Bezahlbare Wohnungen in Europas Städten - trotz Armut und Flüchtlingskrise

Bezahlbare Wohnungen in Europas Städten - trotz Armut und Flüchtlingskrise
Von Euronews
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Drei Viertel der Europäer leben in Städten. Wie funktioniert die Integration in den Großstädten und welche Auswirkungen hat sie auf die Wirtschaft? Wer profitiert von Sozialwohnungen und was muss für

Drei Viertel der Europäer leben in Städten. Wie funktioniert die Integration in den Großstädten und welche Auswirkungen hat sie auf die Wirtschaft? Wer profitiert von Sozialwohnungen und was muss für Neuankömmlinge getan werden?

Barcelona im Wandel

Einer von elf Europäern hat weniger als der durchschnittliche Bürger seines Landes. 30 Prozent können sich nicht vorgesehene Ausgaben nicht leisten und mehr als einer von zehn von uns gibt 40 Prozent seines Einkommens für die Miete aus. Viele müssen den Gürtel enger schnallen oder aus dem Stadtzentrum wegziehen, obwohl es dort die meisten Jobs gibt.

In Barcelona gibt es mehr als 10.000 Wohnungen, die unter dem Marktpreis liegen. Weniger als zwei Prozent der Wohnungen der Stadt sind für sozial Benachteiligte. In Barcelona sind 1,5 Prozent der Wohnungen Sozialwohnungen. In Amsterdam sind es 48 Prozent, danach folgen Berlin, London und Paris.

Seit weniger als einem Jahr ist die ehemalige Hausbesetzerin Ada Colau die neue linke Bürgermeisterin von Barcelona. Wie versprochen kümmert sie sich intensiv um die Wohnungssituation. Die Stadt hat Strafen gegen die Banken verhängt, die Wohnraum leer stehen lassen, sie hat neue Gebäude erworben und plant den Bau von 2000 neuen Häusern. Das alles hat rund 30 Millionen Euro gekostet.

Vanesa Valiña vom Stadtrat erklärt: “Die spanische Regierung hat bereits 12 Millionen Euro für Sozialhilfen ausgegeben, um Menschen zu helfen, die sich ihre Miete nicht mehr leisten können oder bereits im Verzug sind. Dadurch muss die Stadt keine Sozialwohnung bereitstellen.”

Jorge gehört zu einer der 3000 Familien, die Hilfe von der Stadt bekommen haben. Er und sein Sohn haben im vergangenen Dezember diese Wohnung zugewiesen bekommen. Dank der Hilfe des Vereins PAH konnten sie einer Zwangsräumung entgehen und einen Antrag für eine Sozialwohnung stellen. Jorge erzählt: “Ich habe sieben Jahre lang in einem Keller gewohnt. Und dann habe ich meinen Job verloren. Ich zahlte keine Miete mehr, drei Jahre später bekam ich die Anweisung die Wohnung zu räumen. Jetzt zahle ich 20 Prozent meines Einkommens. Meine neue Miete beträgt 85 Euro pro Monat.”

Hoy euronews</a> ha venido a entrevistar a Jorge de <a href="https://twitter.com/PAH_BCN">PAH_BCN para conocer la aplicación de la Ley 24/2015 #ILPesLeypic.twitter.com/llnWwlWUXM

— afectadosxlahipoteca (@LA_PAH) 11. März 2016

Die Organisation PAH wurde von der derzeitigen Bürgermeisterin mitgegründet. Der Verein hat es geschafft, ein neues Gesetz durchzusetzen. Die Stadt kann nun leere Wohnungen, die den Banken gehören, nutzen, um Menschen nach einer Zwangsräumung dort kurzfristig unterzubringen. Und alle Menschen, die mit einer Zwangsräumung konfrontiert sind, haben das Recht auf eine soziale Miete. Der PAH-Aktivist Luis Manuel Sanmartín erklärt: “Jeden Tag gibt es in Barcelona rund 30 Zwangsräumungen. Gleichzeitig stehen 2500 Wohnungen, die unter anderem Banken gehören, leer. Wir wollen, dass diese leeren Wohnungen Sozialwohnungen werden.”

LuchoMasan</a> gracias a <a href="https://twitter.com/hashtag/PAH?src=hash">#PAH</a> por la ayuda y las informaciones por nuestro <a href="https://twitter.com/hashtag/realeconomy?src=hash">#realeconomy</a> sobre <a href="https://twitter.com/hashtag/inclusi%C3%B3nsocial?src=hash">#inclusiónsocial</a> <a href="https://t.co/PSAuDp8CUP">pic.twitter.com/PSAuDp8CUP</a></p>&mdash; Monica Pinna (_MonicaPinna) 11. März 2016

Die Stadt Barcelona hat mit den Banken verhandelt und sich so 455 Wohnungen angeeignet.

Eurocities-Präsidentin: “Die Städte sind Hebel, um Projekte umzusetzen.”

Das Rezept scheint in Barcelona aufzugehen, doch diese Maßnahmen eignen sich nicht für alle europäischen Städte. Im Rahmen des Netzwerkes Eurocities treffen sich 130 Bürgermeister aus ganz Europa, um sich auszutauschen und um gemeinsam Lösungen zu finden.
Fanny Gauret hat mit Johanna Rolland gesprochen. Sie ist die Bürgermeisterin von Nantes und Präsidentin von Eurocities. Sie hat sie gefragt, was heutzutage die größte Herausforderung ist.

Johanna_Rolland</a> <a href="https://twitter.com/hashtag/urbanagenda?src=hash">#urbanagenda</a> "To be efficient, EU policies have to be designed with cities" <a href="https://twitter.com/hashtag/realeconomy?src=hash">#realeconomy</a> <a href="https://twitter.com/euronews">euronewspic.twitter.com/TQhVOrueKM

— Fanny Gauret (@FannyGauret) 17. März 2016

Johanna Rolland:
“Erstens wären da die Wohnungen. Morgen werden die Städte in Europa, die Städte weltweit, einen Großteil der Weltbevölkerung beherbergen. Das stellt uns vor gewisse Schwierigkeiten, Armut und Umweltprobleme z.B. Aber dies bedeutet auch, dass wir einen Teil der Lösungen haben. Um wirklich zu funktionieren, müssen die europäischen Maßnahmen mit den Städten ausgearbeitet werden. Denn die Städte sind Hebel, um Projekte umzusetzen. Allein in meiner Stadt entstehen 6000 Wohnungen pro Jahr, 2000 Sozialwohnungen. Wir können uns in solchen Bereichen engagieren. Mit so einer Wohnungspolitik unterstützt man die Wirtschaft und man schafft Jobs.”

Fanny Gauret:
“Was ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln? Welche Lösungen würden sie umsetzen?”

Johanna Rolland:
“Unsere Städte, unsere Großstädte, sind dafür verantwortlich einen Integrationsplan für die Zukunft zu haben. Wenn ich mir heute Europa ansehe, dann sehe ich Städte wie die unseren, wo es im Zentrum der Stadt auch Arbeiterviertel gibt und alle Gebiete durch öffentliche Verkehrsmittel miteinander verbunden sind. Es gibt jedoch auch andere Städte mit einem Zentrum, einer Ringstraße und den Arbeitervierteln außerhalb. In so einem Fall benötigen sie eine sehr offensive Sozialpolitik. Aber wenn die geografische Teilung zu stark ist, dann gibt es auch eine Teilung in den Köpfen, es gibt Ungleichheit und Ausgrenzung.”

Fanny Gauret:
“Als Präsidentin von Eurocities haben sie viele Städte kennengelernt. Gibt es unter ihnen eine, die ihrer Meinung nach vorbildlich ist?”

Johanna Rolland:
“Unsere Städte sind sehr unterschiedlich. Sie haben nicht die gleiche Geschichte, nicht den gleichen Werdegang. Ich verfolge mit großem Interesse, was Amterdam in Punkto Digitalisierung macht und was mit der Kultur in Barcelona geschieht. Vor kurzem haben wir uns sehr viel mit den deutschen Städten ausgetauscht u.a. über die Schwierigkeiten bei der Unterbringung der Flüchtlinge. Und wenn man sich anschaut, was eine Stadt wie Wien für bezahlbares Wohnen macht, dann wird einem klar, dass man sich von den anderen inspirieren kann, um einfallsreicher und effizienter zu sein und um in ganz Europa Lösungen umzusetzen.”

Vantaa: Integration in Finnland

Die Städte stehen durch die Ankunft vieler Einwanderer vor einer neuen Herausforderung. Noch nie zuvor war Europa mit so vielen Flüchtlingen konfrontiert. Die meisten Asylbewerber kommen aus Syrien, Afghanistan und Eritrea.
Kurzfristig ist das gut für das Bruttoinlandsprodukt, denn die Regierungen geben viel für die Unterbringung und die Gesundheitsversorgung der Neuankömmlinge aus. Aber mittel- und langfristig hängt die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts davon ab, wie schnell die Einwanderer in den Arbeitsmarkt integriert werden können. Monica Pinna ist nach Vantaa in Finnland gereist, um herauszufinden, wie dort für alle Jobs geschaffen werden.

In Vantaa, in der Nähe von Helsinki, leben 30.000 Einwanderer. Samira ist eine von ihnen. Sie kam vor 19 Jahren mit einem Juraabschluss in der Tasche aus Marokko. Heute hat die fünffache Mutter einen Job gefunden. Vor sechs Monaten hat sie angefangen, in einem Zentrum für Flüchtlinge zu arbeiten. Sie erzählt: “Als ich nach Finnland gekommen bin, gab es keine Finnischkurse. 1997 war es für Flüchtlinge einfach, aber nicht für mich.”

Vantaa hat ein Multikulturalismus Programm ins Leben gerufen, um Einwanderer auszubilden, damit sie schneller Arbeit finden. Die Nichtregierungsorganisation Hakunila International Society bietet Finnischkurse an und arbeitet mit den lokalen Behörden zusammen, um den Flüchtlingen zu helfen. Allein im vergangenen Jahr nahmen 3000 Menschen an dem Programm teil. Burhan Hamdon, der Direktor der NGO Hakunila International Organisation, sagt: “Es geht um ganz unterschiedliche Sachen: Wie bekommen sie einen Führerschein, was passiert bei einem Sorgerechtsstreit und wie können sie Rente beantragen?”

Suvi und Tiina, vom örtlichen Arbeitsamt, gehen mehrmals pro Woche in das Zentrum. Sie helfen den Menschen einen Job zu finden, sich für eine Stelle oder auch für verschiedene Ausbildungsprogramme zu bewerben. Mehr als 33 Millionen Menschen, die außerhalb der EU geboren worden sind, leben heute in einem EU-Mitgliedsstaat. Die Zahl der Asylbewerber ist im dritten Quartal von 2015 um mehr als 150 Prozent angestiegen. Eine soziale, politische und wirtschaftliche Herausforderung. Finnland hatte einst rund 3000 Asylanträge pro Jahr, aber dieses Jahr waren es mehr als 32.000. Hannele und Anna arbeiten für die Stadt. Sie erzählen: “Im vergangenen Jahr sind zehn Mal mehr Asylbewerber nach Finnland gekommen. Wir rechnen damit, dass 40 Prozent dieser Asylbewerber eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen werden.”

Europa hat einen mehr als drei Milliarden Euro schweren Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds eingerichtet. Der Fonds soll dazu dienen, eine gemeinsame Lösung für Asyl- und Einwanderungsfragen zu finden. Die nationalen Programme in Großbritannen bekommen am meisten Zuschüsse, gefolgt von Italien und Frankreich.

EU-Kommissarin für Regionalpolitik: Soziale Integration – das neue Modewort

Maithreyi Seetharaman, euronews:
Wie können Städte wachsen und neue Einwohner integrieren, seien es Einwanderer oder Aslybewerber? Was für Maßnahmen funktionieren und leisten echte Beiträge? Wir sprechen darüber mit der EU-Kommissarin für Regionalpolitik Corina Crețu. Soeben ging es um Flüchtlinge und Integration. Wie lässt sich Integration bewerkstelligen, ohne dabei die sozial schwachen Einheimischen zu vernachlässigen? Wie verteilt man das Geld?

Corina Crețu, EU-Kommissarin für Regionalpolitik:
“Es ist die größte Herausforderung unserer Geschichte. Noch nie gab es so viele Flüchtlinge und wie sie bereits erwähnten, gibt es auch viele bedürftige Einheimische. Mehr als 120 Millionen Europäer drohen in die Armut abzurutschen und jetzt müssen wir uns angesichts der Flüchtlingskrise natürlich auch verstärkt um Integration kümmern.
Es ist sehr wichtig den Menschen und auch den Kommunen zu vermitteln, dass gerade ein neues Programm anfängt. Uns stehen 450 Milliarden Euro für Regionalpolitik zur Verfügung. Zu dieser Summe kommen noch die Beiträge der Mitgliedsstaaten hinzu. Am Ende kommen 600 Milliarden Euro zusammen. Mit diesem Geld können wir viel gegen Ungleichheit tun, natürlich auch in den Städten.”

EU Urban agenda funds to go directly to cities to tackle integration & migration challenge #realeconomyeuronews</a> <a href="https://t.co/3UqLit9M1H">pic.twitter.com/3UqLit9M1H</a></p>&mdash; Maithreyi (maithreyi_s) 17. März 2016

Maithreyi Seetharaman:
“Die Politik, die auf dem europäischen Level erdacht wird und dann in den Städten umgesetzt werden soll – Sehen Sie da positive oder negative Reaktionen?”

Corina Crețu:
“Unabhängig von der Politik und den Streitereien zwischen den Mitgliedsstaaten, sind es die Menschen vor Ort, die Bürgermeister der Städte, die als erstes handeln und mit der Migration fertig werden müssen. In den kommenden sieben Jahren werden wir den Städten direkt finanzielle Hilfe zukommen lassen. Ihnen werden 16 Milliarden Euro zur Verfügung stehen, um die größten Herausforderungen zu bewältigen: Unterbringung und Hilfe für die scwächsten Gruppen. Wir haben in Deutschland und in den Niederlanden z.B. viele Städte, die sich bereits darum bemühen. Aber andere Länder wissen nicht, was sie machen sollen und wir können ihnen helfen und Ratschläge geben.”

Maithreyi Seetharaman:
“2016 – Worauf müssen sich die Städte konzentrieren?”

Corina Crețu:
“Soziale Integration wird meiner Meinung nach der meistbenutzte Begriff der kommenden Jahre werden. Neue Startups, Energie sparen, Wohnungen, vernachlässigte Viertel renovieren, Jobs schaffen, in Bildung und in Gesundheit investieren – all das sind in den kommenden sieben Jahren wichtige Aufgaben für die Regionalpolitik.”

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