Staatsgeheimnis statt Transparenz

Englischsprachiges Interview im Originalton
Englischsprachiges Interview im Originalton Copyright euronews
Von Hans von der BrelieSabine Sans
Diesen Artikel teilenKommentare
Diesen Artikel teilenClose Button
Den Link zum Einbetten des Videos kopierenCopy to clipboardCopied

Seit Jahren versucht das Investigativzentrum MANS in Podgorica Licht in den montenegrinischen Dschungel aus Misswirtschaft und Korruption zu bringen.

Dejan Milovac recherchiert in großen Korruptionsfällen in Montenegro. Er arbeitet für das von der EU mitfinanzierte Investigativzentrums MANS und ist wohl einer der besten Kenner politischer Machenschaften und anrüchiger Methoden zur Selbstbereicherung im Land. Vielen korrupten Politikern und Firmenchefs ist Milovac ein Dorn im Auge, doch der selbstbewusste Mann lässt sich nicht einschüchtern. Montenegro gilt als eines der korruptesten Länder auf dem Westlichen Balkan. Der Anti-Korruptions-Aktivist warnt: Das Autobahnprojekt quer durch Montenegro, eine der teuersten Autobahnen der Welt, begünstigt Korruption.

Euronews / Hans von der Brelie:
Wie entstanden die Korruptionsvorwürfe?

MANS / Dejan Milovac:
Die Korruptionsvorwürfe und die Vorwürfe mangelnder Transparenz sind entstanden, weil ein Großteil des Autobahn-Projekts als Staatsgeheimnis deklariert wurde. Die wichtigsten Dokumente bezogen sich auf das Gesetz zur Finanzierung mit der (chinesischen Baufirma) CRBC, die der Hauptvertragspartner ist. Besonders problematisch ist, dass die Dokumente, die sich auf die Subunternehmer der Chinesen in Montenegro beziehen, zum Staatsgeheimnis erklärt wurden. Die Subunternehmer wurden zusammen von der CRBC und dem Verkehrsministerium ohne Ausschreibung ausgewählt. Der ursprüngliche Vertrag mit CRBC besagte, dass mindestens 30 Prozent der Arbeiten an lokale Subunternehmer gehen sollten. Die Zahlen aus dem vergangenen Jahr zeigen, dass über 50 Prozent der Arbeiten an lokale Subunternehmer gingen. Bisher wurden über 400 Millionen Euro an Subunternehmen in Auftrag gegeben. Das ist zwar gut für die lokale Wirtschaft und den lokalen Aufschwung. Aber wenn man sich die Liste der Subunternehmer ansieht, gibt es einige Unternehmen, die angeblich mit der vorherigen Regierung von Montenegro und dem aktuellen Präsidenten des Landes verbandelt sind. Dazu kommt der extreme Mangel an Transparenz bei diesen Geschäften – daraus kann man folgern, dass vermutlich Korruption im Spiel ist.

Euronews:

Erklären Sie uns die konkreten Vorwürfe, die gegen die Subunternehmen erhoben werden? Wie haben die sich vermutlich an dem Projekt bereichert?

Dejan Milovac:

Alle Vorteile, von der die (chinesische Baufirma) CRBC (hier in Montenegro) profitiert, wie z.B. keine Mehrwertsteuer zu zahlen, oder keine Steuern auf Arbeit oder keine Zölle auf importierte Waren, wurden auf die Subunternehmer ausgeweitet, ohne jegliche Kontrollmöglichkeiten. Eine andere Sache, die nach fünf Jahren sehr schwer zu beweisen sein wird, ist, dass CRBC kostenlose Konzessionen für den Schotter und alles, was ausgegraben wurde, bekam, was für den Autobahnbau wiederverwendet wurde. Es gab keine staatliche Aufsicht darüber, wieviel neues und altes Material für die Autobahn verwendet wurde. Das machte den Weg frei für Korruption, für den Missbrauch der Vorteile aus dem Vertrag - besonders wenn wir über die Subunternehmer sprechen. Die Subunternehmer sind Firmen, die in Montenegro gut bekannt sind. Sie haben andere Projekte, internationale Projekte in Montenegro. Es gibt im Grunde keine Kontrolle darüber, ob ein Bagger oder ein Lkw, der am Morgen auf der Autobahnbaustelle eingesetzt wird, am Nachmittag für ein anderes privates Projekt verwendet wird, ohne Mehrwertsteuer, ohne Importsteuer - oder sonst etwas. Es gab viele Möglichkeiten für Missbrauch. Und wir wissen aus der Erfahrung mit CRBC in anderen Ländern, gerade mit dieser Menge an Krediten und Arbeiten, - sogar in anderen Ländern, in der die Rechtsstaatlichkeit ausgeprägter als in Montenegro ist -, dass diese Art von Großprojekten in der Regel entweder mit einem hohen Korruptionsverdacht oder in einigen Fällen sogar mit nachgewiesener Korruption von Beamten einhergeht, die für die Autobahn verantwortlich sind.

Euronews:

In aller Deutlichkeit, stimmt es, dass es bei der Auftragsvergabe an Subunternehmer keine öffentlichen Ausschreibungen gab?

Dejan Milovac:

Es gab bei der Auftragsvergabe an die Subunternehmer keine öffentlichen Ausschreibungen. Gemäß dem modus operandi, der zwischen CRBC und dem montenegrinischen Verkehrsministerium, dem offiziellen Auftraggeber im Namen der Regierung, vereinbart wurde, hat CRBC die Subunternehmer einfach selbst ausgesucht und das Verkehrsministerium musste nur noch sein OK geben. – Es gibt kein einziges Beispiel dafür, dass das Verkehrsministerium einen der vorgeschlagenen Subunternehmer abgelehnt hat. Wir wissen nicht, welche Abkommen zwischen der CRBC und den größten Bauunternehmen hier im Land gelten. Und wir wissen auch nicht, wie die Rechnungen kalkuliert werden.

Euronews:

Und nun?

Dejan Milovac:

_Es gibt keinen Grund, die Geschäfte mit Unternehmen fortzusetzen, die im Verdacht stehen, zumindest nicht transparent, wenn nicht sogar korrupt zu sein. Es muss eine sofortige Untersuchung geben, nicht nur auf der Ebene der Ministerien, um die Bücher zu öffnen, sondern auch seitens der Staatsanwaltschaft. Das ist der aktuelle Schwachpunkt, da wir nach der Wahl die Staatsanwaltschaft nicht reformiert haben. Wir haben noch keine Reformen in Bezug auf Justiz und Staatsanwaltschaft in Angriff genommen. In der vergangenen Regierungs-Periode gab es keinen politischen Willen, sich mit möglichen Korruptionsfällen im Zusammenhang mit der Autobahn zu befassen. Wir sprechen über das größte Projekt des Landes, wir haben ähnliche Vorgehensweisen in anderen Ländern mit chinesischen Investitionen gesehen. Wir haben gesehen, dass die Subunternehmer, die an diesem Projekt beteiligt sind - ich will nicht sagen zwielichtig... aber auf jeden Fall sind sie nicht immer gesetzestreu. Und es gab keinerlei Anstalten seitens der Staatsanwaltschaft, irgendeine Art von offizieller Untersuchung durchzuführen. Daher bin ich nicht sehr optimistisch, dass in der kommenden Legislaturperiode etwas passieren wird. _

Es wird mehr politischer Wille nötig sein, um mit den Ermittlungen voranzukommen. Wir müssen den riesigen Schuldenberg, den wir bei den Chinesen haben, abtragen. Für Montenegro wird es nicht angenehm sein, sich auf irgendeine Art von Untersuchung mit den Chinesen einzulassen. Gleichzeitig ist Peking der größte Gläubiger des Landes, was Montenegro in eine Position bringt, in der es keine echten Korruptionsuntersuchungen geben wird. Denn es gibt immer ein alternatives Interesse, in dieser Sache nicht weiterzumachen. Wir haben viel über diese Art der Abhängigkeit von China gesprochen, nicht nur in Bezug auf harte Zahlen und die Tatsache, dass wir dieses Jahr etwa 60 Millionen Euro für die erste Rate des Kredits zahlen und noch viele weitere kommen werden. Es geht um eine Abhängigkeit, die eine Selbstzensur der montenegrinischen Institutionen gegenüber den chinesischen Unternehmen ist. Denn es wäre unfair zu behaupten, dass es Korruptionsverdacht nur auf montenegrinische Seite gab, weil es zwei braucht, um Tango zu tanzen, wenn es um Korruption geht.

Euronews:

Wer hat nun wen bestochen?

Dejan Milovac:

Wir sprechen über das Investitionsumfeld, das Montenegro in den vergangenen 30 Jahren geschaffen hat. Ich würde nicht behaupten, dass alle chinesischen Investitionen oder alle chinesischen Investoren korrumpiert sind oder korrumpieren, wir wissen es nicht. Aber ich kann sagen, dass sogar Unternehmen, die aus dem Westlichen Balkan oder Westeuropa kommen und in Montenegro investieren, korrumpieren oder korrumpiert sind. Denken Sie nur an den Privatisierungsfall, den wir mit der Deutschen Telekom hatten. Da gab es ziemlich konkrete Beweise, dass Beamte in Montenegro bestochen wurden. Vergleichbares kann man auch bei dubiosen Investitionen aus China nicht ausschließen. Aber ich denke, wir haben im Laufe der Jahrzehnte hier in Montenegro ein gewisses Klima dafür geschaffen, dass Investoren kommen und Vorteile für die Investition erwarten, und das ist völlig in Ordnung, wenn es um die Motivation des Investors geht, Gewinne zu machen. Aber wenn die öffentliche bzw. institutionelle Kontrolle nur schwach ausgeprägt ist - dann bereitet man den Boden für Korruption und Missbrauch. Dann gibt es Korruption und den Verdacht, dass nicht alles gesetzeskonform läuft.

Euronews:

Aber der Schuldvertrag über diesen 1-Billion-Dollar-Kredit, den China Montenegro gewährt hat, 2014, der wurde doch öffentlich gemacht. Warum betonen Sie dann immer wieder, dass hier etwas verheimlicht wurde oder wird?

Dejan Milovac:

Alle Berichte, die von der CBRC an die Managementeinheit im ehemaligen Verkehrsministerium von Montenegro geschickt wurden, wurden als Staatsgeheimnis deklariert. Es gibt drei staatliche Kommissionen, die das Projekt verfolgen. Die Mitglieder dieser Kommissionen müssen eine Erklärung unterschreiben, dass sie keine Informationen preisgeben dürfen. Alle ihre Berichte sind als Staatsgeheimnis deklariert. All die Informationen darüber, was nach der Vertragsunterzeichnung geschah, wie die Zahlungen erfolgten und wie viel Geld an die Subunternehmer ging, einiges davon ist öffentlich, aber die Details, ob es irgendeine Art von Kontrolle gab, wie das Geld ausgegeben wurde, wie die Qualität der Arbeiten war - das alles ist geheim. Es gibt ein paar undichte Stellen in diesen Kommissionen und in der Verwaltungsabteilung, die die Qualität der Arbeiten kontrollieren. Deshalb wissen wir, dass es große Probleme mit der Qualität des Betons gab, mit der Ausführung der Arbeiten. Einige grundlegende Verfahren wurden nicht eingehalten. Und wir dürfen nicht den Tara-Fluss vergessen und die Schäden, die an einigen Abschnitten dieses Teils der Autobahn angerichtet wurden. Das beweist, dass die Regierung jahrelang nicht kontrolliert hat, wie die Baustellen verwaltet wurden. Was in einigen Gegenden zu irreversiblen Verwüstungen auf der UNESCO-geschützten Seite des Tara-Flusses führte.

Euronews:

Haben Sie konkrete Beweise für Korruption und Misswirtschaft?

Dejan Milovac:

Was wir haben, sind Verdachtsmomente, die auf den sehr gut organisierten Bemühungen der staatlichen Institutionen beruhen, Schlüsselinformationen zu verbergen. Das könnte zu dem Schluss führen, dass es Korruption gibt - und sehr gut organisierte Bemühungen, jede Art von bürgerlicher Kontrolle über das Gesamtprojekt auszusetzen. Sie tun das nicht aus Langeweile, sondern aus gutem Grund. Denn sie haben die Erfahrung gemacht, dass zivilgesellschaftliche Organisationen sehr daran interessiert und in der Lage sind, Korruption aufzudecken, wenn sie Informationen darüber haben. Es gibt ähnliche Beispiele aus anderen Ländern, an denen sowohl die CRBC als auch andere chinesische Investoren beteiligt waren. Und natürlich der dritte Punkt: Die katastrophale Bilanz der montenegrinischen Regierung bei Investitionsgeschäften in der vorherigen Legislaturperiode. Nach vier Jahren Bauzeit haben wir jetzt entdeckt, dass der vorherige Verkehrsminister die zusätzlichen Mittel, die für die Elektrifizierung und die Wasserversorgung auf der Autobahn sowie eine Umgehungsstraße, die Podgorica mit der Autobahn verbindet, nicht einbezogen hat. Das bedeutet für den Steuerzahler, dass wir einen weiteren Kredit in Höhe von etwas 100 Millionen Euro aufnehmen müssen. Das macht diese Autobahn zu einer der teuersten Autobahnen in Europa, wenn nicht gar in der Welt.

Diesen Artikel teilenKommentare

Zum selben Thema

Präsidentschaftswahlen - Driftet Montenegro Richtung Serbien?

Ex-Minister warnen vor Eskalation in Montenegro

Autobahnbau in Montenegro: Ohne Transparenz ist Chinas Kredit gefährlich