Mevlüt Cavusoglu (49): Nur Deutschland und Österreich gegen Türkei in der EU

 Mevlüt Cavusoglu am 21. Dezember 2017
Mevlüt Cavusoglu am 21. Dezember 2017 Copyright REUTERS/Amr Alfiky
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Von Euronews mit dpa
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In einem langen Interview mit dpa in Ankara hat der türkische Außenminister seine Freundschaft zu seinem deutschen Amtskollegen betont, aber er klagt Deutschland auch an.

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Die Beziehungen zwischen der Türkei und Deutschland sind seit vielen Monaten angespannt. Ob sich das 2018 bessert? "Die Türkei hat kein Problem mit Deutschland", das sagte der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu (49) im Gästehaus des deutchen Außenministeriums der Nachrichtenagentur dpa in einem langen Interview - das Sie hier nachlesen können. Er hofft auf eine Entspannung zwischen Deutschland und der Türkei, nennt Sigmar Gabriel einen Freund, aber er macht der Regierung in Berlin auch Vorwürfe.

"Es gibt nur wenige Länder wie Deutschland, Österreich und neuerdings Dänemark, die gegen unsere Mitgliedschaft sind", sagte Cavusoglu der Deutschen Presse-Agentur in Ankara. "Wir haben Verhandlungen für eine Vollmitgliedschaft begonnen. Wenn die EU entscheidet, dass sie die Türkei nicht aufnimmt, dann ist das Sache der EU. Aber ich sehe viele Länder, die immer noch für eine EU-Mitgliedschaft der Türkei sind."

Cavusoglu betonte, die Türkei strebe weiter eine Vollmitgliedschaft an. Die engere Zusammenarbeit mit Russland sei für die Türkei "keine Alternative zum Westen". Warnungen, in der Türkei sei die Demokratie in Gefahr, wies der Minister als unbegründet zurück. Er räumte aber ein, dass der Putschversuch und das anschließende Durchgreifen des Staates im Ausnahmezustand "das Bild der Türkei beschädigt" habe.

Die Türkei ist keine Diktatur

Der Ausnahmezustand richte sich nur gegen Terrororganisationen, sagte der Minister. "Sie können die Türkei nicht wegen des Ausnahmezustands als Diktatur bezeichnen. Die Türkei hält demokratische und faire Wahlen ab, besser als viele andere europäische Länder.» Cavusoglu kündigte an: "Wenn die Dinge wieder normal sind, werden wir den Ausnahmezustand aufheben. Natürlich werden wir zu Reformen zurückkehren."

Der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel hatte vor wenigen Tagen gesagt, er könne sich für die nächsten Jahre die Türkei nicht als Mitglied der EU vorstellen. "Daher müssen wir über alternative Formen einer engeren Zusammenarbeit nachdenken." EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hatte im September kritisiert, die Türkei entferne sich von der Rechtsstaatlichkeit. "Das schließt eine Mitgliedschaft der Türkei in absehbarer Zeit aus."

"Ich erwarte ein besseres Jahr 2018"

dpa: Herr Minister, seit dem Amtsantritt Ihrer AKP vor 15 Jahren waren die Beziehungen zwischen der Türkei und Deutschland nie schlechter als im abgelaufenen Jahr. Was erwarten Sie 2018?

**Mevlüt Cavusoglu: **Die ersten drei Quartale 2017 waren nicht sehr gut, aber wir haben seitdem Fortschritte gemacht. Besonders mit Außenminister Sigmar Gabriel haben wir einen guten Dialog. Ich denke, dass beide Seiten bereit dazu sind, die Beziehungen zu normalisieren. Ich erwarte also ein viel besseres Jahr 2018.

"Deutschland hat ein Problem mit der T¨ürkei"

dpa: Auch Präsident Erdogan hat sich kürzlich positiv geäußert. Liegt der schlimmste Teil der Krise hinter uns?

Mevlüt Cavusoglu: Von unserer Seite aus sehen wir keine Krise. Die Türkei hat kein Problem mit Deutschland. Aber Deutschland hat ein Problem mit der Türkei, und Deutschland lässt keine Gelegenheit aus, die Türkei anzugreifen. Es gibt außerdem einen sehr gefährlichen Trend zu Türkei- und Erdogan-Bashing in Deutschland, was nicht sehr hilfreich ist. Ich glaube nicht, dass es den Präsidenten stört, aber es beeinträchtigt die bilateralen Beziehungen. Es schürt auf beiden Seiten Hass. Warum sollte ich ein Problem mit Deutschland haben? Ich warte immer noch auf eine ehrliche Antwort auf meine Frage, warum Deutschland ein Problem mit der Türkei hat.

Inhaftierung von Deutschen

dpa: Ein Grund ist die Inhaftierung von Deutschen in der Türkei. Seit Ende Oktober haben türkische Gerichte mehrere Deutsche aus der Haft entlassen oder deren Ausreisesperren aufgehoben. War das Zufall oder Teil einer Regierungsstrategie, um die Spannungen abzuschwächen?

Mevlüt Cavusoglu: Als Regierung können wir die Justiz nur darum bitten, den Prozess zu beschleunigen. Letztlich trifft die unabhängige Justiz die Entscheidung. Schauen Sie, in Deutschland sitzen 2000 Türken im Gefängnis. Hat die Türkei deswegen Probleme in den Beziehungen gemacht?

dpa: Die Bundesregierung fordert die Freilassung von Deutschen, die aus ihrer Sicht aus politischen Gründen inhaftiert sind.

**Mevlüt Cavusoglu: **Wir haben der deutschen Regierung gesagt, dass das nicht wahr ist. Warum sollten wir diese Menschen ins Gefängnis stecken? Um etwas von Deutschland zu bekommen? Nein.

dpa: Sigmar Gabriel sprach von Geiseln.

**Mevlüt Cavusoglu: **Das war falsche, populistische Terminologie vor einer Wahl. Ich bin sicher, dass er verstanden hat, dass er einen Fehler gemacht hat.

dpa: Sie nennen Sigmar Gabriel dennoch einen Freund?

"Sigmar Gabriel ist ein persönlicher Freund"

**Mevlüt Cavusoglu: **Er ist ein guter Freund von mir, ein persönlicher Freund, aber wir müssen nicht überall einer Meinung sein.

Der Fall Deniz Yücel

dpa: Den größten Streit gibt es im Fall des «Welt»-Korrespondenten Deniz Yücel, der seit mehr als zehn Monaten wegen Terrorvorwürfen in Untersuchungshaft sitzt und dagegen beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg Beschwerde eingelegt hat. Ihre Regierung hat dazu im November beim EGMR ihre Stellungnahme dazu abgegeben. Warum gibt es immer noch keine Anklage?

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**Mevlüt Cavusoglu: **Auch ich bin nicht sehr glücklich darüber, dass es noch immer keine Anklage gibt. Aber wir können die Justiz nur dazu ermutigen, den Prozess zu beschleunigen. Das haben wir bereits getan. Aber sie sagen uns, dass es eine sehr komplexe Situation ist und dass die Ermittlungen noch andauern. Deswegen dauert es einige Zeit. Aber das ist nichts Persönliches.

Die Vorwürfe gegen Deniz Yücel sind sehr ernst. Er war seit 2015 nicht in der Türkei als Journalist akkreditiert. Er wurde also auch nicht wegen Journalismus inhaftiert, weil er ohnehin nicht akkreditiert war. Aber wer auch immer in der Türkei inhaftiert wird oder dort Probleme hat, wird in Deutschland zum Helden. Warum? Ist Deutschland der größte Verteidiger der Menschenrechte in der Welt? Nein. Ich kann Ihnen Tausende Beispiele von Menschenrechtsverletzungen in Deutschland geben.

dpa: Sollte der EGMR entscheiden, dass Deniz Yücel aus der U-Haft entlassen werden muss, würde die Türkei diese Entscheidung dann umsetzen?

Mevlüt Cavusoglu: Das liegt natürlich an der Justiz, aber wir haben die Entscheidungen des Gerichts in Straßburg immer umgesetzt.

dpa: Sie würden also auch in diesem Fall eine Umsetzung erwarten?

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Mevlüt Cavusoglu: Natürlich.

Ist Deutschland für Türken gefährlich?

dpa: Präsident Erdogan und Sie haben wiederholt Rassismus und anti-türkische Gefühle in Deutschland kritisiert. Ihr Ministerium hat sogar eine Reisewarnung erlassen...

Mevlüt Cavusoglu: ...nach einer Reisewarnung Deutschlands für die Türkei! Die rassistische Partei hat 13 Prozent der Stimmen gewonnen. Rassismus, Diskriminierung und Intoleranz nehmen in Deutschland zu. Sie haben das bei der letzten Wahl gesehen.

dpa: Halten Sie Ihre Reisewarnung aufrecht? Sagen Sie weiterhin, dass Deutschland für Türken gefährlich ist?

Mevlüt Cavusoglu: Das ist eine schwierige Frage. Man kann die Türkei nicht durch Reisewarnungen bestrafen. Ich musste diese Reisewarnung erwidern. Nicht weil mir das gefällt, aber weil es die Erwartung meiner Bürger war. Deutschland sollte verstehen: Wenn Deutschland sich einen Schritt auf uns zubewegt, geht die Türkei zwei Schritte auf Deutschland zu. Das ist keine Schwäche, das kommt von Herzen. Aber wenn Deutschland die Türkei bedroht, wird die Türkeizurückschlagen.

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dpa: Welche Schritte erwarten Sie von Deutschland?

**Mevlüt Cavusoglu: **Deutschland sollte kein sicherer Zufluchtsort sein für Unterstützer von Fetö [der Gülen-Bewegung] und der [verbotenen kurdischen Arbeiterpartei] PKK. Schauen Sie, was bei der letzten Demonstration geschehen ist. Die deutsche Polizei hat versucht, PKK-Unterstützer zu stoppen, und sie haben die Polizei brutal angegriffen. Wenn die Polizei noch ein paar Mal versucht, sie zu stoppen, werden Sie sehen, was sie in Deutschland machen. Das ist eine Terrororganisation. Das ist eine Schlange. Sie können nicht mit der Schlange im selben Zimmer schlafen. Heute oder morgen wird sie Sie beißen.

Wir müssen uns gegenseitig respektieren. Und wir erwarten von Deutschland, die Türkei als gleichwertigen Partner zu betrachten.

dpa: Wie bewerten Sie die deutsche Haltung gegenüber der Gülen-Bewegung, die Ihre Regierung für den Putschversuch vom Juli 2016 verantwortlich macht? Im März sagte der Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND), Bruno Kahl, in einem «Spiegel»-Interview: «Die Gülen-Bewegung ist eine zivile Vereinigung für religiöse und säkulare Weiterbildung.»

**Mevlüt Cavusoglu: **Das ist Gülen-Propaganda. Das ist wirklich Unsinn und nicht hinnehmbar. Diese Institution [der BND] weiß, dass Fetö tatsächlich für den gescheiterten Putsch verantwortlich ist. Sie haben die Beweise.

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dpa: Im Frühjahr haben Sie und Präsident Erdogan Verbote für Wahlkampfauftritte in Deutschland und anderen EU-Staaten mit «Nazi-Methoden» verglichen. Bereuen Sie diese Vergleiche?

Nazi-Vergleiche

**Mevlüt Cavusoglu: **Nein! Ich bereue sie nicht. Was an diesen Tagen geschehen ist, erinnerte uns an das, was während der Nazi-Zeit geschah. Vielleicht ist es nicht einmal während der Nazi-Zeit geschehen. Ich glaube nicht, dass das Nazi-Regime solche Besuche oder Veranstaltungen stoppte.

Unser Ziel war nicht, uns in die Innenpolitik anderer Länder einzumischen. Unsere Bürger leben in diesen Ländern. Und wir haben Wahlkampf für das wichtigste Referendum in der Geschichte der Republik gemacht. Einige europäische Länder, darunter Deutschland, haben in unserem Referendum Partei ergriffen. Sie stoppten uns, während sie Politiker ermutigten, die sich für ein «Nein» einsetzten. Das ist in keiner demokratischen Gesellschaft akzeptabel.

dpa: Die Bundesregierung hat im Juni eine Bestimmung erlassen, nach der Auftritte von ausländischen Regierungsvertretern aus Nicht-EU-Staaten vor Landsleuten vorab genehmigt werden müssen und Wahlkampfauftritte solcher Regierungsvertreter grundsätzlich verboten sind. Wird Präsident Erdogan noch zu Türken in Deutschland sprechen, wie er es in der Vergangenheit gemacht hat?

Mevlüt Cavusoglu: Ich weiß es nicht. Das müssen Sie den Präsidenten fragen. Aber das ist sehr undemokratisch.

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Treffen mit Sigmar Gabriel in Goslar

dpa: Wann steht Ihre nächste Reise nach Deutschland an?

**Mevlüt Cavusoglu: **Ich werde Gabriel im Januar in seiner Heimatstadt Goslar besuchen. Er hat mich eingeladen. Wir arbeiten noch an einem Termin, aber es wird bald sein.

Die Türkei will weiter in die EU

dpa: Gabriel hat kürzlich in einem Interview der Funke-Mediengruppe vorgeschlagen, eine mögliche Brexit-Vereinbarung könnte ein Vorbild für eine Vereinbarung der EU mit der Türkei statt einer Mitgliedschaft sein. Wäre das für die Türkei akzeptabel?

**Mevlüt Cavusoglu: **Wir haben Verhandlungen für eine Vollmitgliedschaft begonnen. Wenn die EU entscheidet, dass sie die Türkei nicht aufnimmt, dann ist das Sache der EU. Aber ich sehe viele Länder, die immer noch für eine EU-Mitgliedschaft der Türkei sind. Es gibt nur wenige Länder wie Deutschland, Österreich und neuerdings Dänemark, die gegen unsere Mitgliedschaft sind.

dpa: Als Gabriel sich im April für eine Fortsetzung der Beitrittsgespräche einsetzte, warnte er davor, Europa könne kein Interesse darin haben, dass die Türkei in Richtung Russland geschoben werde. Könnte eine Allianz mit Russland oder möglicherweise anderen Staaten für die Türkei eine Alternative zur EU sein?

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Mevlüt Cavusoglu: Die Türkei betrachtet kein Land und keine Institution als Alternative. Also ist Russland keine Alternative zum Westen.

Demokratie in der Türkei in Gefahr?

dpa: EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat im September gesagt, dass er in absehbarer Zeit keine Mitgliedschaft sieht, weil die Türkei sich entferne von Rechtsstaatlichkeit. Die Opposition warnt vor einer Diktatur. Ist die Demokratie in der Türkei in Gefahr?

Mevlüt Cavusoglu: Überhaupt nicht. Demokratie ist so wichtig für das türkische Volk. In den vergangenen 15 Jahren haben wir gewaltige Erfolge gehabt und Fortschritte gemacht. Ist bei uns alles hundert Prozent in Ordnung? Nein. Der gescheiterte Putsch und der Kampf gegen diese Fetö-Organisation haben das Bild der Türkei beschädigt. Ja, wir haben den Ausnahmezustand, den wir nach dem Putsch ausrufen mussten. Aber er zielt nur auf Terrororganisationen ab, er beschränkt nicht die Rechte und Freiheiten Einzelner. Sie können die Türkei nicht wegen des Ausnahmezustands als Diktatur bezeichnen. Die Türkei hält demokratische und faire Wahlen ab, besser als viele andere europäische Länder.

Wir durchlaufen die schwierigsten Jahre der Republik. Wir mussten Maßnahmen ergreifen, um diese Bedrohung zu beseitigen. Wenn die Dinge wieder normal sind, werden wir den Ausnahmezustand aufheben. Natürlich werden wir zu Reformen zurückkehren.

Wenn Juncker Präsident Erdogan sieht, nennt er ihn seinen besten Freund. Wenn wir uns treffen, ist alles gut. Ich würde gerne fragen, zu welcher Tageszeit er diese Aussage getroffen hat, und aus welchem Grund. Juncker ist auch ein persönlicher Freund von mir, aber er ändert seine Meinung sogar am selben Tag.

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ZUR PERSON: Mevlüt Cavusoglu (49) ist seit August 2014 Außenminister der Türkei. Er ist ein Vertrauter von Präsident Erdogan und gehört wie dieser zu den Gründungsmitgliedern der AKP. Cavusoglu hat enge Verbindungen zu Europa: Von 2013 bis 2014 war er EU-Minister und Chefunterhändler des Beitrittskandidaten. Zwischen 2010 und 2012 war Cavusoglu zudem der erste türkische Abgeordnete, der zum Präsidenten der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE) gewählt wurde. 2014 wurde er zum PACE-Ehrenpräsidenten ernannt. Cavusoglu stammt aus dem auch bei deutschen Touristen beliebten südtürkischen Küstenort Alanya. Er ist verheiratet und hat ein Kind.

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