißen und Schreien. Aber dass Eli eine schwere Verstopfung bekam, hat uns geholfen zu erkennen, dass das abrupte Ende seiner Aktivitäten sehr belastend für ihn war.

Im Gegensatz zu uns konnte Eli den Kontext, in dem wir lebten, nicht verstehen. Dachte er, dies sei sein neues Leben - für immer?  Und wenn ja, wie konnten wir ihm erklären, dass dies nicht der Fall war? Wo fängt man an, jemandem, den man so sehr liebt, etwas zu erklären, was man selbst nur schwer begreifen kann? Wie wenn man selbst als Mutter nur schwer einschätzen kann, was er eigentlich versteht? Wir haben versucht, das Geschehen in einfache Worte zu fassen. Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, ob er es verstanden hat.

Isabelle Kumar
Isabelle und Eli machen ein SelfieIsabelle Kumar

Es dauerte Monate, bis Eli wieder zu seinem gewohnten Ich zurückfand, da seine alte Routine langsam wiederhergestellt wurde. Auch heute noch darf er nicht an Gruppenaktivitäten teilnehmen, was ihn - wie ich glaube - traurig macht. Aber er kann es mir nicht sagen, also kann ich nur raten, wie ich mich an seiner Stelle fühlen würde.

Vor ein paar Wochen haben wir alle in der Familie uns, einer nach dem anderen, mit Corona angesteckt. Kontraintuitiv war es viel einfacher als der erste Lockdown. Zunächst einmal habe ich meine jüngeren Zwillingssöhne kaum zu Hause unterrichtet. Eine Person kann nicht alles schaffen! Die Isolation war kürzer. Diesmal hatten wir festgelegte Zeiten: die Zeit als Kontaktperson, die Zeit der  Quarantäne für jeden einzelnen. Während wir normalerweise wegen seiner epileptischen Anfälle ein paar Mal pro Nacht nach Eli sehen müssen, haben er oder wir wegen der Covid-Erschöpfung durchgeschlafen. Wegen des langsamen Starts der Impfungen in Frankreich tröste ich mich damit, dass Antikörper uns für die nächsten Monate schützen werden, bis hoffentlich eine Impfung verfügbar sein wird. In der perversen Welt, in der wir leben, hat uns Covid-19, wenn ich das so sagen darf, eine gewisse Atempause verschafft.

Elis Lehrer kommen diese Woche wieder zu uns nach Hause und wollen ihn sanft wieder an seine Aktivitäten heranführen. Um meine und seine Kräfte zu stärken, haben wir begonnen, in den Hügeln in der Nähe unseres Hauses spazieren zu gehen. Wir sind recht sportlich, deshalb ist es seltsam, dass wir uns beide manchmal einfach auf Felsen gesetzt haben, um eine lange Verschnaufpause einzulegen. Eli hat sich an manchen Tagen so fest an mich geklammert, dass ich das Gefühl hatte, ich hätte ihn zu sehr angestrengt. Während wir versuchen, einige hartnäckig anhaltende Symptome zu überwinden, frage ich mich, ob Covid-19 unseren Körpern einen bleibenden Schaden zugefügt hat. Es gibt keine Anleitung, wie man wieder gesund wird, noch weniger für Eltern und Betreuer:innen, die sich um geistig Behinderte kümmern.

Aber wir sind wieder auf dem Drahtseil, müde und wackelig - aber das Seil ist da. Neben der Erleichterung empfinde ich großes Glück, bin voll des Mitgefühls für alle, die das durchmachen mussten, und leide mit denen, die weit Schlimmeres ertragen mussten.

Isabelle Kumar ist Euronews-Moderatorin.

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