Die EU überaltert: Chancen für die Seniorenwirtschaft

Mit Unterstützung von The European Commission
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Von Efi KoutsokostaFanny Gauret
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In Zukunft werden ältere Arbeitnehmer immer wichtiger werden. Über den Europäischen Sozialfonds integriert die EU sie in den Arbeitsmarkt.

Mit niedrigen Geburtenraten und einer schnell alternden Bevölkerung steht Europa vor einer demografischen Krise. Welche Chancen bietet die Überalterung? Das ist das Thema dieser Real Economy-Reportage.

Überalterung ist ein demografisches Phänomen, das durch einen Rückgang der Fruchtbarkeits- und Sterblichkeitsrate sowie eine höhere Lebenserwartung der europäischen Bevölkerung bedingt ist. Dieser Wandel wird wahrscheinlich erhebliche Auswirkungen auf Gesellschaft und Wirtschaft haben. Am Beispiel Zypern zeigen wir, wie die EU ältere Menschen in den Arbeitsmarkt integriert. Dazu ein Gespräch mit dem Wirtschaftsnobelpreisträger Christopher Pissarides.

Zahlen & Fakten

Europas Bevölkerung überaltert: Bis 2030 wird in den meisten EU-Ländern die Zahl der über 50-jährigen Arbeitnehmer auf 55 Prozent der gesamten Erwerbsbevölkerung ansteigen.

Laut Prognosen der Europäischen Kommission werden die Ausgaben für die Gesundheitsfürsorge für ältere Menschen sowie die Renten (derzeit 25 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in der EU) bis 2040 um 2,3 Prozentpunkte steigen.

Die EU-Länder sind unterschiedlich von den demografischen Herausforderungen betroffen: Portugal, Griechenland, Italien und Spanien gehören zu den zehn Ländern mit der niedrigsten Fruchtbarkeitsrate weltweit.

Die Unsicherheit über schlechte Berufsaussichten, niedrige Lohnerwartungen und ein unflexibler Arbeitsmarkt führen dazu, dass Frauen weniger Kinder und sie später im Leben bekommen.

Über 50-Jährige in Arbeit zu bringen, hat jedoch positive Auswirkungen auf die Wirtschaft und kann neue Märkte schaffen oder die sogenannte Silberwirtschaft ausweiten.

Bis 2025 wird die sogenannte "Seniorenwirtschaft (silver economy)" - die Ausgaben der über 50-Jährigen - 6,4 Billionen Euro erreichen und fast 40 Prozent der Arbeitsplätze ausmachen.

Europäischer Sozialfonds: In Menschen investieren

Der Europäische Sozialfonds ist Europas wichtigstes Instrument für die Förderung von Beschäftigung und sozialer Eingliederung. Er hilft den Menschen, einen (besseren) Arbeitsplatz zu finden und bessere und faire Chancen für alle zu schaffen. Die stellvertretende Generaldirektorin der Generaldirektion Beschäftigung der EU-Kommission Andriana Sukova erklärt:

"Wir leben in einer Situation mit vielen Herausforderungen, die mit der technologischen Entwicklung und der Alterung der Bevölkerung im Allgemeinen und der Arbeitskräfte im Besonderen zusammenhängen. Wir müssen also handeln. Wir müssen Mittel dafür verwenden, den Menschen zu helfen, neue Arbeitsmöglichkeiten zu finden und bereit für neue Arbeitsbeziehungen zu sein."

Wie Zypern ältere Arbeitnehmer in den Arbeitsmarkt integriert

Nach der Finanzkrise 2012 hat Zypern wieder ein positives Wachstum erreicht. Allerdings bleiben viele Arbeitnehmer arbeitslos - vor allem die über 50-Jährigen.

"Der Europäische Sozialfonds finanziert unter anderem Projekte, die älteren Arbeitnehmern hilft, Arbeit zu finden und zu behalten", so euronews-Reporterin Fanny Gauret. "Das Programm "Aid Scheme" beispielsweise bietet zypriotischen Arbeitgebern Anreize, über 50 Jahre alte Menschen in Vollzeit einzustellen - ein Teil des Gehalts wird übernommen. In Nikosia hat Paolo Patitucci davon profitiert."

Paolo Patitucci verlor seine Arbeit bei einer Fluggesellschaft mit 60 Jahren aufgrund eines Sozialplans. Er fand eine neue Arbeit in einem Transportunternehmen:

"In meinem Fall wurde dem Arbeitgeber das "Aid Scheme"-Programm von der Regierung angeboten. So habe ich wieder eine Arbeit gefunden. Mein alter Arbeitgeber hat viele meiner ehemaligen Kollegen entlassen. Viele hatten große Schwierigkeiten, einen neuen Job zu finden. Das Programm war sehr hilfreich für sie", erzählt der 66-Jährige.

In den vergangenen drei Jahren haben etwa 1200 Personen über 50 Jahren dank des Programms eine neue Arbeit gefunden. Aber nicht allen kann auf diese Weise geholfen werden: Elena Charalambous Valianti ist arbeitslos. Sie hat 26 Jahre Berufserfahrung als Buchhalterin. Sie will sich selbständig machen, weil sie keine guten Jobangebote bekam:

"Es ist nicht erst ab 50 Jahren schwierig, einen neuen Job zu finden, das beginnt schon mit über 40. Die Arbeitgeber wissen, dass man Erfahrung hat und dementsprechend teuer ist. Sie ziehen es vor, jüngere Leute einzustellen, die billiger sind", so die Buchhalterin.

Europa muss sich in Zukunft immer mehr um ältere Arbeitnehmer kümmern: Das Durchschnittsalter der arbeitenden Bevölkerung wird um fast vier Jahre steigen und 2050 bei fast 47 Jahren liegen. Für Länder wie Zypern, aber auch in Malta, Polen und der Slowakei dürfte es sogar um bis zu 8 Jahre steigen.

Andreas Matsas, Generalsekretär des zypriotischen Arbeiterverbandes: "Menschen über 50 sind normalerweise nicht die Zielgruppe der meisten Arbeitgeber. Arbeitnehmer können ihre Hauptqualifikationen nicht ändern, deshalb liegt unser Schwerpunkt auf Ausbildung und Umschulung, um diesen Menschen zu helfen, wieder eine Arbeit zu finden."

Wie wirkt sich der demografische Wandel auf die Wirtschaft aus?

An der London School of Economics trifft die euronews-Reporterin Nobelpreisträger Christopher Pissarides. Er erklärt die Auswirkungen der neuen demografischen Realität auf die Wirtschaft:

Christopher Pissarides:"Die demografischen Ungleichgewichte sind nicht die Ursache, sondern das Ergebnis grundlegender Kräfte, die diese unterschiedliche Entwicklungseinstellung zum Leben im Allgemeinen in Europa hervorrufen und das, was wir heute in den Statistiken sehen. Wenn man sich beispielsweise verschiedene Studien ansieht, inwieweit europäische Länder sich mit neuen Technologien beschäftigen, so klafft eine große Lücke zwischen dem Norden und dem Süden. Skandinavien und Deutschland sind mehr als bereit, jede Art von neuer Technologie zu übernehmen. Dort wird viel Forschung und Entwicklung betrieben, eine Infrastruktur geschaffen. Schaut man sich die südlichen Länder an, findet man das eine oder andere. Aber höchstwahrscheinlich haben sie noch nichts getan. In den kommenden 10 bis 20 Jahren wird die Divergenz weiter zunehmen."

Euronews:"Aber wie wirkt sich das in der Praxis auf die öffentlichen Finanzen aus?"

Christopher Pissarides:"Es besteht kein Zweifel, dass das Gesundheitswesen als Wirtschaftssektor mehr Ausgaben und mehr Arbeitsplätze anziehen wird. Deshalb müssen wir bei der Planung sehr sorgfältig sein, sowohl in Bezug auf den privaten als auch auf den öffentlichen Sektor. Das Rentensystem hängt vollständig von der Politik ab. In der Vergangenheit wurden die Renten in vielen Ländern ohne den Blick in die Zukunft geplant. Dabei vergaß man, dass sich diese Operation über vierzig Jahre erstreckt - wenn jemand in den Arbeitsmarkt eintritt und einen Rentenplan abschließt. Wir müssen also die Art und Weise überdenken, wie wir die Arbeit über das Rentenalter hinaus behandeln, in das man normalerweise im sechsten Lebensjahrzehnt eintritt, und wie wir Arbeit von der durchschnittlichen gesunden Lebenserwartung abhängig machen."

Euronews:"Wie ist Ihr Bild von Europa, Ihre Vorhersage, was die arbeitende Bevölkerung und die Art der Arbeitsplätze betrifft?"

Christopher Pissarides:"Wir müssen ein Auge auf die Technologie haben und sicherstellen, dass wir die Infrastruktur haben, um digitale Technologien in ganz Europa anzuwenden. Wir sollten dieses Thema nicht einfach den einzelnen Ländern überlassen. Denn wir das tun, werden einige Länder, vor allem die fortschrittlichsten, noch stärker wachsen. Wir müssen unsere Rentensysteme ändern und sie auf kapitalgedeckte Renten umstellen. Wir müssen uns um die , übervölkerten Städte, unsere Umwelt und die Verkehrsbelastung kümmern. Und wir müssen angesichts von Entwicklungen, die die Einheit und den Zusammenhalt der Europäischen Union brechen können, gemeinsam handeln. Ich habe zwar Technologie als einen Grund erwähnt, aber nicht die Einwanderung. Immigration ist ein großes Problem, das wir unter den Teppich kehren, weil wir im Grunde nicht wissen, was wir tun sollen. Aber früher oder später werden wir uns diesem Problem stellen müssen."

Cutter • Sebastien Leroy

Weitere Quellen • Produktion: Fanny Gauret, Damien Girier; Kamera: Christophe Obert, Pierre Holland, Marc Sarrado Motion Design: NEWIC

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