Zu wenig Platz, zu viele Medikamente: Experte berichtet über Missstände in Europas Gefängnissen

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Von Euronews
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Euronews-Moderatorin Sophie Claudet hat Mykola Gnatovskyy, den Präsidenten des Europäischen Komitees zur Verhütung von Folter und unmenschlicher

Euronews-Moderatorin Sophie Claudet hat Mykola Gnatovskyy, den Präsidenten des Europäischen Komitees zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe, kurz CPT, zu Gefängnissen in Europa befragt

euronews: Wo in Europa sind die Haftbedingungen am schlimmsten?

Mykola Gnatovskyy, CPT: Wir haben in mehreren Ländern Zustände festgestellt, in denen Personen nicht genügend Lebensraum in der Zelle haben oder gar das Bett mit Mithäftlingen teilen müssen — das ist natürlich alarmierend und vollkommen inakzeptabel. Es gibt z.B. ein Gefängnis in Burgas in Bulgarien, in dem die Insassen in manchen Zellen nur jeweils etwa einen Quadratmeter Platz haben.

euronews: Warum schreibt Europa nicht einfach Platz-Mindeststandards gesetzlich fest?

Mykola Gnatovskyy, CPT: Unser Komitee hat in seiner 25jährigen Geschichte diverse Standards festgelegt. Diese werden im Großen und Ganzen vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte angewandt. Vorgeschrieben sind in einer Mehrbettzelle vier Quadratmeter pro Person. Diese Bedingungen sind gemäß der Rechtssprechung gesetzlich bindend. Es gibt etwas, das ich Regierungen, die überfüllte Gefängnisse haben immer sage: “Ihr verliert einen Haufen Geld, wegen Entschädigungszahlungen, wenn die Insassen wegen der schlechten Haftbedingungen vor Gericht ziehen – ob national oder vor den Europäischen Gerichtshof. Ihr verschwendet also Geld, anstatt es in die Gefängnisse zu investieren.

euronews: Bekommen manche Insassen noch während der Haft Entschädigung?

Mykola Gnatovskyy, CPT: Ich weiß von Lebenslangen, die vor Gericht gingen und dann Geld erhielten. Aber ihre Haftbedingungen wurden kaum verbessert. Sie bekamen einfach nur Geld. Das ist wirklich absurd.

euronews: Leider beobachten wir in Frankreich eine der höchsten Selbstmordraten in Europa – der Durchschnitt liegt bei 7,6 Selbsttötungen pro 10 000 Strafgefangene, in Frankreich sind es 12,4. Warum ist das immer noch der Fall?

Mykola Gnatovskyy, CPT: Selbstmordgefährdete Strafgefangene sollten in sicheren Zellen untergebracht werden, d.h. Zellen, in denen es keine Haken gibt, keine scharfen Kanten etc. Das wäre eine Lösung. Außerdem ist professionelle medizinische Hilfe speziell für psychisch kranke Insassen wichtig. Psychologische Hilfe ist ebenfalls sehr wichtig.

euronews: Für unsere Reportage aus Frankreich sprachen wir mit den Angehörigen eines Häftlings, der eine Überdosis Psychopharmaka genommen hatte, der aber vor seiner Inhaftierung nie derartige Präparate nahm. Wird da eventuell mehr verschrieben als nötig?

Mykola Gnatovskyy, CPT: Ich beobachte, dass Ärzte enorme Mengen Psychopharmaka verschreiben, um die Strafgefangenen ruhig zu stellen. Besonders in überfüllten Gefängnissen mit schlechten Bedingungen hat das bleibende Folgen, und die sind sehr schlecht.

euronews: Vielen Dank für die Einblicke, danke, dass Sie bei Insiders waren.

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