Brüssel integriert Roma aus Osteuropa

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Von Euronews
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Wie können aus Ost- und Südosteuropa stammende Angehörige der Roma-Minderheit in die westlichen Gesellschaften integriert werden? Die Zuwanderung stellt Stadt- und Gemeindeverwaltungen und Hilfsorganisationen vor große Herausforderungen. Wir sahen uns in Brüssel um, wo ein aus Rumänien stammender Roma zwischen den Angehörigen seiner Minderheit und den Behörden vermittelt. Dass die kleine Perla zur Schule geht, verdankt sie dem Vermittler: “Es gefällt mir in der Schule, ich will lesen und gut französisch und niederländisch sprechen können.” Vermittler Florin Muntean ist für seine Aufgabe gut vorbereitet. Er hat das Vertrauen der Behörden sowie der rund 1.300 Roma, die in dem Stadtteil Saint Josse leben. Selbst im Fall von Zahnschmerzen wird Florin um Hilfe gerufen. “Für mich gilt: Ich arbeite zusammen mit den Roma für ihre Gemeinschaft”, sagt er. In jedem Herbst werden in dem Stadtteil rund 20 Roma-Kinder eingeschult. Wie lange sie am Unterricht teilnehmen, weiß man allerdings nicht. “Der 12jährige Octavian konnte selbst seinen Namen nicht schreiben. Buchstaben und Wörter auf dem Bildschirm des Computers fand er zauberhaft”, so der Schulleiter. “Doch eines Tages blieb er für immer fort.” Die Mutter Perlas hat insgesamt vier Kinder, für die Unterkunft sorgt die Gemeinde. Die Mutter wünscht, dass die Kinder zur Schule gehen. Sie selbst hat keine Schulbildung: “Meine Kinder sollen es besser haben als ich. Meine Mutter schickte mich nicht zur Schule, ich kann weder lesen noch schreiben”, sagt Maria Sava. In dem Stadtteil Saint Josse leben unterschiedliche Gemeinschaften. Als 2010 und 2011 hunderte Roma hinzukamen, gab es Spannungen. Das Zusammenleben war anfangs schwierig. Chand Prem Kapoor, der indische Inhaber eines kleinen Ladens berichtet: “Es gab kleinere und größere Diebstähle und es gab kränkende Bemerkungen. Zur Zeit aber herrscht Ruhe.” Florin Muntean bemüht sich nach Kräften um die Integration der Roma. Doch auch er hat manchmal Schwierigkeiten: “Es gibt Fälle, in denen Roma traditionelle Muster nicht aufgeben wollen. Sie betteln zusammen mit ihren Kindern, was ich ablehne. Also biete ich der bettelnden Mutter an, ihren Kindern eine Chance zu geben, sie einzuschulen.” Es geht darum, Beziehungen aufzubauen und Überzeugungsarbeit zu leisten. Doch hier in Saint Josse beginnt diese Arbeit Früchte zu tragen. Mit ihren Müttern bettelnde Kinder gebe es keine mehr, versichert Florin.

Über Fragen der Integration sprachen wir mit Corinne Torrekens von der Freien Universität Brüssel.

euronews:
Corinne Torrekens, Sie sind Sozial- und Politikwissenschaftlerin und Expertin in Minderheitenfragen. Die Äußerung des französischen Innenministers, wonach sein Land nicht für das ganze Elend dieser Welt zuständig sei, wirft auch die Frage auf, ob die Mehrheit der Roma gewillt ist, sich zu integrieren. Das heißt, ob Roma bereit sind, ihre Kinder zur Schule zu schicken, ob sie Arbeit suchen und ob sie die Regeln des Zusammenlebens in den Gastländern respektieren?

Corinne Torrekens:
Es gibt unterschiedliche Roma-Bevölkerungsgruppen, die unterschiedlich organisiert sind. Es gibt nomadisch lebende Gruppen mit wechselnden Aufenthaltsorten und es gibt sehr arme Familien, die sesshaft sind. Die Gruppen, die beispielsweise hier in Brüssel leben, beschäftigen sich nicht mit Bettelei. Die Schwierigkeiten mit der Einschulung der Kinder gibt es allerdings bereits in den Herkunftsländern, unter anderem in der Slowakei und in Rumänien. Der Integrationsprozess dieser Bevölkerungsgruppen ist lang, sie müssen langfristig individuell begleitet werden.

euronews:
Diese Begleitung findet vor Ort mit der Hilfe von Vermittlern statt, jeder Fall bedarf einer besondern Betreuung. Wieviel Zeit erfordert es, bis sich Erfolge einstellen?

Corinne Torrekens:
Damit konfrontiert werden zuallererst die lokalen Behörden, die Stadt- und Regionalverwaltungen. Die Betreuung leisten Sozialarbeiter und Vermittler. Wir gehen davon aus, dass es für die Integration der armen Roma-Familien in Westeuropa einer ganzen Generation bedarf.

euronews:
Ein Wort zu der Rolle Europas, das behauptet, die Integration zu ermutigen und zu unterstützen. Für soziale Integrationsprojekte stehen nach Auskunft der EU-Kommission 50 Milliarden Euro zur Verfügung. Machen alle europäischen Länder mit?

Corinne Torrekens:
Wie bereits gesagt, werden vor allem die Stadtverwaltungen mit diesen Problemen konfrontiert. Auf nationaler Ebene, oder wenn wir von Belgien sprechen, auf der Ebene der Regionen fehlt der politische Wille, die auf europäischer Ebene zur Verfügung stehenden Mittel abzurufen. In dem belgischen Plan zur Integration der Roma kommen diese armen Familien, die Häuser und Wohnungen besetzen, nicht vor. Mit einer solchen Integrationsstrategie kann das Problem nicht gelöst werden.

euronews:
Was geschieht in anderen Ländern?

Corinne Torrekens:
Das gleiche gilt offenbar auch für Frankreich. Zwar gibt es Pilotprojekte, die auch gewisse Erfolge zeigen, doch es handelt sich um lokale Versuche. Damit diese sich langfristig durchsetzen, damit sie Schule machen können, bedarf es eines nationalen Betreuungsplans sowie des politischen Willens, sich der europäischen Hilfsgelder zu bedienen.

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