Migranten, EU-Müdigkeit - warum immer mehr Europäer Rechtspopulisten wählen

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Von Euronews
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Die Protestparteien fahren uns an die Wand, meint Extremismus-Forscher Jean-Yves Camus.

Rechtspopulisten sind im Aufwind in Europa. Wir fragten den Politologen und Extremismus-Forscher Jean-Yves Camus, warum.

Sophie Claudet:
“Wie lässt sich dieser Aufwind für den Rechtspopulismus und die extreme Rechte in Europa erklären?”

Jean-Yves Camus:
“Da ist erst einmal das Thema Zuwanderung: Die europäischen Wähler fragen sich, wie es mit der Zuwanderung weitergeht. Und dann gibt es außerdem die Krise beim Aufbau Europas, einen Mangel an Identifikation mit Europa. Die Bürger haben den Eindruck, dass die Europäische Union ein eiskaltes Monster ist, weit weg, mit sehr wenig demokratischer Legitimierung. Sie sind nicht gegen das Prinzip – sie wollen Europa – aber nicht unbedingt Europa in dieser Form.”

Sophie Claudet:
“Haben die Parteien der knallharten Rechten wirklich ein stichhaltiges Programm?”

Jean-Yves Camus:
“Man weiß, dass in Österreich die FPÖ schon Anfang 2000 an der Koalitionsregierung beteiligt war, und dass sie nicht die Ziele erreichen konnte, die sie sich gesetzt hatte, dass sie nicht die Politik gemacht hat, die sie den Wählern versprochen hatte. Und das war es im übrigen, was sie bei der folgenden Parlamentswahl Stimmen kostete.”

Sophie Claudet:
“Nur, dass die FPÖ heute wieder Rückenwind hat. Man kann sich vorstellen, dass der nächste österreichische Präsident mit hoher Wahrscheinlichkeit aus dieser Partei kommt und vielleicht sogar der nächste Kanzler. Am Ende haben sich die Österreicher also doch an die Seite dieser rechtspopulistischen Partei gestellt.”

Jean-Yves Camus:
“Die Österreicher sind in einer besonderen Situation, denn wie auch in Deutschland regiert in Österreich eine Große Koalition von Sozialdemokraten und Christdemokraten – also links und rechts – und das lehnt ein Teil beider Wahlvölker ab. Sie wollen das Ganze umstoßen und einer Partei die Chance geben, die ein simples Programm hat und sagt, es gibt die Eliten und es gibt das Volk, und die Eliten haben euch verraten. Wir sind das Volk, wir repräsentieren euch, und wenn wir ins Amt kommen, werden wir genau das Gegenteil von dem machen, was die Mainstream-Parteien bis jetzt gemacht haben. Mit diesem einfachen Argument sagt sich ein Teil der Wähler: Diese Parteien sind vielleicht nicht so strukturiert, wir wissen nicht sicher, ob sie an der Macht wirklich gut sind, aber wir wollen derart die anderen loswerden, dass wir ihnen eine Chance geben.”

Sophie Claudet:
“Überdenken die traditionellen Parteien in Europa deshalb wirklich ihre Position oder neigen sie eher dazu, die Rhetorik der Populisten zu übernehmen?”

Jean-Yves Camus:
“Ein Teil der demokratischen Rechtsparteien lässt sich tatsächlich dazu verführen, den Wählern der extremen Rechten hinterherzurennen. Diese Taktik hat aber nie funktioniert. Man weiß das in Frankreich seit gut drei Jahrzehnten. Aber es gibt immer noch Politiker, die glauben, dass sie, wenn sie die Positionen der extremen Rechten überbieten, die des Front National zum Beispiel – dass sie damit ihre Wähler zurückholen. Dies ist aber derzeit ein Spiel, das nicht aufgeht. Im Gegenteil scheint mir für die liberale und konservative Rechte vielmehr die Notwendigkeit zu bestehen, sich auf ihre Grundwerte rückzubesinnen, ihre alte Ideologie wieder aufzunehmen: den Liberalismus, den sozialen Konservatismus. Und dann den Wählern zu erklären, dass die reinen Protestparteien ohne Regierungserfahrung Parteien sind, die uns an die Wand fahren. Denn man kann sehr wohl die Modalitäten des Zusammenwachsens Europas ablehnen, aber daraus auszusteigen, Nein zu Europa zu sagen, das bedeutet offenkundig, vor allem wirtschaftlich, an die Wand fahren.”

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