Zeigt Fiat Italien einen Weg aus der Krise?

Zeigt Fiat Italien einen Weg aus der Krise?
Von Euronews
Diesen Artikel teilenKommentare
Diesen Artikel teilenClose Button

Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit sind Schlüsselthemen für Italien, um die Wirtschaftskrise zu überwinden. Die Politik war bisher nicht in der Lage den negativen Trend umzukehren. Fiat treibt den Internationalisierungsprozess voran, um die Krise zu meistern. 2009 sind die Italiener bei Chrysler eingestiegen. Aber taugt das Modell für das ganze Land? Unter Fiatmitarbeitern geht die Angst um, dass damit Outsourcing und die Schließung von Standorten verbunden sind.

Im süditalienischen Melfi hat Fiat vor Kurzem ein Abkommen über eine drastische Kürzung der Gehälter und Arbeitszeiten von 5500 Mitarbeitern geschlossen, um Fertigungslinien für zwei neue Modelle montieren zu können. Die italienische Metall-Gewerkschaft befürchtet, dass selbst wenn Fiat den Standort nicht schließt, viele Menschen ihre Arbeit verlieren. Doch die Mitarbeiter in Melfi klammern sich an die Hoffnung, dass ihr Werk ein Vorzeigestandort für den italienischen Industrieaufschwung wird.

Die Arbeiter bei Fiat zeigen vorsichtigen Optimismus. Fiat-Mitarbeiter Aldo Caprarella:
“In Zukunft werden wir hier bei Fiat zwei neue Modelle bauen, im Moment produzieren wir nur ein Modell, den Punto. Hoffentlich bleibt dann auch genügend Arbeit für alle, denn diese Region ist wirtschaftlich abhängig von Fiat und seinen Aufträgen. Wenn Fiat beschließt, Chrysler vollständig zu übernehmen, kommen hoffentlich auch Vorteile für uns dabei heraus. Bisher hatten die Amerikaner die meisten Vorteile, aber in Melfi werden die neuen Jeep-Modelle gebaut. Das ist doch gut, oder?”

Aber bedeutet das jetzt Internationalisierung oder Outsourcing?

Aldo Caprarella:
“Wenn man Melfi schließt und nach China geht, um Autos zu bauen, ist das schlecht. Aber wenn man sowohl in Melfi als auch in China Autos baut, ist das großartig.”

euronews-Reporter Sergio Cantone:
“Haben Sie keine Angst, dass Fiat Italien ganz verlassen könnte?”

Aldo Caprarella:
“Ich glaube nicht, dass das passiert.”

euronews: “Warum?”

Aldo Caprarella:
“Weil seine Wurzeln in Italien liegen und man Fiat als ein Produkt ‘made in italy’ betrachtet.”

Aldo Caprarella hat ein durchschnittliches Monatsgehalt von 1700 Euro im Monat. Einige der Arbeiter würden Arbeitsmarktreformen wie mehr Flexibilität akzeptieren, um ihren Job zu behalten.

Fiat-Mitarbeiter Biagio Amoroso:
“Meiner Meinung nach können wir sogar einige Regeln aufgeben, die wir über Jahre etabliert haben. Wenn man von uns verlangt, samstags zu arbeiten, müssen wir samstags arbeiten. In einem globalen Markt müssen wir wettbewerbsfähig sein.”

Doch die Gewerkschaft glaubt nicht daran, dass der Weltmarkt auch Arbeitsplätze schafft.

Emanuele De Nicola, Regionalsekretär bei der Gewerkschaft FIOM:
“Es besteht die Gefahr, dass durch die neuen Produktionslinien das aktuelle Potenzial mit 5500 Arbeitern 400.000 Autos zu bauen, drastisch reduziert wird. Denn in den Vereinbarungen wird nicht garantiert, dass alle Arbeitsplätze erhalten bleiben, wenn der Plan nach zwei Jahren ausläuft.”

Italiens Produktivität liegt im unteren Bereich der OECD-Berechnungen. Arbeitsmarktreformen wurden verschleppt und auch die italienische Politik hat lange Zeit keine angemessene Wirtschaftspolitik verfolgt.

Wirtschaftshistoriker Valerio Castronovo:
“Wir glaubten, dass es für hoch entwickelte Länder einfach wäre, sich global auszurichten. Und Italien gehörte zu diesen Ländern, wir standen damals auf dem sechsten oder siebten Rang der Länder mit der stärksten Industrialisierung weltweit. Wir glaubten, dass in Schwellenländern nur minderwertige Ware hergestellt würde. Dass diese Länder nicht in der Lage wären, den technologischen Standard zu erreichen, den Italien bzw. Europa bereits erreicht hatte. Das war der Fehler, wir haben zu kurzfristig gedacht.”

Emanuele De Nicola:
“Ohne ein umfassendes Zukunftsprojekt der Automobilindustrie werden nur die Schwellenländer von der Auslagerung von Produktionslinien aus Italien profitieren. In Serbien bauen sie zum Beispiel ein Modell, dass man auch in Italien produzieren könnte.”

In Serbien hat Fiat in Kragujevac ein neues modernes Werk am Standort der alten Zastava-Autofabrik gebaut, in dem der Fiat 500 für alle Märkte und das neue 500er-Modell mit sieben Sitzen für den amerikanischen Markt produziert wird.

Für die serbischen Arbeiter hat sich viel verändert. Fiat-Mitarbeiter Goran Ostajic:
“Als ich noch für Zastava arbeitete, war es kalt und es war sehr harte Arbeit. Mit Fiat wurde alles anders, die Arbeitsbedingungen verbesserten sich: Die renovierten Hallen sind heller und wärmer. Wenn ich heute zur Arbeit gehe, habe ich es warm und muss nicht mehr frieren bei der Arbeit.”

Fiat-Mitarbeiter Aleksandar Ostajic:
“Es ist ein sicherer Arbeitsplatz, der einem erlaubt, für die Zukunft zu planen. Zwei oder drei Monate nach meinem Abschluss habe ich einen Job bei Fiat gefunden und seitdem arbeite ich dort.”

Im serbischen Fiatwerk arbeiten 1500 Menschen. Sie verdienen zwischen 350 und 450 Euro pro Monat, das liegt leicht über dem serbischen Durchschnittsgehalt. In der alten serbischen Fabrik arbeiteten früher 25.000 Arbeiter, aber es gab keine Roboter und die Gehälter waren etwas niedriger als heute. Seit dem Ende des Kriegs in Jugoslawien hat sich die Produktivität der serbischen Arbeiter drastisch erhöht. Aber Fiat hat weitere Gründe, um in Serbien zu investieren.

Fiat-Manager Diego Velini:
“In Italien ist das Verhältnis zwischen den Tarifparteien höher entwickelt. Serbien ist in einer anderen Phase, was Arbeitsverträge und Arbeitnehmerrechte betreffen. Das bedeutet aber nicht, dass es überhaupt keine Rechte gibt, dass es für ein Unternehmen hier einfach ist. In Serbien gibt es eine andere Wirklichkeit, in einem anderen Kontext. So ist es möglich, verschiedene Dinge zu tun.”

euronews:
“Also ist es hier einfacher für Fiat als in Melfi oder in Pomigliano?”

Diego Velini:
“Ich bin kein großer Kenner des italienischen Arbeitsrechts, aber wir bewegen uns natürlich in zwei unterschiedlichen Kontexten. Aber wir sind sicherlich nicht nur wegen der Arbeitsbedingungen hier präsent. Es gibt durchaus auch andere Gründe für unsere Investition, wie zum Beispiel die Erreichbarkeit der Märkte, der Standort der Fabrik, unsere bisherigen Erfahrungen in Serbien sowie die Vergünstigungen, die uns die serbische Regierung anbietet.”

Italiens Automobilindustrie wird nur überleben, wenn sie sich grundlegend wandelt. Wird es die kommende Regierung schaffen, die nötigen politischen und wirtschaftlichen Reformen anzustoßen?

Auf den ersten Blick hat der Alltag dieser serbischen Familie nichts mit den italienischen Wahlen zu tun. Und doch wird ihr Leben von der italienischen Politik beeinflusst werden. Auch das ist Teil der Internationalisierung der Wirtschaft.

Diesen Artikel teilenKommentare

Zum selben Thema

Hat Frankreich aus den Terroranschlägen von 2015 seine Lehren gezogen?

Deutschland im Energie-Wahlkampf: Wo weht der Wind des Wandels?

Halloumi: Kann Käse-Diplomatie Zypern einen?