ESM-Direktor Regling: Wir können auch ein großes Land retten

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Einiges los hier im Handelszentrum des Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM. Die Trader geben Anleihen aus, zwei Milliarden sind es heute. Diese Männer und Frauen sammeln auf den internationalen Finanzmärkten das Geld ein, das gebraucht wird, Euro-Krisenstaaten zu retten und damit den gemeinsamen europäischen Währungsraum – den Euro – am Leben zu erhalten. Euronews-Reporter Hans von der Brelie ist mit Klaus Regling verabredet, dem Mann an der Spitze des Europäischen Stabilitätsmechanismus. Regling gibt sich vorsichtig optimistisch: die meisten Euro-Krisenländer werden wohl bald wieder an die Finanzmärkte zurückkehren, falls die Reformanstrengungen nicht erlahmen. Obwohl Reglings Muttersprache Deutsch ist, bevorzugt er es, das Interview auf Englisch aufzuzeichnen, womit er verdeutlichen will, dass er sich nicht als Interessenwalter Deutschlands sieht, sondern allein und ausschließlich als Stimme des ESM.

Euronews: “Herr Regling, meine erste Frage kommt von meinem griechischen Kollegen in Athen: Warum rekapitalisiert der Europäische Stabilitätsmechanismus nicht direkt die griechischen Banken?”

Regling: “Aus dem Hilfsprogramm für Griechenland gingen 50 Milliarden Euro über die griechische Regierung zu den griechischen Banken. Damit wurden die vier größten Banken umstrukturiert und rekapitalisiert. Sie spielen auf die direkte Banken-Rekapitalisierung an. Dieses Jahr können wir das noch nicht machen, vielleicht wird das im kommenden Jahr möglich sein. Dieses Finanzinstrument kann erst geschaffen werden, wenn die Europäische Zentralbank die gemeinsame Finanzaufsicht des Euro-Raums übernommen haben wird. Dann gäbe es diese Möglichkeit vielleicht. Derzeit müssen wir das indirekt handhaben: die Regierung bekommt das Geld und gibt es an die Banken weiter, so wurde das bislang gehandhabt.”

Euronews: “Der Internationale Währungsfond plädiert für einen zweiten Schuldenschnitt Griechenlands. Und Sie?”

Regling: “Nun, das wird diskutiert, doch eindeutige Antworten gibt es nicht. Unser derzeitiges Griechenlandprogramm läuft bis Mitte 2014. Das ist voll durchfinanziert. Unter der Annahme, dass Griechenland alle Bedingungen erfüllt, werden wir und der Internationale Währungsfonds weiterzahlen. Darüber hinaus steht die Zusage des Euro-Raumes: Wenn Griechenland weiterhin die Reformen implementiert und falls es nach Auslaufen des derzeitigen Hilfsprogrammes Mitte des kommenden Jahres weitere Finanzmittel benötigen sollte, dann wird diese zusätzliche Hilfe bereitgestellt werden. Doch ist es derzeit viel zu früh, um zu sagen in welcher Form.”

Euronews: “Sie halten mit dem Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM eine gewisse Geldreserve bereit. Da drüben auf dem Regal steht ja eine ganz witzige Karikatur, mit der offenbar bewiesen werden soll, dass sie die Muskeln haben, Notfälle zu stemmen. Doch stimmt das Bild? Sind sie nicht unterfinanziert?”

Regling: “Sowohl unser Vorgänger-Mechanismus EFSF, wie auch der Europäische Stabilitätsmechanismus ESM waren sehr erfolgreich auf den internationalen Finanzmärkten: In den vergangenen zweieinhalb Jahren haben wir etwa 140 Milliarden Euro aufgenommen, obwohl wir bei Null anfingen. Ein Riesenerfolg… Gemeinsam haben EFSF und ESM ein Ausleihvolumen von 700 Milliarden Euro. Neunzig Prozent dieses Ausleihvolumens wurde bislang noch nicht in Anspruch genommen, steht also zur Verfügung falls nötig. Ich denke, das beruhigt die Märkte, dass wir noch ganz schön Feuerkraft in Reserve haben.”

Euronews: “Eine Menge Feuerkraft; doch reicht die aus, um Italien zu retten, falls es zum Ernstfall kommt?”

Regling: “Die Feuerkraft reicht tatsächlich, auch ein großes Land zu finanzieren, falls nötig. In den vergangenen zweieinhalb Jahren haben viele Schwarzmaler das Ende des Euro angekündigt. Glücklicherweise lagen die Urheber dieser Horror-Szenarien nicht richtig, die meisten lagen falsch. Wir sehen Erfolge in unseren Mitgliedstaaten. Die Anpassungsprogramme in Irland, Portugal und Griechenland funktionieren. Es gibt Fortschritte: diese Staaten reduzieren ihr Haushaltsdefizit, verbessern ihre Wettbewerbsfähigkeit.. Das sind Erfolgsgeschichten…”

Euronews: “Sie erwähnen Irland. Ist das wirklich eine Erfolgsgeschichte?”

Regling: “Irland ist in der Tat eine echte Erfolgsgeschichte. Die Zinsen für zehnjährige Staatsanleihen liegen unter vier Prozent. Unter vier Prozent! Das ist ein wirklicher Erfolg; noch vor zwei Jahren lagen die langfristigen Zinsen über zehn Prozent. Darüber hinaus konnte sich Irland jetzt wieder selbst am Markt Geld beschaffen und zehnjährige Staatsanleihen ausgeben.”

Euronews: “OK, bringen wir es auf den Punkt: Irland ist eine Erfolgsgeschichte, sagen Sie. Aber schauen Sie sich doch einmal Portugal an: das politische System heizt sich auf, und damit auch das Finanz-System. Sehen Sie sich die Zinsen an: die gingen unlängst steil nach oben, bis unter die Decke. Das Risiko einer systemischen Instabilität besteht nach wie vor, in Portugal, und das, obwohl die portugiesische Regierung Wort für Wort jeder einzelnen Empfehlung von Ihnen und der Troika umgesetzt hat, bislang. Was läuft schief?”

Regling: “Portugal macht gute Fortschritte. Schauen wir uns solche Frühindikatoren wie beispielsweise die Wettbewerbsfähigkeit und die Exportentwicklung an. Das Handelsbilanzdefizit Portugals ist verschwunden. Zugleich ist der strukturelle Anpassungsprozess schmerzhaft für die Bevölkerung: Das Bruttoinlandsprodukt sinkt, die Realwirtschaft schrumpft, die Arbeitslosenzahlen steigen, das führt zu politischer Instabilität. Zwei Minister traten zurück, es kam zu einer politischen Krise. Doch mittlerweile ist Portugal wieder auf dem richtigen Weg: die Koalition hat sich darauf verständigt, weiterzuregieren.”

Euronews: “Sind Sie in Gesprächen mit Spanien über eine vorbeugende Kreditlinie?”

Regling: “Nach meinem Kenntnisstand – und der wurde mir von spanischer Seite bestätigt – wird kein Antrag auf mehr Geld für spanische Banken gestellt. Ich glaube nicht, dass Spanien ein anderes Hilfsprogramm möchte. Dafür besteht kein Bedarf.”

Euronews: “Was geschieht morgen, sollte eine Bank zusammenbrechen? Wer muss zahlen?”

Regling: “Öffentliche Gelder, also europäische Steuergelder, werden künftig weniger in Anspruch genommen. Bank-Gläubiger werden stärker und öfter beteiligt, auch Kleingläubiger und wenn nötig auch Kontoinhaber über der 100.000-Euro-Grenze. Es gibt jetzt ein Regelwerk, allerdings müssen die Details noch mit dem Europaparlament geklärt werden.”

Euronews: “Barroso, der Präsident der Europäischen Kommission, hat unlängst erklärt, das Schlimmste der Krise sei überstanden. Andererseits gibt es Bedenken in Bezug auf Portugal, Zypern, Griechenland, Slowenien und andere Länder. Wer hat denn nun recht, wer unrecht?”

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Regling: “Die Hälfte oder sogar zwei Drittel der Aufgabe ist geschafft. Wir kommen an das Ende der Rettungs-Aktion, denn die Staaten, die ihre Hausaufgaben erledigen, werden wieder in der Lage sein, auf den Finanzmarkt zurückzukehren. Wir haben einiges geschafft, haben einen langen Weg zurückgelegt.”

Euronews: “Letzte Frage und die bezieht sich auf das Bild, dass Sie sich für Ihr Büro ausgesucht haben. Warum ausgerechnet dieses Bild?

Regling: “Einerseits sind das kräftige Farben und die lockern die graue Büro-Atmosphäre etwas auf. Andererseits symbolisiert das Bild das gelegentliche Verhalten der Marktteilnehmer: das ist Herdenverhalten, alle stürmen in dieselbe Richtung los, manchmal viel zu schnell. Und das ist Teil unserer Aufgabe, uns dieser Tatsache bewusst zu sein und – falls möglich – dieses Herdenverhalten vielleicht sogar etwas zu kontrollieren.”

Euronews: “Und Sie sind der Mann, der die wilden Biester stoppt?”

Regling: “Das ist schwierig und gefährlich. Wir müssen die im Auge behalten…”

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Euronews: “Viel Glück. Dankeschön.”

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