Angolas Präsident João Lourenço: Beziehungen zu Europa auf Augenhöhe

Angolas Präsident João Lourenço: Beziehungen zu Europa auf Augenhöhe
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Von Nara MadeiraJoão Peseiro Monteiro & Bruno Lapierre
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Angolas Präsident spricht über die Vision eines afrikanischen Landes, das ein wichtiger Ölproduzent und ein potenzieller Erdgaslieferant für Europa ist.

Der Ukrainekrieg hat Auswirkungen, die über den europäischen Kontinent hinausgehen. In Angola haben wir mit Präsident João Lourenço über die Vision eines afrikanischen Landes gesprochen, das ein wichtiger Ölproduzent und ein potenzieller Erdgaslieferant für Europa ist. Das Interview wurde am 1. März in Luanda geführt, vor dem Hintergrund des Jahrestag des Beginns des Krieges in der Ukraine und nach dem Besuch von zwei europäischen Staatsoberhäuptern - Felipe VI. und Emmanuel Macron - in Luanda. Angola ist der zweitgrößte Erdölproduzent in Afrika, Total der größte private Investor. Zudem ist Angola der zweitgrößte Diamantenproduzent in Afrika und unterhält die zweitgrößte Armee in Subsahara-Afrika.

Euronews-Reporterin Nara Madeira: Herr Präsident, zunächst einmal vielen Dank, dass Sie uns dieses Interview geben. Zum Krieg in der Ukraine: Bei den meisten Resolutionen der UN-Generalversammlung gegen Russland hat sich Angola der Stimme enthalten, warum?

João Lourenço, Präsident von Angola: Es gab drei Resolutionen, von denen Angola sich bei zwei enthalten hat. Enthaltung bedeutet nicht Missbilligung. Stimmenthaltung bedeutet Enthaltung. Sie sollte als solche interpretiert werden. Bei der zweiten Resolution stimmte Angola dafür, weil die Resolution sehr konkret war. Sie zielte vor allem darauf ab, die Annexion der vier Donbass-Regionen zu verurteilen. Angola verstand, dass die Aggression an sich schon schlimm, schon ernst war, aber schlimmer als die Aggression war die Aneignung eines fremden Territoriums, eines Nachbarlandes, eines Mitglieds der Vereinten Nationen. Deswegen haben wir für die vorgeschlagene Resolution gestimmt. Bei der jüngsten Resolution hat sich Angola der Stimme enthalten. Zuvor haben wir jedoch versucht, die Rücknahme oder die Abschwächung eines Absatzes auszuhandeln. Ich beziehe mich konkret auf den operativen Absatz, wie sie ihn nennen, oder P9, in dem es darum ging, den Angreifer vor einen internationalen Strafgerichtshof zu bringen. Das ist zwar nicht unmöglich, aber bei Verhandlungen muss man sich immer eine Tür offen lassen. Und wir glauben, dass die Priorität im Moment darin besteht, Russland an den Verhandlungstisch zu bringen. Wir müssen alles in unserer Macht Stehende tun, um beide Parteien, vor allem aber Russland, an den Verhandlungstisch zu bringen, um einen dauerhaften Waffenstillstand zu erreichen und den Frieden nicht nur mit der Ukraine, sondern auch mit der NATO auszuhandeln.

Auswirkungen des Ukrainekriegs auf Afrika

Euronews: Welche Auswirkungen hat dieser Krieg in Afrika?

Joao Lourenco: Afrika ist keine isolierte Insel auf der Welt. Wir leben in einer globalisierten Welt mit einer großen gegenseitigen Abhängigkeit zwischen den Nationen. Die Wirtschaftskrise, die Energiekrise und die Sicherheitskrise, die dieser Krieg in der Ukraine ausgelöst hat, betrifft ausnahmslos alle Länder der Welt, und den afrikanischen Kontinent vielleicht noch mehr, weil wir anfälliger sind.

Euronews: Sie engagieren sich dafür, zur Befriedung des afrikanischen Kontinents beizutragen. Im Fall der Zentralafrikanischen Republik haben Sie sich für die Aufhebung des Waffenembargos gegen die Regierung eingesetzt, damit diese sich selbst verteidigen kann. Ist das die einzige Lösung für den Frieden?

João Lourenço: Es ist sicherlich nicht die einzige. Es ist wichtig, dass das Land den Fahrplan von Luanda erfüllt. Man hat damit begonnen, aber der Prozess ist noch nicht abgeschlossen. Es ist daher notwendig, mit allen im Land lebenden Kräften zu verhandeln, insbesondere mit der Opposition, zumindest mit der Opposition, die sich auf zentralafrikanischem Gebiet befindet. Und man muss anderen politischen Akteuren die Möglichkeit geben, sich am politischen Leben des Landes zu beteiligen.

Euronews: Im Osten der Demokratischen Republik Kongo herrscht eine schwere humanitäre Krise, die auf diesen Krieg zurückzuführen ist. Welche Initiativen haben Sie auf dem Gipfel der Staats- und Regierungschefs (Afrikanische Union) vorgeschlagen, um diese Krise zu lösen?

João Lourenço: Die Vorschläge kamen nicht nur aus Angola. Sie stammen von verschiedenen Staatschefs. Die Schlussfolgerung lautete, dass zwei Schritte unternommen werden müssen, insbesondere um jeden Preis einen endgültigen Waffenstillstand anzustreben, da dieser immer wieder gebrochen wurde, derjenige, der aus dem Gipfel von Luanda hervorging, wurde immer wieder gebrochen. Es muss ein neuer Waffenstillstand erreicht werden. Unmittelbar nach diesem Waffenstillstand muss der nächste Schritt unternommen werden, nämlich die Bekämpfung der M23-Rebellen. Der Gipfel kam zu dem Schluss, dass dazu der Einsatz regionaler Truppen erforderlich ist, die sich aus folgenden Ländern zusammensetzen: Kenia, Burundi, Südsudan, Uganda und Tansania. Nur eines dieser Länder hat bereits Truppen vor Ort. Nur Kenia kann sich die Kosten für die Aufrechterhaltung seiner Truppen vor Ort leisten. Die anderen vier Länder haben finanzielle Schwierigkeiten, diesen Einsatz zu finanzieren. Der Gipfel der Afrikanischen Union, insbesondere sein Ausschuss für Frieden und Sicherheit, wird auf den Friedens- und Sicherheitsfonds des Kontinents zurückgreifen, um diese Kosten zu decken. 

Euronews: Wie verhandeln Sie mit diesen bewaffneten Gruppen?

João Lourenço: Auf dem Gipfel von Addis Abeba wurde Angola gebeten, direkten Kontakt mit der M23-Führung aufzunehmen, um sie davon zu überzeugen, den Waffenstillstand zu akzeptieren und ihre Streitkräfte in einem Gebiet zu belassen. Wir haben uns sofort daran gemacht, diesen Auftrag zu erfüllen. Angola hat bereits Kontakt zur Führungsspitze der M23 aufgenommen.

Euronews: Der aktuelle geopolitische Kontext zwingt uns dazu, Prioritäten zu überdenken. Europa sucht nach Möglichkeiten, russisches Gas zu ersetzen. Ist Angola eine Alternative?

João Lourenço: Angola ist eine Alternative. Angola fördert derzeit mehr Öl als Gas, obwohl wir Gas haben. Aber wir haben ein neues Konsortium für die Gasförderung gegründet. Mehrere multinationale Unternehmen werden im Rahmen eines Konsortiums mit der Erkundung weiterer Gasvorkommen in Angola beginnen, es gibt bereits identifizierte Reserven. Die Gasförderung in Angola war aufgrund mangelnder Rechtsvorschriften nicht sehr entwickelt. Angola hatte keine spezifischen Rechtsvorschriften für Gas, was multinationale Unternehmen behinderte. Aber diese Situation ist seit 2017 vorbei, und wir glauben, dass die Produktion von nicht assoziiertem Erdgas in Angola in den kommenden Jahren einen Aufschwung erleben wird. Dann kann Europa auf Angola als wichtigen Lieferanten nicht nur von Gas, sondern auch von grünem Wasserstoff zählen. Wir knüpfen bereits Kontakte mit einigen europäischen Ländern für die Produktion von grünem Wasserstoff.

Euronews: Angola ist immer noch fast ausschließlich vom Erdöl abhängig. Ihre Regierung will die Wirtschaft breiter aufstellen. Wie ist der Stand?

João Lourenço: Wir sind auf einem guten Weg. Der Nicht-Öl-Sektor unserer Wirtschaft verzeichnet ein zufriedenstellendes Wachstum. Wir werden diesen Weg weitergehen. Aber es wird einige Zeit dauern, bis die Öleinnahmen in den Hintergrund rücken. Heute sind sie noch am wichtigsten, aber der Trend kehrt sich um. Es wird ein Wendepunkt kommen, an dem sich das nationale BIP hauptsächlich aus Einnahmen aus dem Nicht-Öl-Sektor zusammensetzt.

Euronews: Sie schlagen vor, Tourismus, Landwirtschaft und Fischerei zu entwickeln. In Bezug auf den Tourismus gibt es die sogenannte "historische Diaspora". Man schätzt, dass 12 Millionen US-Bürger angolanische Vorfahren haben. Wie kann diese Verbindung gestärkt werden? 

João Lourenço: Wir haben begonnen, Kontakte mit Vertretern der afrikanischen Diaspora in den USA zu knüpfen. Es gab bereits einige Besuche in Angola, ich meine in Angola und nicht nur in Luanda. Sie sind nicht auf Luanda beschränkt. Sie sind sehr enthusiastisch. Ich spreche nicht von einer Rückkehr, sondern von der Wiederherstellung einer Verbindung, die im Laufe der Jahrhunderte eingeschlafen war. Von unserer Seite gibt es Interesse, und wir werden alles tun, damit Afro-Nachkommen diese Verbindung mit uns, mit dem Kontinent und insbesondere mit Angola pflegen.

Angola bietet ein gutes Geschäftsumfeld

Euronews: Ist es heute für einen Unternehmer, einen Investor, einfacher, in Angola Geschäfte zu machen?

João Lourenço: Ja, natürlich ist es viel einfacher. Und das ist nicht meine Meinung, sondern das sagen die Investoren. In den fünf Jahren, in denen ich an der Spitze des Landes stehe, war eines unserer Anliegen, ein Geschäftsumfeld zu schaffen, das sich von dem unterscheidet, das wir vorgefunden haben. Ein besseres Unternehmensumfeld. Eines der Merkmale dieses besseren Unternehmensumfelds ist zweifelsohne die Bekämpfung der Korruption. Ich kann nicht garantieren, dass es in Angola keine Korruption mehr gibt. Überall auf der Welt gibt es Korruption. Ich kann aber garantieren, dass Korruption in Angola heute nicht mehr ungestraft bleibt. Wenn Behörden von diesen Praktiken erfahren, egal von wem, wird der Fall nicht ungestraft bleiben.

Stärkung der Beziehungen zwischen Afrika und Europa

Euronews: Auf dem jüngsten Gipfeltreffen der Afrikanischen Union trafen Sie mit den portugiesischen Ministerpräsidenten. Laut António Costa war eines der besprochenen Themen die Stärkung der Beziehungen zwischen Europa und Afrika. Was kann Angola auf dieser Ebene tun? 

João Lourenço: Was kann Angola auf dieser Ebene tun? Den Europäern sagen, dass wir echte Kooperationsbeziehungen wollen, was manchmal nicht der Fall ist. Dass wir einen gewissen Paternalismus bekämpfen wollen, der manchmal besteht. Und wir haben Europa auch etwas zu bieten, nicht nur Europa kann unserem Kontinent Kapital und Know-how bieten. Wir haben im Gegenzug auch etwas sehr Wichtiges zu geben. Der Nutzen der Zusammenarbeit zwischen unseren beiden Kontinenten beruht also auf Gegenseitigkeit.

Euronews: Was können die Europäische Union und die Mitgliedstaaten tun, um diese Beziehungen zu fördern? 

João Lourenço: Was die Europäische Union tun kann und in gewisser Weise auch schon tut, ist, mit uns auf Augenhöhe über das Interesse an einer Nord-Süd-Zusammenarbeit zu diskutieren. Es geht darum, Spielregeln zu ändern. Es ist klar, dass unser Kontinent heute entkolonialisiert ist, aber dennoch sind die internationalen Beziehungen auch Jahrzehnte nach der Kolonialisierung immer noch nicht fair. Es gibt internationale Regeln für den Handel, für den Handel mit Rohstoffen, die wir neu verhandeln müssen. Nicht umsonst wollen wir, will Afrika einen Sitz in der G20, will es einen Sitz, einen oder mehrere, als ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat, eben um diese Beziehungen zu korrigieren, die wir bis heute in gewisser Weise als ungerecht empfinden.

Euronews: Laut dem US-Außenminister Antony Blinken ist Angola ein strategischer Partner. Für Sie, in welchen Bereichen?

João Lourenço: In grundlegenden Lebensbereichen von Ländern, nämlich im Bereich der Sicherheit, ich meine die internationale Sicherheit. Da hat Angola ein Wort mitzureden. Und im wirtschaftlichen Bereich, bei der Produktion von Nahrungsmitteln, um die Welt zu ernähren. Wir haben genug Land und genug Wasser. Uns fehlen das Kapital und das Know-how, um nicht nur Angola, sondern die ganze Welt mit Nahrungsmitteln zu versorgen.

Euronews: Die USA werden 2 Milliarden Dollar in ein Photovoltaiksystem investieren. Eines der Ziele Angolas ist die Entwicklung erneuerbarer Energien. Sie sind auf dem richtigen Weg.

João Lourenço: Wir sind nicht mehr weit von dem Ziel entfernt, das wir uns gesetzt haben. Derzeit stammen 64 % der in Angola erzeugten Energie nicht mehr aus umweltschädlichen Quellen, 64 % sind hydroelektrische Energie, im Wesentlichen hydroelektrische Energie, aber allmählich auch photovoltaische Energie. Im vergangenen Jahr haben wir zwei große Photovoltaikanlagen in der Provinz Benguela eingeweiht. Wir haben ein Projekt für den Osten des Landes geplant, und es gibt dieses große Projekt mit einem amerikanischen Unternehmen, das Energie für vier Provinzen im Süden Angolas produzieren und liefern wird. Unser Ziel ist es, bis 2026 von 64 auf etwa 70 % der Energie aus sauberen Quellen zu kommen.

Euronews: Haben Sie neben all diesen wirtschaftlichen Veränderungen, die bereits im Gange sind, auch die Schaffung von Gemeinden für die Zeit nach den Wahlen in Aussicht gestellt?

João Lourenço: Das ist keine Frage eines Versprechens.

Euronews: Es war ein Wahlversprechen.

João Lourenço: Es ist eine Entscheidung, kein Wahlversprechen. Wir haben die Frage der Gemeinden gleich nach Beginn meines ersten Mandats gestellt. Ich wurde 2017 Präsident der Republik Angola und wenn ich mich nicht irre, war es 2018 oder 2019, ich bin mir nicht ganz sicher, dass wir in einer Sitzung des Rates der Republik und auf unsere Initiative hin, meine Initiative, über die Möglichkeit der Organisation von Kommunalwahlen gesprochen haben. Das ist alles ein Prozess. Es hat noch nie Kommunalwahlen in Angola gegeben. Das wird das erste Mal sein. Ich weiß nicht, wann sie stattfinden, aber sie müssen unbedingt stattfinden. Für Kommunalwahlen muss es eine gesetzliche Grundlage geben. Wir leben in einem demokratischen Rechtsstaat. Alles muss eine Rechtsgrundlage haben. Fachleute haben eine Reihe von mehr als zehn kommunalen Gesetzen, von kommunaler Macht, definiert, und die meisten von ihnen sind bereits von der Nationalversammlung angenommen worden, mit Ausnahme, glaube ich, von einem grundlegenden. Es fehlen mehrere, aber eines ist grundlegend, nämlich die Festlegung des Zeitpunkts für die Durchführung dieser Wahlen. Mit anderen Worten: Es gibt zwei unterschiedliche Positionen. Es gibt diejenigen, die der Meinung sind, dass das Land zum ersten Mal Kommunalwahlen in allen Gemeinden des Landes abhalten sollte. Das ist die eine Position. Und es gibt diejenigen, die vorsichtiger sind, ich würde nicht sagen konservativer, aber vorsichtiger, die der Meinung sind, dass es ein Schuss ins Blaue wäre, damit zu beginnen, sie in allen Gemeinden des Landes abzuhalten, weil es eine neue Erfahrung ist. Sie sind der Meinung, dass das in Phasen geschehen könnte. Wenn dieser Streit zwischen den politischen Kräften überwunden ist, wird das Gesetz verabschiedet, und dann wird der Staatschef in der Lage sein, die Voraussetzungen für die Durchführung von Kommunalwahlen zu schaffen.

Cutter • Christophe Pitiot

Weitere Quellen • Yoann Nurier (Production Assistant)

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