Schwereloser Sport und gebrauchter Kaffee: Astronauten-Leben auf der ISS

Schwereloser Sport und gebrauchter Kaffee: Astronauten-Leben auf der ISS
Von Euronews
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Jeden Tag leben Astronauten vierhundert Kilometer über uns im Weltall.

“Du sitzt in der Rakete und hast eine halbe Stunde lang nichts mehr zu tun. Du denkst: Was tue ich hier? Was kommt auf mich zu?”, so der belgische Raumfahrer Frank De Winne. “Du fliegst ins Weltall. Für sechs Monate bist mit sechs Menschen in einer Blechbüchse eingesperrt. In dieser halben Stunde denkst Du darüber nach.”

Die Internationale Raumstation ist der Vorposten der Forschung. Und auch angesichts von Weltraumspaziergängen und Andockvorgängen ist die Verantwortung der Astronauten riesig.

“Bei Störungen kommt es auf uns an. Vor allem dann, wenn wir nahe bei der Station sind”, sagt Luca Parmitano. “Denn es würde bei einem Unfall zu lange dauern, von der Erde aus einen Befehl an ein Gerät dort oben zu schicken.”

Wohnen und Arbeiten im Weltraum ist mit nichts auf der Erde zu vergleichen.

“Wenn man seine Augen schließt, kann es passieren, dass man plötzlich von einem radioaktiven Teilchen getroffen wird. Das kann dich am ganzen Körper erwischen”, erzählt André Kuipers.

Der Weg der künftigen Astronauten ins All führt über Köln. Alle Astronauten, die zur ISS fahren, trainieren hier im Europäischen Astronautenzentrum. Unter ihnen ist Luca Parmitano. Der Italiener wird in diesem Jahr sechs Monate im All verbringen. Eine seiner wichtigsten Aufgaben wird die Überwachung des Andockens des Transferfahrzeugs an der Station sein.

“Ich bin der Verantwortliche, wenn dieses Fahrzeug an der Station ankommt. Ich überwache die Abstände mit einem “ruler”, um sicherzustellen, dass ich und der Computer exakt das gleiche sehen”, erläutert Parmitano. “Darüber hinaus überprüfe ich die Bewegungsgeschwindigkeit. Sollte etwas falsch laufen, bin ich derjenige, der eingreift. Ich kann den Vorgang dann anhalten, verzögern oder vollkommen abbrechen.”

Die Astronauten werden genau beobachet – ob beim Training oder wenn es ernst wird. Wenn ein Europäer im All ist, wird er durchgehend von einem Zuständigen in Köln überwacht.

“Wir beaufsichtigen den Gesundheitszustand des Astronauten und die technischen Systeme, die an Bord für sein Wohlbefinden sorgen. All das geschieht hier”; so Volker Damann, Leiter der Abteilung “Space Medicine” im Kölner Astronautenzentrum.

Die Astronauten auf der Internationalen Raumstation haben einen exakt geregelten Tagesablauf, um sicherzustellen, dass sie nicht überansprucht werden.

“Wenn man sechs Monate lang im All ist, dann ist die größte Herausforderung, sich selbst zu zügeln”, sagt Frank De Winne. “Zu Beginn ist man voller Elan und will alle Aufgaben so schnell wie möglich erledigen. Doch das geht nicht – dieses Tempo hält man nicht durch. Man muss sich zwingen, einen stabilen Gefühls- und Arbeitsrhythmus beizubehalten.”

Damann: “Die Arbeitszeit beträgt über den Tag verteilt zehn Stunden. Die Astronauten haben acht Stunden Schlaf und treiben zwei Stunden lang Fitness und Sport. Unvorhergesehene Ereignisse und Besprechungen kommen mitunter auch vor und müssen berücksichtigt werden.”

Die Besatzung der ISS führt wissenschaftliche Experimente durch. Doch auch die Instandhaltung der Station nimmt viel Zeit in Anspruch. Teilweise sind ganz irdische Dinge zu erledigen.

De Winne: “Staubsaugen gehört nicht unbedingt zu den bevorzugten Tätigkeiten von Astronauten. Aber wenn man die Station in einem guten Zustand halten will und wenn alle gesund bleiben sollen, dann ist das Staubsaugen an jedem Samstagmorgen ein Muss.”

Das Leben im Weltraum ist für die Astronauten also normal und außergewöhnlich zugleich.

“Die Wiederverwendung von Wasser spielt eine große Rolle: 70 Prozent des Wassers an Bord wird recycelt. Den selben Kaffee, den man an einem Tag trinkt, trinkt man am nächsten also gewissermaßen noch einmal. Und somit auch den Kaffee der Kollegen”, so De Winne.

“Normalerweise braucht man zum Schlafen eine Matratze, eine Decke und ein Kissen. So funktioniert das im All aber nicht. Man würde wegfliegen – die Decke ebenso. Wie auf der Erde kann man im Weltraum nicht schlafen”, erläutert Kuipers. “Und es ist letztlich egal, wo man schläft. Das geht auch an der Decke, denn es gibt kein Oben und Unten. Es schlafen also Kollegen in aufrechter Position. Einer schläft an der Decke, ein anderer auf dem Boden.”

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Die Besatzung der Internationalen Raumstation ist gleichzeitig die Hand und das Auge der Wissenschaft auf der Erde. Sie führt die Experimente durch.
Und die Astronauten sind selbst Versuchsobjekte, um herauszufinden, wie Körper und Geist im All reagieren.

In einer Untersuchung geht es um Energie. Luca Parmitano wird dazu genau getestet: Vor und während des Flugs sowie danach.

“Wir messen den Energieverbrauch eines männlichen Astronauten während eines langen Weltraumaufenthalts – auf dem Boden und in Mikrogravitation”, sagt “Payload Instructor” Frank Salmen. “Das Ziel ist die Optimierung der Nahrungszuteilung bei langen Weltraumaufenthalten”, erläutert er. “Wir wollen herausfinden, was die Besatzung während dieser Zeit wirklich benötigt. Dahinter steckt das übergeordnete Ziel, Prinzipien und regulierende Maßnahmen zum Beispiel bei Fettleibigkeit zu erforschen”, so Salmen weiter.

Weltraumagenturen wie ESA und NASA verfolgen das langfristige Ziel, Astronauten auf noch längere Aufenthalte im All vorzubereiten.
Deshalb umfasst eines der wichtigsten Forschungsvorhaben, wie Muskeln und Knochen reagieren, die in der Schwerelosigkeit nicht beansprucht werden.

“Wenn es keine Erdanziehung gibt, ist man gewichtslos”, sagt André Kuipers. “Der Körper sagt: Diesen Knochen brauche ich nicht mehr – weg damit! Und man sieht dann, dass das Kalzium über den Urin entsorgt wird und wie man seinen Knochen verliert.”

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“Die fehlende Anziehungskraft schadet unserem muskulären und skelettalen System”, so Damann. “Es ist eine große Gefahr, dass man mit der Zeit Knochenmasse verliert. Das sind ein bis zwei Prozent pro Monat. Nach sechs Monaten im All ist also ein signifikanter Anteil verschwunden. Das ist zweifellos ein Langzeiteffekt.”

Um das zu verhindern, ist Sport angesagt: Auf dem Fahrradergometer, Laufband oder an Gewichten. Dennoch brauchen die Knochen nach einem sechsmonatigen Aufenthalt im All ein halbes Jahr, um sich zu erholen.

Kuipers: “Die größte physische Herausforderung ist die Rückkehr auf die Erde. Natürlich passt sich der Körper an das Leben im All an. In den ersten Tagen fühlt man sich unwohl. Aber zurückzukommen ist noch schlimmer. Man muss sich wieder an den Planeten und die Anziehungskraft gewöhnen – man wird sozusagen ‘Erd-krank’.”

“Man hat einen Muskelkater. Mich hat der drei Monate lang geplagt”, sagt Kuipers. “All die kleinen Muskeln, die man sonst einsetzt, werden in der Schwerelosigkeit nicht mehr gebraucht. Wir treiben zwar viel Sport, doch auch das ist nicht genug. Die Fußgelenksmuskeln, die man zum Balancieren braucht, kommen im All nicht mehr zum Einsatz. Dort muss man nicht balancieren. Drei Monate lang taten mir diese Muskeln weh.”

Eine weitere Bedrohung geht von der Strahlung aus, die auf der ISS auf die Besatzung einwirkt.

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De Winne: “Den Astronauten sind die möglichen Langzeitfolgen bewusst. Dort oben herrscht eine hohe Strahlungsbelastung. Während eines sechsmonatigen Aufenthalts im All ist man einer Strahlung ausgesetzt, die der Belastung entspricht, die ein Arbeiter in einem Atomkraftwerk in seinem gesamten Berufsleben erfährt.”

Diese Strahlungsbelastung kann zu Krebs führen. Gesicherte Erkenntnisse über Langzeitfolgen gibt es bisher jedoch nicht.

“Wir untersuchen die Astronauten auch lange nach ihrem Aufenthalt im All – bis zu ihrer Pensionierung und darüber hinaus. Die Daten aller Astronauten weltweit werden in eine Datenbank eingespeist. Wir versuchen, bestimmte medizinische Aspekte und Folgen zu bestimmen, die darauf zurückzuführen sind, dass jemand Astronaut war”, führt Damann aus.

Astronauten gehen ein hohes Risiko ein, erleben allerdings auch Außergewöhnliches. Ein Blick auf die Erde von oben gehört dazu.

“Die Astronauten an Bord sind gute Freunde”, meint Parmitano. “Vor einigen Monaten noch war ich der Ersatzmann. Die Kollegen erzählen immer, wie schnell die Zeit dort oben vergeht. Und dass es eine unglaubliche Erfahrung ist, die blitzschnell wieder vorüber ist. Man muss also alles ganz bewusst erleben und erhält somit unvergessliche Erinnerungen.”

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