Afrika und Europa: Michel und Sall erkennen „grundlegenden Paradigmenwechsel“

Afrika und Europa: Michel und Sall erkennen „grundlegenden Paradigmenwechsel“
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Wie steht es um das Verhältnis und die Zusammenarbeit der beiden Kontinente? Wie ist das mit den Covid-Impfstoffen? Wie wird die Lage in der Sahelzone und der Einsatz europäischer Truppen eingeschätzt?

Impfstoffe, Geldeinsatz, Klima, Sicherheit, Bildung: Die Europäische Union und die Afrikanische Union wollen ihre Partnerschaft erneuern, um mit Blickrichtung 2030 eine gemeinsame Vision festzulegen. Das jedenfalls war eine der großen Zielsetzungen des Gipfeltreffens in Brüssel.

africanews-Reporter Nathalie Wakam und euronews-Reporter Gregoire Lory sprachen mit Charles Michel, Präsident des Europäischen Rates, und mit Macky Sall, Präsident des Senegal und der Afrikanischen Union.

Oft wurde uns nicht zugehört, sondern es wurden uns nur Anleitungen und Lösungen angeboten. Ich stelle jedoch einen grundlegenden Paradigmenwechsel in den Beziehungen fest
Macky Sall
Präsident des Senegal und der Afrikanischen Union

africanews & euronews: Charles Michel, das wichtigste Ziel dieses Gipfels war, die Karten neu zu mischen. Sind Sie mit dem, was in diesen zwei Tagen gemacht wurde, vollkommen zufrieden?

Charles Michel, Präsident des Europäischen Rates: Ich bin sehr zufrieden, denn ich bin überzeugt, dass die Zusammenarbeit zwischen Afrika und Europa neu begründet und erneuert wurde, und dass ein Paradigmenwechsel stattgefunden hat. Bereits die Vorbereitung des Gipfels war Ausdruck dieses gemeinsamen Willens. Wie können wir gemeinsam die Ziele, die Herausforderungen erkennen? Und wie können wir Lösungen finden, indem wir sachbezogener, vollziehender und handfester vorgehen? Es geht um die Grundsätze der gegenseitigen Achtung, des gegenseitigen Interesses und der regelmäßigen Überprüfung, um sicherzustellen, dass wir unsere Verpflichtungen erfüllen und verfeinern können.

africanews & euronews: Sie sind also zufrieden?

Michel: Ich bin zufrieden, weil ich diese Atmosphäre gespürt habe: Da waren afrikanische und europäische Führungskräfte, die entschlossen waren - und bereit, sich zuzuhören. Das ist wichtig, weil das der Schlüssel zum Vertrauen ist: Besser zu verstehen, welches die Ansichten der anderen sind. Auch die Punkte zu verstehen, die auf den ersten Blick nicht dieselben sind. Zu sehen, welche Brücken man bauen kann, wenn Schwierigkeiten bestehen. Denn die kann es geben. Man muss erkennen, welche Möglichkeiten es gibt, diese Hürden gescheit zu überwinden.

africanews & euronews: Macky Sall, glauben Sie nach dem Gipfel, dass es möglich ist, diese neue Zusammenarbeit aufzubauen?

Macky Sall, Präsident des Senegal und der Afrikanischen Union: Unbedingt. Ergänzend zu dem, was Charles Michel sagte, möchte ich ihm zunächst für die gute Ausrichtung dieses Gipfels danken, aber auch für die Art und Weise, wie dieser Gipfel vorbereitet wurde. Das hat es uns ermöglicht, zu diesem Ergebnis zu gelangen, das der Ausgangspunkt für diese erneuerte, neu durchdachte Zusammenarbeit sein wird, die auf gegenseitiger Achtung, Solidarität und schließlich auf gegenseitigem Zuhören beruht. Oft wurde uns nicht zugehört, sondern es wurden uns nur Anleitungen und Lösungen angeboten. Ich stelle jedoch einen grundlegenden Paradigmenwechsel in den Beziehungen fest, die auf Freundschaft, Rücksichtnahme, gegenseitigem Zuhören und der Suche nach gemeinsamen Lösungen beruhen. Und als wir nach Brüssel kamen, gab es natürlich einige heikle Themen, über die wir noch nicht zu Ende verhandelt hatten: die Frage des Wandels in der Energiewirtschaft, des Klimawandels, die Fragen der Eigentumsrechte in Bezug auf Impfstoffe. Das sind schwierige Themen, die wir mehr oder weniger gut festlegen konnten. Die Arbeitsweise war eine wichtige Neuerung, die uns eine größere Wirksamkeit und schließlich überzeugende Ergebnisse geliefert hat. Jetzt bleibt noch die Umsetzung, zu der wir uns ebenfalls verpflichtet haben.

Die Covid-Kluft zwischen Afrika und Europa

Covid 19: Streitpunkt Impfpatente

africanews & euronews: Der Umgang mit Corona hat das Verhältnis von Afrikanischer und Europäischer Union auf die Probe gestellt. Es kam die Omikron-Variante, gleich danach wurden Entscheidungen getroffen. Es gibt die Frage der Freigabe von Impfstoff-Patenten. Offensichtlich sind Sie da nicht zufrieden. Ist das ein Misserfolg?

Aber Dosen zu erhalten, ist nicht ausreichend. Wir wollen diese Dosen in Afrika herstellen.
Macky Sall
Präsident des Senegal und der Afrikanischen Union

Sall: Nein, überhaupt nicht. Das ist kein Misserfolg. Wenn es zwei Standpunkte gibt, versucht man eine Übereinkunft zu finden - eine Lösung, die beide Seiten zufriedenstellt. Wir haben keine Beziehung, in der es nur ja und nein gibt. Um an den gewünschten Punkt zu gelangen - das heißt, dass mindestens 60 Prozent der Impfstoffe in Afrika hergestellt werden - gab es auch europäische Bemühungen. Zunächst die Impfstoff-Bereitstellung im Rahmen von Covax. Dadurch wurden bereits 150 Millionen Dosen geliefert. Und Europa will bis Sommer 2022 400 Millionen Dosen bereitstellen. Aber Dosen zu erhalten, ist nicht ausreichend. Wir wollen diese Dosen in Afrika herstellen. In diesem Rahmen gab es einen wichtigen Austausch, in dem sich Europa gemeinsam mit uns und mit der Weltgesundheitsorganisation bereiterklärt hat, die neue RNA-Impfstofftechnologie an sechs Standorte in sechs afrikanischen Ländern zu übergeben. Und in diesem Rahmen muss auch das Thema der Patente behandelt werden. Von den Patenten sagen einige, dass man sie freigeben muss. Es gibt den Standpunkt, dass man das Eigentumsrecht nicht in Frage stellen kann. Wir haben es mit einer Pandemie zu tun, Menschen sterben. Wir haben zwei Ausschüsse eingerichtet: der Europäischen Union und der Afrikanischen Union. Die Weltgesundheitsorganisation wird die Vorgänge begleiten, damit wir zu einer Übereinkunft kommen. Diese Übereinkunft ist zuvörderst die Weiterleitung der Technologie. Sobald wir die Technologie haben, ist es leichter, mit denjenigen zu sprechen, die das Patent haben. Vielleicht kann man die Bedingungen verbessern, die Kosten verringern, damit diejenigen, die die Technologie haben, sie auf dem afrikanischen Kontinent nutzen. Diese Debatte ist auf April, Mai verschoben. Ich meine nicht, dass das ein Misserfolg ist. Im Gegenteil! Es ist der gemeinsame Wille, zu einer Übereinkunft zu gelangen. Die wird gefunden werden, da bin ich mir sicher.

africanews & euronews: Warum will die EU nicht, dass Patente freigegeben werden? Befürchten Sie nicht, das Misstrauen Ihrer afrikanischen Partner zu verstärken?

Anstatt einen endlosen ideologischen Streit zu führen und anstatt zwei gegensätzliche Standpunkte zu haben, werden wir nicht warten, sondern die Ärmel hochkrempeln
Charles Michel
Präsident des Europäischen Rates

Michel: Wir sind überzeugt, dass wir dasselbe Ziel haben. Wir wollen, dass Impfstoffe auf dem afrikanischen Kontinent hergestellt werden können - und Arzneimittel insgesamt. Wir erachten das Eigentumsrecht als einen wichtigen Hebel, um Fortschritt und Forschung zu fördern. Wir sehen ein, dass wenn man Arzneimittel oder Impfstoffe herstellt, es wichtige Bestandteile gibt: Die Technologie, das Wissen und die Fähigkeit, das zu regulieren. Anstatt einen endlosen ideologischen Streit zu führen und anstatt zwei gegensätzliche Standpunkte zu haben, werden wir nicht warten, sondern die Ärmel hochkrempeln. Ich habe in Dakar das Pasteur-Institut besucht. Es geht darum, Vorhaben umzusetzen, bei denen wir die Privatwirtschaft dazu gebracht haben, Projekte zu entwickeln, in denen starker politischer Wille besteht. Das führte dazu, dass wir heute in der Lage sind, diese Technologie weiterzugeben. Wir werden zusammen an einem afrikanischen und europäischen Standpunkt arbeiten, den wir bei der Weltgesundheitsorganisation und bei der Welthandelsorganisation vertreten können. Dies ein Beispiel dafür, wie die Bündelung der politischen Kräfte Afrikas und Europas die Welt dazu bringen kann, eine Lösung zu finden. Wenn man von einer Pandemie betroffen ist, muss man ein Gleichgewicht für den Schutz geistigen Eigentums finden, um Fortschritt zu gewährleisten, aber auch darauf achten, keine Zeit zu verlieren und dafür zu sorgen, dass überall auf der Welt Zugang zu Impfstoffen besteht.

africanews & euronews: Die Europäische Union bietet Afrika 150 Milliarden Euro an. Genügt dieser Betrag, um dem Einfluss Chinas und Russland entgegenzuwirken? Und ist das die einzige Antwort, die möglich ist?

Michel: Ich möchte etwas verbessern. Der Wille der Europäischen Union besteht keinesfalls darin, dem Einfluss, den jemand hat, entgegenzuwirken. Es geht darum, ein gutes Vorhaben, eine gute Zusammenarbeit klug zu entwickeln. Warum? Weil wir einen aufrichtigen Willen haben, weil das unser gemeinsames Interesse ist. Wenn es Afrika in Sachen Stabilität, Entwicklung und Wohlstand gut geht, ist das gut für Europa. Und genauso: Wenn es Europa in Sachen Wohlstand und Stabilität gut geht, ist das gut für Afrika. Das ist die Aufrichtigkeit dieses Engagements. Jetzt zu diesem Betrag. Das ist ein Betrag ohnegleichen. Noch nie waren wir in der Lage, solche Geldmittel aufzubringen. Warum? Weil wir beschlossen haben, die öffentlichen Mittel gezielt zu lenken und gleichzeitig die privaten Gelder und die Privatwirtschaft besser in gezielter Weise einzusetzen. Wir werden uns um die sogenannte Hebelwirkung bemühen. Die Europäische Investitionsbank nimmt bei der Entwicklung der Zusammenarbeit mit unseren afrikanischen Partnern eine wichtige Rolle ein. Wenn ich mit afrikanischen Führungskräften zusammenarbeite, achte ich darauf, jedes Mal Fachleute der Europäischen Investitionsbank mitzunehmen, um gut über die Vordringlichkeit in den afrikanischen Ländern, was den Geldeinsatz betrifft, Bescheid zu wissen, insbesondere im Bereich Infrastruktur.

6. EU-Afrika-Gipfel: Digitalisierung hat für viele Priorität

africanews & euronews: Man weiß, dass Europa zögerlich ist, wenn es um die Finanzierung von Vorhaben geht, die in Verbindung mit fossilen Brennstoffen stehen. Sie befürworten das aber. Bedeutet das, dass Sie anderswo Geldmittel auftreiben werden?

Sall: Nein. Zunächst muss gesagt werden, dass wir am Ende dieses Gipfels in dieser grundlegenden Frage eine Übereinkunft mit Europa getroffen haben. Das liegt mir am Herzen, weil ich gegen Ungerechtigkeit bin. Was getan werden sollte, war Afrika gegenüber ungerecht. Afrika, das weniger als drei Prozent Kohlenstoffdioxid ausstößt und stark unter den Folgen des Klimawandels leidet, wird gesagt: ‚Nein, ihr streicht alle fossilen Brennstoffe‘. Das ist nicht machbar, das ist nicht gerecht. Aber Afrika bringt sich in den Kampf gegen den Klimawandel ein. Im Pariser Klimaabkommen haben sich die meisten afrikanischen Länder zu unterschiedlichen Energieformen bekannt. Wir fahren eine Politik der Anpassung, die im Gange ist. Mein Land zum Beispiel liegt bei 31 Prozent sauberer Energie, erneuerbarer Energie. Es gibt nicht viele Länder, die heute, während wir hier sprechen, auf diesem Niveau sind. Wir müssen 600 Millionen Menschen in Afrika, die noch keinen Strom haben, diesen verschaffen. Es herrscht Strommangel. Wir müssen auch die Industrie in Afrika entwickeln, um Arbeitsplätze und Wertschöpfung zu schaffen. Sind wir nur dazu da, Rohstoffe zu verkaufen und gefertigte Waren zu kaufen? Wir müssen den Kontinent industrialisieren. Wir werden das tun, indem wir eine kohlenstoffarme Handlungsweise einhalten, aber wir werden es trotzdem mit einer Energie tun, die für unsere Volkswirtschaften wettbewerbsfähig ist. Wir werden uns gleichzeitig anpassen und nachhaltige Projekte entwickeln, wie übrigens die Große Grüne Mauer in Afrika und alles, was mit sauberer Energie und erneuerbaren Energien zu tun hat.

Ich weiß, dass es insbesondere Europa und einige weitere fortschrittliche Volkswirtschaften sind, die die Rohstoffe übermäßig genutzt haben und die Ursache der Erderwärmung sind
Charles Michel
Präsident des Europäischen Rates

africanews & euronews: Vor Ort erkennt man, dass diese europäischen Richtlinien in Afrika vielleicht nicht anpassbar sind. Bedeutet das, dass die EU ihre Kriterien überdenken muss? Muss sie den Umfang der Klimaschutzbemühungen überdenken?

Michel: Wir wussten bereits, dass Macky Sall ein gewandter Fürsprecher ist, der seine Beweggründe sachlich und vernunftbetont darlegt. Das Vertrauen zwischen ihm und mir hat seit Monaten die Gelegenheit geboten, sich über dieses Thema auszutauschen. Ich weiß, dass es insbesondere Europa und einige weitere fortschrittliche Volkswirtschaften sind, die die Rohstoffe übermäßig genutzt haben und die Ursache der Erderwärmung sind. Es stimmt, dass es eine Ungerechtigkeit gibt oder geben könnte, wenn man davon ausgeht, dass man für den notwendigen Übergang nicht einsieht, dass es eine handlungsbezogene Berücksichtigung der Lage auf dem afrikanischen Kontinent gibt. Zu Beginn gab es auf europäischer Ebene nicht viel Begeisterung dafür, denn es besteht eher eine radikale Haltung, weil wir die Dringlichkeit des Klimaschutzes spüren. Es ist das Gespräch, das Zuhören, dieser Programmwechsel, der nicht nur in der Vorbereitung dieses Treffens viele Begegnungen ermöglicht hat. Es ist uns gelungen, uns auf einen Text zu einigen, der zeigt, dass es politischen Willen und Vertrauen gibt. Vertrauen entsteht durch Transparenz und gegenseitige Loyalität.

Mali fordert sofortigen Abzug der französischen Soldaten

africanews & euronews: Erlauben Sie mir, auf Sicherheitsfragen einzugehen. Frankreich hat einen geordneten Rückzug aus den Operationen Barkhane und Takuba verkündet. Sie sagten, Sie seien froh, dass das Engagement erneuert werde. Was werden wir in den nächsten Monaten in dieser Region genau erleben?

Es hat sich in dieser Debatte gezeigt, dass Europa Afrika nicht allein mit dem Terrorismus lassen will. Das ist eine gute Sache.
Macky Sall
Präsident des Senegal und der Afrikanischen Union

Sall: Zunächst einmal ist festzuhalten, dass wir vorgestern im Élysée-Palast - Charles Michel war anwesend - einen äußerst wichtigen Austausch zwischen den europäischen und den afrikanischen Staats- und Regierungschefs über die Frage der Sicherheit und über den Kampf gegen den Terrorismus hatten. Das ist auch eine offene Debatte. Die Dinge werden klar und deutlich gesagt, aber mit Achtung. Es hat sich in dieser Debatte gezeigt, dass Europa Afrika nicht allein mit dem Terrorismus lassen will. Das ist eine gute Sache. Wir würden uns wünschen, dass alle Teile der Welt so argumentieren, denn wenn alle so argumentieren würden, würde man die Menschen in Afrika nicht mit dem Terrorismus allein lassen. Wenn es um Terrorismus in Afghanistan oder Syrien ging, wurden weltweite Bündnisse aufgestellt, in Afghanistan wurden 20 Jahre lang Tausende Milliarden Dollar aufgebracht. Warum muss man uns sagen, wenn es um Afrika geht, dass wir uns selbst helfen sollen? Es gab einige Länder, Frankreich gehört dazu, die 2013 dem Anruf aus Mali folgten. Es wurde gehandelt, bevor die Vereinten Nationen eine Blauhelmmission aufstellten. Verschiedene unserer Länder schickten ihre Truppen kostenlos. Ich erinnere mich, dass meine Truppen von Dakar in den nördlichen Teil von Mali verlegt wurden und 2.300 Kilometer zurückgelegt haben, um Mali zu helfen, weil es eines unserer Nachbarländer getroffen hatte. Wir möchten, dass diese Solidarität weltweit herrscht. Es ist erfreulich, dass Europa diesen Willen und diese Solidarität mit Afrika erneuert hat. Deshalb hat Europa uns gesagt: Jetzt gibt es in Mali Schwierigkeiten, die Lage und die Bedingungen erlauben es nicht mehr, unseren Einsatz vor Ort aufrechtzuerhalten, aber wir werden uns neuaufstellen, um in der Sahelzone zu bleiben, uns dem Niger zuwenden, aber auch mit den Anrainerstaaten am Golf von Guinea zusammenarbeiten. Ich hoffe, dass sich die Dinge in Mali verbessern, damit sie nach Mali zurückkehren. Denn man kann den Terrorismus in der Sahelzone nicht bekämpfen, indem man Mali auslässt, das ist nicht möglich. Es ist ein riesiges Gebiet, das allein 1,2 Million Quadratkilometer umfasst und an sieben andere Länder grenzt: Algerien, Mauretanien, Niger, Burkina Faso, Elfenbeinküste, Guinea, Senegal. Das alles ist Mali. In einem solchen Gebiet kann man also nicht wirkungsvoll gegen den Terrorismus kämpfen, ohne dabei in Mali zu sein. Ich hoffe, dass wir diese Lage sehr schnell überwinden, damit wir den Kampf gegen den Terrorismus in der Sahelzone wieder wirksam führen können.

africanews & euronews: Stellt das Scheitern der französischen Operation Barkhane und des europäischen Einsatzes in Kouba diese Vorgehensweise und anderes europäisches Eingreifen in Frage?

Michel: Ich bestreite die Bewertung, die Sie vornehmen. Der Ausgangspunkt war die Gefahr eines vollständigen Zusammenbruchs Malis mit Auswirkungen auf das gesamte Gebiet und darüber hinaus. Weil souveräne Staaten zu diesem Zeitpunkt die Zusammenarbeit mit Frankreich und anderen europäischen Ländern als nützlich erachteten, wurde beschlossen, Unterstützung zu leisten, um zu versuchen, eine Katastrophe zu verhindern, die noch viel schlimmer gewesen wäre als die jetzige Lage. Wir berücksichtigen, wie sich die Lage in Mali entwickelt, die zu hoffentlich nur vorübergehenden Schwierigkeiten führte. Wir hoffen, dass wir so schnell wie möglich zu einer normalen Form der Zusammenarbeit mit dem Land zurückkehren können. Aber wir passen uns auch durch die genannte Neuaufstellung an. Wir passen uns auch im Gespräch mit den afrikanischen Ländern an, indem wir zum Beispiel die Accra-Initiative und die Bedeutung der Länder am Golf von Guinea berücksichtigen. Es saßen die europäischen und afrikanischen Länder am Tisch, und es war eine Gelegenheit für einen Austausch, eine gemeinsame Einschätzung der Lage. Auf der Grundlage dieser Einschätzung sehen wir, wie wir handeln können. Dabei versuchen wir als Europäer, die Mittel einzusetzen, die am sinnvollsten sind, und zwar auf der Grundlage der Einschätzungen, die von unseren afrikanischen Freunden erstellt werden.

Flüchtlinge und Einwanderung: Seit 2017 nichts passiert?

africanews & euronews: Charles Michel, vor fünf Jahren wurden in Abidjan Entscheidungen in Einwanderungsfragen getroffen. Der unerlaubten Einwanderung sollte ein Ende bereitet werden. Man sprach über eine verstärkte Zusammenarbeit mit Libyen. Aber man erkennt, dass es bis heute ständig Menschen gibt, die fortgehen, es gibt ständig Rettungsaktionen im Meer. Zwischen 2017 und heute scheint sich nichts geändert zu haben.

Michel: Die Frage der Einwanderung ist in Europa politisch delikat, wahrscheinlich in Afrika auch. Diese Gespräche waren wichtig. Ich erinnere mich, dass einige auf afrikanischer und auf europäischer Seite fürchteten, dass diese Debatte Anlass eines großen Streits sein würde: Afrika gegen Europa. Wir haben in der Vorbereitung einanderzuhören wollen und wollten das Thema differenziert betrachten. Wir verstehen, dass eine der ersten Herausforderungen für die Einwanderung die innerafrikanische ist, und dass es zunächst eine Debatte über die innerafrikanische Migration gibt. Wie kann man dieser Lage Rechnung tragen? Und wie sorgt man dafür, dass die afrikanische Jugend gute Zukunftsaussichten hat? Zweitens: Wie können wir gemeinsam die kriminellen Formen bekämpfen, die diese menschliche Notlage auf zynische Weise ausnutzen und missbrauchen? Hier haben wir gemeinsame Interessen, weil wir das gleiche Verständnis von der Würde der Menschen haben und folglich in Bezug darauf gemeinsam handeln wollen. Und dann müssen wir in diesem weltweiten Rahmen auch sehen, welche Möglichkeiten wir haben, um bei der Rückkehr und Rücknahme derjenigen, die nicht die Voraussetzungen erfüllen, zusammenzuarbeiten. Und ich möchte auch darauf hinweisen, dass wir, wenn wir bei der Bekämpfung der ungeregelten und unerlaubten Einwanderung entschlossen sind und dies auch sein wollen, auch geregelte Einwanderungsmöglichkeiten anbieten müssen. Ich denke, dass wir bei einem solchen Thema, sobald wir Vernunft einbringen, in der Lage sind, mit Gelassenheit und Intelligenz zu prüfen, wie wir gemeinsam Lösungen finden können.

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